Kapitel 7

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Wie an jedem Tag, an dem die Sonne hinter den Wolken hervorblitzte, waren alle Schüler der River Middle School in der Mittagspause draußen und genossen die Wärme. Ein laues Lüftchen wehte und die herbstlich bunt gefärbten Blätter des großen Ahornbaums in der Mitte des Pausenhofs raschelten leise im Takt. Es war kurz nach Schulbeginn und die Kinder waren gedanklich noch in den Ferien.

Eifrig tuschelten die Mädchen in verschiedenen Gruppen miteinander, während sie auf den Bänken ihre Jausen aßen. Die meisten Buben, aber auch einige vom anderen Geschlecht fanden sich beim Baum zusammen, um sich auszumachen, wer in welcher Footballmannschaft sein sollte. Es gab eine Rangelei, doch diese legte sich schnell und sie fingen an, zu spielen. Im Eck des Freizeitgeländes kauerte ein Junge, der vertieft in sein Buch starrte, gegenüber von diesem gab es eine Reihe von Leuten, die mit Seilspringen und Frisbee spielen beschäftigt waren. Außerdem beschlagnahmten wie jeden Tag um 2 Uhr Bug und seine Kumpels das Klettergerüst und trainierten, um Mädchen zu beeindrucken. Gerade stand der Anführer der Gang lässig, gegen eine Eisenstange gelehnt, da und sah zu den kichernden Geschöpfen herüber. Als diese ihn erblickten, nickte er nur kurz den Kopf, strich sich eine aschblonde Strähne aus dem Gesicht und fuhr dabei durch sein fünf Zentimeter langes Haar, das sich dadurch nach hinten richtete. Leichte Ansätze an Muskeln waren an seinen Oberarmen zu erkennen, was ihn für manche noch begehrenswerter erscheinen ließ.

Neben ihm übte sich sein Freund Skale gerade an Klimmzügen und lächelte währenddessen ebenfalls den Leuten auf der anderen Seite zu. In mitten all dieser Menschen befand sich auch ein kleines Mädchen, die von der Krone des Baumes aus die derzeitigen Situationen still und heimlich beobachtete. Ihre schulterlangen, goldenen Haare hingen an ihrem grazilen Kopf herunter. Die Augen so grün wie frisches Gras im Sommer, blickten auf den gutaussehenden Jungen herab. Sie kletterte weiter hinauf, bis sie sich auf einer Astgabel hinsetzen konnte. Ihre Knie waren aufgeschürft und rot, doch das störte sie nicht. Das Mädchen war die brennenden Schmerzen schon gewohnt und auch die Kratzer an beiden Händen hielten sie nicht auf, weiter auf dem Baum zu verweilen. Die raue Rinde fühlte sich auf ihren nackten Füßen beruhigend an, es gab ihr ein Gefühl von Sicherheit. Von der Seite streifte sie ein Ahornblatt, das sie an ihrer rötlich angehauchten, kindlichen Wange kitzelte, und sie kratzte sich. Einige Minuten verstrichen bis sie ihre Aufmerksamkeit etwas anderem schenkte.

Ganz weit hinten an der Schulmauer saß dieser lesende Bub. Er war ziemlich dürr, hatte braunes, kurz geschorenes Haar und die Knie zu sich gezogen. Wie ihre waren auch seine mit Wunden gekennzeichnet. Sie wusste nicht, was für ein Gefühl sie bei diesem Jungen haben sollte. Einerseits war er ihr recht sympathisch, weil er ihr nicht auf die Nerven ging. Immerhin saß er die ganze Zeit über am Boden und las. Andererseits war er ihr unheimlich, weil er eben nichts tat, außer zu lesen.

Hatte er denn kein Interesse an der Natur? Oder an Spielen? Und das Letzte, was sie nach Freundlichkeit und Angst empfand, war Mitleid. Er sah so traurig und alleine aus. Doch zu ihm gehen, wollte sie auch nicht. Sie war eine Einzelgängerin, so viel stand fest. Und so geschah es, dass sie die Prügel, die der einsame Junge von Bug bezog, nur von ihrem Versteck aus betrachtete, und sich nicht für ihn einsetzte. Das Mädchen mit dem Gesicht gleich dem eines Engels war eine eiserne Kämpferin seit ihrer Geburt. Doch diese Überlebenskünste setzte sie ausschließlich für sich selbst ein, und nicht für andere.

Es war die erste Lektion, die sie in ihrem Leben gelernt hatte: Sei ein Egoist, oder du wirst es nicht überstehen.


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