Kapitel 15 - Marny

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«Ich dachte, damit hättest du aufgehört?» fragte ich, ziemlich genervt, Lydia, als sie gefolgt von George, Ryan und einem verletzten Zac durch die Hintertüre unser Haus betrat. Ich versuchte möglichst ruhig zu sein, um niemanden zu wecken, und legte meine Hände um meinen Bauch. Mein Schlafanzug kam mir in männlicher Gesellschaft plötzlich sehr kurz vor.

«Mit was genau?» Lydia tat so, als hätte sie keine Ahnung, von was ich sprach, aber ich kannte sie besser.

Sie hatte mir versprochen, sich nicht mehr in Schwierigkeiten zu bringen. Vor allem nicht mehr in irgendwelchen zwielichtigen Clubs.

Ich hasste es, für sie meine Eltern anlügen zu müssen, tat es aber trotzdem immer. Sie war immerhin meine Zwillingsschwester – wir teilten einen engen Band.

«Ich weiss, ich weiss,» gab sie zu und sah zu unseren Besuchern, «aber eigentlich...eigentlich haben Ryan und Zac sich Ärger eingehandelt, nicht ich. Ich versuche nur, sie zu decken.»

Nun sah ich die beiden Brüder von nebenan, und George, genauer an. Dem letzteren schien es gut zu gehen, soweit ich es beurteilen konnte, Ryan und Zac weniger.

«Schlägerei,» beantwortete George die Frage, die ich noch gar nicht gestellt hatte.

Ich hatte es bereits erwartet, nur nach einer Schlägerei sah man so durchgewühlt aus und hatte blaue Flecken.

«Und was soll ich jetzt tun?» Ich war etwas ratlos. Lydia war diejenige von uns beiden, die mit Lösungen kam, nicht ich.

«Wir können die beiden wohl schlecht so nach Hause schicken, ihre Mutter wird sie killen . Und wir wollen doch nicht Blut an unseren Händen haben, oder Schwesterchen?»

Ich verdrehte die Augen und seufzte. Typisch Lydia. Sie appelierte immer an meine Hilfsbereitschaft. Sie wusste, dass das eine Schwachstelle von mir war.

Bevor ich aber die Chance hatte, ihr ein Argument entgegen zu bringen, kam mir die Stimme von Zac zuvor: «Bitte Marny.»

Ich zuckte zusammen bei der Erwähnung meines Namens aus seinem Mund und sah zu meinem Nachbarn, dessen Nase blutete. Sein Shirt war bereits getränkt in Blut und sein Auge geschwollen.

«Ich-« innehaltend sah ich zu meiner Schwester, danach zu George und den anderen beiden Nachbarn, «na gut. Meinetwegen. Gehen wir rauf in mein Zimmer. Dort hört uns niemand. Aber leise wenn ihr die Treppe hochgeht!»

«Perfekt!» rief Lydia etwas zu laut und klatschte in die Hände, «geht ihr zwei schon mal hoch und wir kommen nach, nachdem wir was zu essen gefunden haben.»

Oh man, dass tat sie doch mit Absicht! Sie wollte nur, dass Zac und ich alleine miteinander waren!

Ich warf ihr einen bösen Blick zu, liess es aber bleiben, als Zac sich neben mich stellte und darauf wartete, dass ich vorlief.

Er folgte mir ohne ein Wort und wir schlichen, so leise wir nur konnten, in das oberste Stockwerk, wo sich mein Zimmer befand. Ich bereute es, nicht aufgeräumt zu haben, obwohl es mir eigentlich egal sein konnte, wie es aussah.

Schliesslich wollte ich nichts von Zac. Er war ein Typ – und auf Typen konnte ich gerade gut verzichten.

Ausserdem wollte er sowieso nichts mit einem Mädchen anfangen, dass sich nicht einmal getraute, ihr eigenes Haus zu verlassen.

Ich wies Zac an, sich auf mein Bett zu setzen und schloss leise die Tür, um danach auf meinem Nähtisch nach Verbandszeug zu suchen. Ich hatte immer einen Notfallkasten im Zimmer, weil ich mir beim Nähen schon öfters wehgetan hatte.

Nach einigen Utensilien greifend drehte ich mich zu ihm und kniete vor ihm auf den Boden, um ein Tuch mit Desinfektionsmittel darauf auf seine blutende Stirn zu halten.

Ich wusste nicht genau, wie viele Schläge er abbekommen hatte, aber es mussten einige gewesen sein, so wie er aussah.

«Mit wem hast du dich geprügelt? Und warum?» fragte ich schüchtern, weil mir die Stille zwischen uns seltsam vorkam.

Sie machte mich nervöser, als sie sollte.

«Nicht so wichtig, nur ein paar aggressive Typen die Ärger gesucht haben,» meinte er und zuckte mit den Schultern. Diese Erklärung reichte mir nicht.

Ich zog meine Augenbrauen nach oben: «Und darauf hast du dich eingelassen?»

«Nein,» erklärte er, «ich hab mich eingemischt, weil ich Ryan helfen musste. Er ist mein kleiner Bruder.»

Ich antwortete nicht, was Zac dazu brachte, eine Frage zu stellen. Seine Stimme war sanft, aber ich hörte sie glasklar.

«Das verstehst du doch, oder Marny?»

Da hatte er Recht. Ich konnte ihm in dieser Sache nicht widersprechen. In was für Schwierigkeiten sich Lydia, Stacy oder die anderen sich auch befanden, ich würde ihnen immer aus der Patsche helfen.

Weil wir Schwestern waren und Schwestern das so machten.

«Er bringt sich gerne in Schwierigkeiten,» fügte Zac noch hinzu.

«Ja, ist mir aufgefallen...Lydia mag diese...» Ich wollte nicht weitersprechen, meine Stimme brach ab, als ich bemerkte, wie durchdringend und interessiert mich Zac anschaute. Als wollte er in meinen Augen lesen, was ich zu verbergen hatte.

«Diese was?» Zac liess es nicht auf sich beruhen.

«Diese Bad Boys,» gab ich zu, weil es sowieso offensichtlich war. Lydia zog diese Typen magisch an und vergass dabei diejenigen, die sie für ihre Persönlichkeit mochten. Jungs wie George.

«Und welche Jungs magst du?» Zacs Fragen wurden nun konkreter.

Unsicher entfernte ich meine Hand von seinem Gesicht und stand auf, nur damit er meine Hand ergriff und sie wieder zurück an seine Wange legte.

Wir sahen uns einige Sekunden in die Augen, bevor ich meinen Blick abwendete und flüsterte: «Gar keine.»

«Das glaube ich nicht,» sagte Zac und stand ebenfalls auf, um sich mir zu nähern. Ich sah ihn nur in meinem Spiegel, da ich ihm den Rücken zugekehrt hatte. Nur wenige Zentimeter hinter mir kam er zum Stillstand und betrachtete mich.

Tief durchatmend fand ich neue Worte: «Ich...Ich mag die Guten.»

«Und was ist mit Jungs, die für dich gut werden?» wollte Zac wissen und legte eine Hand auf meine Schulter, die ich langsam entfernte. Ich wollte nicht, dass er mir zu nahekam. Das löste in mir ein Gefühl aus, dass ich noch nie zuvor verspürt hatte.

Ob es ein gutes oder ein schlechtes Gefühl war, konnte ich nicht sagen.

«Das-Das ist mir noch...noch nie passiert,» beichtete ich. Wieso ich so ehrlich zu ihm war, wusste ich nicht. Irgendetwas an ihm brachte mich dazu.

«Dann wird es vielleicht Zeit.» Zac war mir nun so nahe, dass ich seinen Atem in meinem Nacken spüren konnte. Ich bekam davon Gänsehaut und Herzrasen.

Ich kam gar nicht dazu, zu antworten, wofür ich dankbar war, denn in diesem Moment wurde meine Türe geöffnet und die restlichen drei Troublemaker kamen herein, alle mit Chipstüten in der Hand.

Zac machte einen Sprung zurück, doch ich war mir sicher, alle hatten bemerkt, wie nahe er mir gewesen war. Wenigstens sagte niemand etwas darüber.

Um davon abzulenken, wollte ich wissen: «Wo-Wo wart ihr überhaupt?»

«Im Paradise Fiction, wieso?» antwortete Ryan, als ich stark die Luft einzog.

Meine Augen trafen jene von Lydia und ich fragte, kam hörbar: «Wie konntest du nur?»

The Griffin TwinsWhere stories live. Discover now