Kapitel 18 - Lydia

433 38 1
                                    

Eine Stunde später war Marny, nachdem wir sie mit der Hilfe eines Plastiksacks dazu gebracht hatten, wieder normal zu atmen, endlich eingeschlafen.

Anna war noch bei ihr, als Zac, Ryan, George und ich uns auf unserem Sofa breit machten und lange Gesichter zogen.

Mein bester Freund war erst vor wenigen Minuten zu uns gestossen und teilte nun unseren Schock.

«Ist...sie immer so schreckhaft?» fragte Ryan in die Stille und sah zu mir, aber ich hatte keine Lust darauf, ihm eine Antwort zu liefern.

Ich hatte ziemlichen Mist gebaut und mein schlechtes Gewissen liess nicht lange auf sich warten. Ich fühlte mich echt mies. Richtig dreckig.

«Sie war total panisch,» meinte Zac und starrte ins Leere, als müsste er das alles selbst einmal verdauen. Er verstand nicht, was los war und ich konnte es ihm auch nicht erklären.

Es war nicht meine Sache, es ihm zu sagen. Das musste schon Marny tun.

«Kommt sie deshalb nie mit, wenn wir irgendwo abhängen?» Ryan konnte es einfach nicht gut sein lassen. Ständig musste er nachhaken. Er kannte seine Grenzen nicht und gerade hatte ich dafür keine Nerven.

«Sei ruhig.» George griff mir glücklicherweise unter die Arme, er verstand mich immer. Er wusste, was ich brauchte.

«Nein ey,» motzte Ryan, «ich will es jetzt wissen. Was wird hier gespielt? Ist sie krank, oder was?»

«Ryan! Halt die Fresse! Sie will es dir nicht sagen, checkst du das nicht? Lass es gut sein!» Auch Zac war genervt und angespannt. Ich wusste, dass er sich Sorgen machte. Er konnte Marny gut leiden.

Das hatte ich vorhin schon gedacht, als er sich ganz süss um sie gekümmert hatte. Er hatte sie sogar in ihr Zimmer hochgetragen.

«Ich hau ab,» Ryan war beleidigt und benahm sich wie ein kleines Kind. Er stand vom Sofa auf, sah mich ein letztes Mal an als würde er darauf warten, dass ich ihn bitten würde, zu bleiben, bevor er seufzte und Richtung Haustür verschwand.

«Sollten wir nen Arzt rufen?» wollte Zac wissen und sah auf seine Hände.

«Lassen wir sie schlafen,» meinte George und setzte sich aufrechter hin, «sie hat sich ja wieder beruhigt. Sehen wir weiter, wenn sie wach ist.»

«Aber das ist doch nicht normal...? Ich will wissen, was los ist.» Zac liess nicht locker.

Und ja, ich verstand, warum er wissen wollte, wieso Marny vorher eine Panik Attacke durchlitten hatte, aber ich durfte nichts sagen.

«Bitte,» wiederholte er und ich schaute bedrückt zur Seite, um nicht seinen besorgten Blick sehen zu müssen.

«Zac...könntest du uns aus der Küche ein paar Gläser und Wasser holen?» fragte George stattdessen und sah seinen Stiefbruder an. Dieser verstand, dass es nur ein Versuch war, alleine mit mir sprechen zu können, aber Zac kam dem Wunsch seines Bruders nach.

Er verschwand in die Küche und liess sich für eine Weile nicht mehr blicken.

Ich sass still da und starrte nach vorne, auf den ausgeschalteten Fernseher, bevor sich George näher zu mir setzte und mich von der Seite aus ansah.

«Lydia,» flüsterte er leise und legte mir einen Arm um die Schulter. Ich lehnte meinen Kopf zu ihm und schloss kurz die Augen.

«Sag mir bitte, dass das nicht dein Plan gewesen ist. Du bist nicht absichtlich aus dem Fenster gefallen, oder?»

Die Frage blieb in der Luft hängen, wie ein dunkler Schatten. Ich schluckte und bewegte mich keinen Mucks.

Georges Körper verkrampfte sich und er zog mich näher zu sich heran, bevor er, ohne jegliche Unsicherheit sagte: «Du hast es mit Absicht gemacht.»

«Ich-Ich wollte ihr doch nur helfen...Sie-Sie muss doch raus! Sie kann nicht ewig hier drinbleiben!» Ich hielt meine Tränen nicht mehr zurück, es hatte sowieso keinen Zweck mehr.

Meine Schwester zu enttäuschen war nie mein Ziel gewesen. Ich hatte ihr niemals weh tun wollen, nur helfen. Aber meine Hilfe war fehl am Platz gewesen.

Sie war völlig nach hinten losgegangen, mein gesamter Plan war ins Wasser gefallen.

George wischte mir vorsichtig eine Träne weg und liess mich weiter weinen, bis ich mich etwas gefangen hatte.

Er verurteilte mich nicht, er hasste mich nicht – das war genau das, was ich brauchte. Ich machte mir selbst schon ein genug schlechtes Gewissen, ich brauchte nicht noch jemanden, der Öl ins Feuer kippte.

«Ich bin eine schlechte Schwester,» stellte ich leise fest und fühlte mich noch mieser, als zuvor.

Ich hatte mir das alles nicht gut überlegt, ich hatte Marny nur irgendwie einen Grund geben wollen, aus dem Haus zu kommen. Aber nicht so. Nicht auf diese Weise.

Und jetzt hatte ich Angst, ihr die Wahrheit zu sagen. Sie würde mich hassen, wenn sie herausfand, dass ich das alles nur gespielt hatte.

Ich war ein Cheerleader, ich verletzte mich nicht bei einem Sprung aus dieser Höhe. Ich hatte alles im Griff gehabt.

George küsste sanft meine Stirn, während ich die Augen schloss und sein Parfum wahrnahm.

«Nein, bist du nicht. Du hast einen Fehler gemacht. Aber du bist keine schlechte Schwester, Marny wird dir verzeihen.»

«Woher willst du das wissen?» fragte ich mit zitternder Stimme und atmete schwer.

«Weil ich Marny kenne. Und weil sie dich kennt. Sie weiss, dass du impulsiv bist und manchmal Dinge tust, die du dir nicht immer gut überlegst. Aber deswegen liebt sie dich nicht weniger.» Seine Worte spendeten mir Trost, wenn auch nicht allzu viel.

Unser intimer Moment wurde leider früh unterbrochen, als Zac mit zwei gefüllten Gläsern wiederkam und sie vor uns auf den Couchtisch stellte. Er sah die Position, in der wir uns befanden, und ich löste mich langsam von meinem besten Freund, damit Zac keinen falschen Eindruck bekam.

«Ich sollte lieber gehen, ich will nicht im Weg sein,» erklärte Zac und fuhr sich durch die Haare, «ruf mich an, wenn es was Neues gibt. Ich möchte wissen, wie's ihr geht, ok?»

«Ok, versprochen.» Ich murmelte nur, aber er verstand, was ich sagen wollte, nickte mir und seinem Bruder zu und lief dann zurück in den Flur.

Dort traf er, falls ich es richtig hörte, auf Anna, die gerade die Treppe herunterkam. Ihre Schritte stoppten und ich spitzte die Ohren, um zu verstehen, was gesagt wurde.

«Dachte ich mir doch, dass du es bist, Rosington,» hörte ich Anna sagen und war verwirrt.

Die beiden kannten sich? Von wo? Und was hatten sie miteinander zu tun?

«Schon lang nicht mehr gesehen, Anna.» Zacs Ton war nicht gerade freundlich. «Dachte du wärst auf ner teuren Uni.»

«Bin ich auch,» zickte meine Schwester zurück, «halt dich von meinen Schwestern fern, verstanden?!»

«Das können immer noch sie selbst entscheiden, nicht du.» Zac liess sich nicht gerne provozieren, seine Stimme blieb ruhig, auch wenn die Spannung spürbar war.

Ich sah besorgt zu George, der mit den Schultern zuckte. Er wusste auch nicht, was los war.

«Zieh Leine Zac, wir haben ohne dich schon genug Probleme. Ich will dich hier nicht mehr sehen.»

Und danach verschwand mein Nachbar. Ich hörte noch, wie er die Haustür zuschlug, als Anna das Wohnzimmer betrat und mich und George auf dem Sofa sitzen sah.

Sie musterte mich, verschränkte die Arme und zog die fein gezupften Augenbrauen nach oben.

«Willst du mir mal erklären, was hier wirklich los ist, Lydia? Ich bin nämlich auf eine Erklärung gespannt.»

The Griffin TwinsOù les histoires vivent. Découvrez maintenant