Von einem schwierigen Besuch

1.4K 99 13
                                    


Ich habe dich vermisst, Jules."

Mit einem Seufzen entspannte sie sich in seinen Armen und er lächelte. Oh, wie sehr er sie vermisst hatte. Die letzten Tage waren für ihn der Horror gewesen. Er hatte kaum einen klaren Gedanken fassen können. Immer wieder musste er an Abby denken und wie es ihr ging. Was sie dazu bewegt hatte sich umzubringen. Für ihn war es unvorstellbar, aber er konnte auch nicht in den Kopf eines jungen Mädchens blicken. Die Angst, dass er möglicherweise an ihrem Tod die Schuld trug, fraß ihn auf. Auch, wenn er wusste, dass man ihn dafür nicht verantwortlich machen konnte, so war es doch etwas, was ihn verfolgte. Er wollte nicht der Grund sein, dass sich junge Mädchen die Pulsadern aufschnitten oder anderes taten um sich das Leben zu nehmen.

Für ihn war es ein Glück, dass er sich in LA befand, denn hier war das Leben eine Party. Man besuchte Clubs und Locations, an denen die Musik laut war und der Alkohol in Strömen floss. Niemandem fiel auf, dass er mehr trank als sonst.

Cheryl mochte es nicht gut heißen, aber er empfand ihr gegenüber keinerlei Verpflichtung und sie hielt ihn auch nicht zurück. Aber auch der Alkohol brachte ihm keinen Trost und so packte er nach einer durchzechten Nacht seine Taschen um sich auf den Weg zum Flughafen zu machen. Wie schon unzählige Male zuvor zog es ihn zurück nach London. Er brauchte Jules an seiner Seite. Ihre ehrlichen Worte und ihre Anwesenheit, die ihn immer wieder auffingen.

Aber er fand das Haus verlassen vor, als er endlich wieder heimatlichen Boden unter den Füßen hatte, natürlich, denn sie war arbeiten und die Stunden bis zu ihrer Rückkehr verschwammen in Gesellschaft von Jack Daniels und Jim Beam, die ihn mit offenen Armen empfinden.

Wie erwartet hatte sie ihn aufgefangen und ihn gehalten, während er zusammengebrochen war. Nun lag sie in seinen Armen und er fühlte sich seit langem wieder komplett und so als könne ihm nichts auf der Welt anhaben.

Ihr ruhiger werdender Atem begleitete ihn in den Schlaf und war das Erste, was er am nächsten Morgen wahrnahm. Ein Lächeln schlich sich über seine Lippen, als er die Augen öffnete und in das schlafende Gesicht seiner besten Freundin sah. Sie sah so friedlich aus und erschien ihm so jung, wie sie so da lag. Er beobachtete sie eine Weile, ehe er sich vorsichtig aus den Laken erhob um das Schlafzimmer zu verlassen. Die Tür fiel hinter ihm leise ins Schloss und seine Schultern hoben und senkten sich während er tief durchatmete. Noch immer lastete auf ihm die Schuld, aber sie war nicht mehr unerträglich schwer.

Seine Schritte führten ihn in die Küche, wo er ein Frühstück aufsetzte und darauf wartete, dass Jules aufwachte. Lange ließ sie nicht auf sich warten, da kam sie in die Küche gehetzt. „Sag mal spinnst du?"

Liam hob den Blick von seinem Handy und musterte sie fragend. „Was meinst du?"
"Ich hab verschlafen", murrte sie und griff hastig nach einem Brötchen, in das sie hinein biss. „Man, ich muss zur Arbeit." Sie trat von einem Fuß auf den anderen, während sie eine Wasserflasche aus dem Kühlschrank nahm. In ihrer Hektik ließ sie die Flasche fallen, fluchte und klaubte sie auf, während sie an ihrer Tasche zerrte. „Bis später!" Damit war sie schon aus der Küche gerauscht und das nächste was Liam hörte war die Hautür, die ins Schloss fiel. Er stieß seufzend die Luft aus. So viel zu einem gemütlichen Morgen und einem ausgiebigen Frühstück.

Die nächsten Stunden verbrachte er damit seinen Koffer auszuräumen. Am vergangenen Abend hatte er seine Sachen einfach fallen gelassen und war direkt ins Wohnzimmer verschwunden. Noch immer drehten seine Gedanken sich um Abby und was mit ihr geschehen war. Er fühlte sich schlecht deswegen, konnte aber die Schuldgefühle und die Niedergeschlagenheit verdrängen, indem er sich beschäftigte. Irgendwann aber reichte die körperliche Anstrengung nicht mehr und er fand sich im Wohnzimmer wieder. Er hatte sich seinen Laptop geholt und scrollte durch die zahlreichen Tweets, die noch immer auf Twitter zu finden waren. Sie brannten sich in seiner Netzhaut ein und verfolgten ihn. Immer wieder sah er sie vor sich, wenn er die Augen schloss, konnte sie hören als würde sie jemand immer wieder vorlesen. Es verfolgte ihn, egal wie sehr er sich ablenkte, sobald er für einen Moment zur Ruhe kam waren sie wieder da. Er bestrafte sich selbst und wusste es war ihm mehr als bewusst.

Changing lifeWhere stories live. Discover now