Kapitel 16 - Lydia

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«Und, war Marny noch sehr sauer?» fragte George, als er am Samstag, also einen Tag nach unserem Club Zwischenfall, an meiner Zimmertür klopfte und ich ihm mit schlaftrunkener Miene öffnete.

Ich gähnte erstmal und fuhr mir durch die zerzausten, blonden Haare, bevor ich antwortete: «Geht so, ich glaub sie hat sich zurückgehalten, aber es war echt ne dumme Idee ins Paradise Fiction zu gehen.»

«Heisst aber nicht, dass wir nie wieder dorthin gehen dürfen.» Technisch gesehen hatte George schon Recht, uns war es erlaubt, dorthin zu gehen – gesetzlich gesehen jedoch nicht.

Aber nicht das machte mir Sorge, sondern der Zustand meiner lieben Zwillingsschwester, der sich immer weiter zu verschlechtern drohte.

«Ich hab einfach Angst, dass sie ihre Wut nur noch mehr in sich hineinfrisst. Sie hat sonst schon genug um die Ohren, da muss sie sich nicht auch noch wegen mir Gedanken machen.»

«Du weisst ja gar nicht, ob sie das tut,» argumentierte George und lachte selbst über seine Worte, weil er Marny auch schon genug lange kannte.

Marny machte sich Gedanken über alles und jeden – ständig.

«Aber,» das meinte er noch, «sie redet ja mit der Therapeutin, das ist doch gut.»

«Mama hat gesagt, dass sie sich auch da ziemlich zurückhält. Ich mein George, sie verlässt nicht mal mehr unser Haus! Sie geht sogar nicht in den Garten! Das ist doch nicht normal?!»

«Ihr ist ja auch nichts Normales passiert, dass muss sie zuerst verarbeiten.» Da hatte er natürlich, wiederum, Recht.

Trotzdem war es eine sehr blöde Situation. Und das am Freitag hatte nur nochmals Öl ins Feuer geschüttet.

Mittlerweile sassen wir gemeinsam auf meinem Bett, hatten uns zurückgelehnt und starrten an die Decke, die ich mal mit Postern vollgeklebt hatte – jetzt waren davon nur noch Fetzen übrig.

«Wo ist Ryan?» fragte ich und versuchte, nicht interessiert zu klingen. Eigentlich war ich es schon.

«Er-» George zögerte. «Er ist mit Cindy weg. Aber sie machen was für die Schule, ein Projekt oder sowas für Physik.»

«Pah! Als ob! An einem Samstag, Cindy und Ryan? Wer's glaubt! Ey man der Typ regt mich so auf!» Ich konnte es nicht fassen, er hatte mir doch erst gerade versichert, dass zwischen ihm und Cindy nichts lief, und jetzt? Hatte er all seine Versprechen wieder vergessen. Typisch.

«Vielleicht...Vielleicht lügt er ja nicht, ich mein es könnt ja sein,» George versuchte, mich aufzuheitern, aber das klappte nicht im Geringsten.

Die zwei hatten doch immer anderes im Kopf. Ich wusste genau, das Ryan und Cindy etwas Anderes taten, als für die Schule zu arbeiten.

Ausser vielleicht an praktischen Beispielen für die Sexualkunde.

Weil mich nur schon der Gedanke daran extrem nervte und auf die Palme brachte, kuschelte ich mich etwas näher an George und griff nach meiner Stereo Fernbedienung, um etwas Musik laufen zu lassen. Rock würde mir jetzt gut tun.

«Ich hab letztens ein paar Platten für dich gefunden, sie sind drüben in meinem Zimmer.» George schenkte mir neue Platten immer dann, wenn er auf mysteriöse Weise irgendwo wieder gefunden hatte.

Dafür war mein Plattenspieler noch gar nicht funktionsfähig, oder jedenfalls noch nicht ganz. Ich musste noch einige Kabel richtig verbinden und dann das Beste hoffen.

«Du bist süss, vielen Dank,» sagte ich und gab ihm einen Kuss auf die Wange. Er war wirklich der tollste beste Freund überhaupt. Bei ihm musste ich mir nie Gedanken machen.

Und nach weiteren 20 Minuten, in denen wir wie zwei Bekloppte auf meinem Bett lagen und vor uns hin lachten, wurden wir doch meine schon frisch aussehende Zwillingsschwester unterbrochen, die sich zwischen uns aufs Bett quetschte.

«Was macht ihr?» wollte sie wissen und verdrehte die Augen, als George und ich gleichzeitig mit den Schultern zuckten und wieder lachten, als wären wir noch kleine Kinder.

«Heckt ihr was aus?» fragte sie weiter, weil sie uns einfach zu gut kannte.

«Noch nicht,» antwortete George, «uns ist noch nichts eingefallen.»

«Das kommt schon noch.» Jetzt lachte Marny auch, sie liess sich sehr leicht von guter Laune anstecken.

Nur leider nicht, wenn es darum ging, aus dem Haus zu gehen. Dort blieb sie stur.

«Und du? Hast du schon Pläne mit Zac?» Ich zog meine Augenbrauen nach oben und wackelte mit dem Körper, damit es Marny merkte.

Sie schlug sich die Hand vors Gesicht und gab mir mit der anderen einen leichten Schlag auf den Kopf: «Nein, du Nervensäge! Ich hab keine Pläne mit Zac...was sollten wir auch tun? Ich kann ja nirgends hin.»

«Du könntest-» begann ich, meine Schwester warf mir einen tödlichen Blick zu, was mich zum Schweigen brachte.

«Ich...Ich versuch es ja, wirklich Lydia. Glaub mir. Aber es ist schwierig...ich brauche einfach genug Zeit und Motivation. Hab etwas Geduld mit mir.»

«Zac ist nicht genug Motivation?» Und schon wieder waren wir bei diesem Thema.

Man, war ich gut! Ich hatte es voll drauf mit diesen Themenwechseln!

Ausserdem sah ich doch genau, wie Marny bei diesem Thema rot wurde und beschämt zur Seite sah. Sie mochte Zac, auch wenn sie das noch nicht zugeben konnte. Das würde schon noch werden.

«Lydia! Du bist unglaublich!» frustriert fuhr sich Marny mit den Händen durch die Haare, während George wegen ihrer süssen Reaktion lachte.

«Unglaublich hübsch? Intelligent? Sexy? Sag mir was, was ich noch nicht weiss.»

«Definitiv eingebildet!» mischte sich George ein und er und Marny gaben sich ein High-Five.

«Verbündet ihr euch jetzt gegen mich?!» fragte ich, gespielt beleidigt. Das war schliesslich alles nur Spass unter Freunden.

Ich wusste, dass die beiden für mich durchs Feuer gehen würden, genauso wie ich für sie. Nur darauf kam es an. Nur das zählte.

«Keine Zeit, ich muss noch was Nähen.» Marny bahnte sich wieder einen Weg aus unserem halben Massenlager heraus und stand auf, um sich zu strecken und sich danach mit zwei Luftküssen zu verabschieden.

«Nähen? Wirklich? An einem Samstag?!» rief ich ihr hinterher, aber sie ignorierte mich. Das Mädel brauchte dringend ein neues Hobby. Ja, sie machte gern Kleider, von was ich auch schon profitiert hatte, aber an einem Samstag sollte sie sich besser Mal mit Freunden treffen. Zum Beispiel mit Lilly, die wartete sowieso sehnlichst auf Marnys Anruf.

«Und was machen wir jetzt?» fragte George und machte es sich noch etwas bequemer.

Er legte seinen Kopf auf meinen Bauch, so dass er seine Beine ganz ausstrecken konnte, ergriff meine Hand und spielte mit meinen Fingern, während er auf eine Antwort wartete.

«Ich möchte Marny helfen,» stellte ich fest.

«Beim Nähen? Du?! Sorry Lydia, aber ich denke, da braucht sie deine Hilfe nicht. Lass lieber die Finger davon, bevor du dir noch weh tust.»

«Nein du Arsch, so mein ich das nicht,» erklärte ich und zog mein Bandana unter seinem Rücken hervor, um es mir in die Haare zu machen, «ich meine ich will ihr mit ihrer Angst helfen.»

«Und wie genau hast du dir das vorgestellt? Du bist kein Psychiater.»

«Naja, sie hat gesagt, sie braucht Motivation...»

«Ja und? Ich versteh nicht ganz.» George kannte mich schon so lange, aber das mit dem Gedanken lesen wollte einfach nicht funktionieren.

«Dann gebe ich ihr Motivation. Simpel und einfach.»

The Griffin TwinsWhere stories live. Discover now