Kapitel 7 - Marny

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Heute war Freitag, das hiess meine Psychiaterin Misses Donald würde jeden Augenblick hier eintreffen und mir wieder dutzende Fragen stellen, bei denen ich nicht wissen würde, wie ich sie beantworten sollte.

Die Sitzung, die danach begann, war ähnlich wie viele zuvor. Wir redeten, ich erzählte, sie hakte nach. Immer und immer wieder dasselbe, langweilige Spiel, dass zu nichts führte. Sie versuchte mir zu helfen, wie alle anderen auch, aber es half nichts. Es nützte nichts, weil es vielleicht nicht genug war. Oder ganz simpel nicht das Richtige für mich.

Was ich wirklich brauchte, um mich besser zu fühlen, das hatte ich selbst noch nicht gefunden, womöglich würde ich das nie.

«Es ist genau 96 Tage her,» sagte ich am Ende, immer noch auf der grossen, roten Couch im Wohnzimmer sitzend. Misses Donalds sass mir gegenüber, in einem Sessel, ihren Notizblock in der Hand und das Aufnahmegerät auf dem kleinen Wohnzimmertischchen platziert. Die Türe zum Flur hatten wir geschlossen, um zu verhindern, dass uns jemand, oder besser gesagt Stacy, nicht belauschte.

«Ja, und mit jedem Tag entfernst du dich weiter davon,» antwortete sie mir zuversichtlich.

«Ich-Ich habe aber das Gefühl, es wird schlimmer, nicht besser.» Meine Besorgnis konnte man hören, wenn man nur richtig zuhörte. Das tat Misses Donalds offensichtlich, denn sie notierte sich etwas und fragte danach: «Was genau meinst du?»

«Das alles...jetzt sind es 19 Tage, während denen ich mein Haus nicht mehr verlassen habe. Seit 19 Tagen habe ich nicht mal einen Fuss über die Türschwelle bewegt, selbst wenn ich es versucht habe. Das hat sich irgendwie entwickelt, direkt...danach war das noch nicht so extrem.»

«Du entfernst dich zeitlich immer mehr von dem Ereignis, aber das gibt auch deinen Gedanken die Möglichkeit, immer mehr darüber nachzudenken.» Misses Donalds sah mich an, was mich dazu bewegte, meinen Kopf in die Richtung des Bodens zu bewegen.

«Was ist mit den Panikattacken? Hattest du sie diese Woche?» wollte sie danach wissen.

«Nein,» konnte ich glücklicherweise antworten, «diese Woche nicht. Das ist gut, oder?»

«Sogar sehr gut,» bestätigte mich meine Psychiaterin und lächelte zufrieden. Sie notierte sich erneut etwas, strich es aber wieder durch.

«Was meinst du, willst du mir nun Genaueres darüber erzählen, was passiert ist?» Ihrer Stimme war kein Befehl zu entnehmen, aber irgendwie empfand ich es als solchen. Ich hatte all die Wochen noch niemandem die gesamte Geschichte erzählt, aber anscheinend sei das wichtig, sogar entscheidend für den Heilungsprozess.

Dazu war ich aber noch nicht bereit.

«Wenn du es getan hast, könnten wir zusammen dorthin fahren,» schlug Misses Donalds vor und ich verkrampfte mich vor Panik. Meine Fingernägel bohrten sich in den weichen Bezug des Sofas und ich hielt die Luft an, während ich die Frau vor mir mit weiten Augen anstarrte.

War das ihr Ernst? Würde sie das von mir verlangen, wenn ich ablehnte? Musste ich das irgendwann machen, auch wenn ich es nicht wollte oder konnte?!

«Marny,» sagte Meredith meinen Namen und zog somit meine Aufmerksamkeit auf sich, «bei einer Agoraphobie ist es wichtig, dass du selbst begreifst, dass dieser Ort – die Aussenwelt – dir nichts tut.»

«Aber sie hat es getan.» Das war eine Tatsache, die niemand ändern konnte, auch nicht der beste Therapeut der Welt konnte die Zeit zurück drehen und die Vergangenheit verändern. Dieser Ort, diese Welt da draussen vor meinem Haus hatte mir weh getan.

Sie hatte mich verletzt und verkrüppelt und versetzte mich jederzeit in Panik, wenn ich nur an sie dachte. Ich wollte nicht dorthin zurückkehren, wo ich doch hier sicher untergebracht war.

The Griffin TwinsWhere stories live. Discover now