Kapitel 9

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Als Christopher die Tür der Bar aufstieß, peitschte ihm eine eisige Kälte ins Gesicht. Eine typische Oktobernacht. Den Wolken nach zu urteilen, wird es bald schon ein Gewitter geben. Wieder in Gedanken raste der blonde Mann hinter der einen Kopf kleineren Frau her. Ihre hüftlangen, gewellten Haare flatterten im Wind und die etwas zu große FBI Jacke plusterte sich durch den Luftzug auf. Er konnte kaum mit der flinken Kollegin mithalten, da er immerhin schon ein Bier mehr getrunken und den Bauch voll Fritten hatte.

Wenn du nicht bald stehenbleibst, dann kotz ich gleich, Natasha.

„Würdest du mir sagen, wohin zum Teufel wir rennen?", rief er außer Atem. Anstatt ihm eine Antwort zu geben, sprintete sie nur noch schneller, dann bog sie rechts ab und blieb stehen. „Verdammt! Er hat es sich geschnappt!", fluchte sie empört.

„Was geschnappt?" Christopher verstand nichts mehr.

„Na was wohl. Das Auto, du Depp!"

Das konnte nicht sein. Er hatte doch die Schlüssel gehabt. Sofort fasste er sich mit der Hand an die Brusttasche und fühlte Leere.

„Was? Wie? Wie hat er das gemacht?", murmelte der Mann vor sich hin. Ich schwöre bei Gott, ich hatte sie die ganze Zeit über hier drinnen. Er ließ die Szene mit Jason nochmal Revue passieren und tatsächlich gab es einen Moment, in dem ihm der Geflüchtete auf seine Schulter klopfte und ihm dankte.

„Das gibt's doch nicht", ärgerte sich Chris.

„Was?", fragte Natasha.

„Der Mistkerl hat sie mir geklaut. Wofür braucht er meinen Dienstwagen? Und außerdem, wieso hat er nichts gesagt?"

„Die Fragen kann ich dir beantworten, wenn wir eine Mitfahrgelegenheit haben. Komm jetzt." Und erneut wurde er mitgeschliffen. Nach mehrmaligem Abbiegen hatten sie eine gut befahrene Straße erreicht. Der FBI Agent stellte sich augenblicklich auf die Fahrbahn. Christopher wollte sie wegziehen, da sich den beiden ein Auto näherte, doch wie angewurzelt verharrte sie auf dieser Stelle.

Als der PKW nur noch wenige Meter entfernt waren, zückte die Frau ihre Dienstmarke und hielt sie dem Fahrer entgegen. Dieser, ein Mann Mitte 20 mit Ziegenbart und buntgestreiftem Wollpullover, erkannte das Signal sogleich und stoppte. Die Zwei gingen auf die linke Seite und der Ökofreak kurbelte hinter der Glasscheibe das Fenster herunter.

„FBI. Wir bräuchten Ihren Wagen", sagte Natasha mit monotoner Stimme und gab die Anweisung, er möge aussteigen.

„Ich habe nichts getan. Wieso wollen Sie mein Auto?"

„Es ist dringend. Ein Notfall. Jetzt steigen Sie gefälligst aus!"

„Es ist arschkalt, Mann. Ich steige nicht aus." Ehe der Fahrer weiterreden konnte, zückte Natasha ihre Pistole und hielt sie diesem gegen die Stirn.

„Steig aus, Mann", äffte sie ihn nach. Mit ärgerlichem Gemurmel öffnete der Mann die Tür und befand sich auf der Straße.

„Ich sage Ihnen, das wird ein Nachspiel haben. Ich reiche Beschwerde gegen Sie ein", schrie er den Agents hinterher als der Wagen mit quietschenden Geräuschen davonraste.

„So", begann die Lenkerin des neuerworbenen Gefährts, „Wir fahren jetzt zum gerichtsmedizinischen Institut." Sie bog scharf ab. Christopher, dem das alles nicht ganz Geheuer war, drückte es in den Sitz als Natasha den Gang wechselte und ein paar PS zulegte. „Wieso denn das?"

Den Blick auf die Straße gerichtet, meinte diese nur: „Weil Jason dort sein wird."

„Und wieso das?" Jetzt verdrehte sie die Augen. Verstand er denn gar nichts?

„Du hast ihm geraten, loszulassen. Er hat es wohl zu wörtlich genommen. Und jetzt, nach Dienstschluss, ist dort sowieso niemand, der verhindern könnte, dass er Dereks Leiche zu Gesicht bekommt. Ausgenommen den Wachposten, aber solange er einen Ausweis hat, ist das denen auch egal, wer reinkommt."

Da hat sie Recht. Die Nachtwachen dort, waren wie schlafende Gespenster, die ohne jegliche Emotionen durch die Gänge schlichen und alles kontrollierten. Ich war selbst einmal dort, es ist furchtbar, und so langweilig. Wer möchte den schon sein Leben lang vor einer Tür stehen und schauen, dass niemand reingeht?

Da hat es sich Jason mit dem Freitagabend leichtgemacht. Warum habe ich ihn nur auf diese hirnrissige Idee gebracht? Wie konnte ich ihn dazu verleiten, die Regeln zu brechen, obwohl er immer pingelig genau darauf achtete, ja alles richtig zu machen?

„Wir müssen die Gerichtsmedizin unbedingt vor Jason erreichen. Wenn er auch nur irgendetwas anfasst, nur weil er emotional so durcheinander ist wie eine schwangere Frau, dann könnte die Möglichkeit bestehen, dass er etwas manipuliert oder verändert, und wir wären unseren Job los", kam es aus Christophers Mund heraus.

„Glaubst du, warum fahre ich wie gestört durch die Stadt."

Nach diesem Satz bog sie abermals ab. Es folgten eine Reihe von Kreuzungen, bei denen sie Glück hatten, dass weder andere PKWs noch Fußgänger einen Schaden davontrugen. Nach einer fünfzehnminütigen Fahrt fuhr der blaue Wagen, in dem Natasha und Christopher saßen, eine kleine Rampe hinauf und parkte mitten vor einer Vorfahrt. Schnell schmissen die beiden die Türen hinter sich zu und liefen dem Eingang entgegen. Einen Blick auf die linke Seite geworfen, erkannte der Mann, dass sein Freund sein Auto dort abgestellt hatte.

Jason ist schon da!

„FBI", sprachen sie im Chor in ein Mikrofon und zeigten die Ausweise in eine daneben eingebaute Kamera. Es surrte kurz, dann machte es Klick und sie konnten eintreten. Hastig bewegten sie sich Richtung 2. Stock. Es gab ein paar verzweigte Gänge und Passagen, die sie überwältigen mussten, doch schlussendlich gelangten sie vor den gewünschten Raum. Auf drei öffnete der Blonde die schwere Stahltür und Natasha, bewaffnet mit einer Colt M1911, stürmte das Zimmer.

In diesem befanden sich zwei Computer, mehrere Laborgeräte und natürlich, eingebettet in eine Art riesige Schublade, die man in der Wand verstauen konnte, der Leichnam. Neben diesem stand Jason, kurz davor den weißen Lacken wegzuziehen, ebenfalls bewaffnet und starrte seine Kollegin mit wässrigen Augen an, während er die Pistole auf sie richtete. Wie wusste er, dass Natasha eine Knarre hat?

„Lass die Waffe fallen, Jason", redete sie auf ihn ein.

„Wieso könnt ihr mir keinen Abschied gönnen?"

„Das tun wir doch. Aber hier ist kein angemessener Ort, um Lebewohl sagen zu können", wandte Chris ein. Die Frau wiederholte sich.

„Ich will doch nur wissen, wer es ist! Wer Derek umgebracht hat!" Der sonst so beherrschte und gutaussehende Mann war nur noch ein unkontrolliertes, hormongesteuertes Wesen mit einer Schusswaffe.

„Das wollen wir alle. Wir tun, was in unserem Möglichen steht, das weißt du. Es bringt nichts, dich jetzt mit dem Bild eines halbzerstückelten Menschen noch mehr fertig zu machen", versuchte ihm Natasha schonend beizubringen.

„Ja, genau. Ist kein schöner Anblick." Entnervt sah sie Chris an.

„Danke, dass wird ihn jetzt sicher aufmuntern." Sie stöhnte auf, dann sprach sie weiter. „Jason, bitte steck deine Waffe ein. Von mir aus erklären wir dir alles und du kannst dir auch jedes Dokument ansehen, damit du siehst, dass wir noch in den Anfängen stehen. Aber um Himmels Willen, schmeiß die Waffe weg."

Sie bettelte schon förmlich. Endlich gehorchte Jason ihren Anweisungen und mit einem dumpfen Geräusch prallte die halbautomatische Pistole auf den harten PVC-Boden. Langsam senkte auch der Agent ihr Verteidigungsmittel, und Christopher klaubte Jasons schwarze HK USP auf.

Wie versprochen begann Natasha zu erzählen: „Also, als erstes wurde das Police Department gerufen, die haben mit der Spurensicherung den Tatort abgeschaut. Später wurden wir dann noch hinzugeholt." Sie nahm auf einem Schreibtischsessel Platz, ehe sie weitererzählte. Dann zeigte sie auf die anderen Sitzmöglichkeiten.

„Jungs, ihr solltet euch hinsetzen. Jason möchte immerhin die ganze Geschichte erklärt bekommen, und es könnte eine lange Nacht werden."

„Ich geh schon mal Kaffee holen", meinte Christopher nur dazu.

„Gute Idee. Wo war ich stehen geblieben? Ach ja, und dann sind wir gekommen..."


AuftragskillerWhere stories live. Discover now