[36] Samuel

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              Meine leisen Schritte hörte ich zu mir mehrmals zurückkehren. Es war so still hier. Die Häuser schienen in einem leicht bläulichen Licht zu schimmern in dem Mondlicht, die Hälfte war aber völlig abgedunkelt. Der Weg vor mir ging bergab, ich hatte keine Schwierigkeit damit, die halbe Stadt zu erblicken. Kein Wind. Keine Geräusche. Keine Menschen. Nur ich allein.

Die Stadt schien tot zu sein.

Beim genauen Hinsehen, konnte ich erkennen, dass nicht einmal die Blätter auf den Bäumen sich bewegten, kein Stück. Ein Lächeln huschte über meine Lippen, denn sie sah genauso aus, wie ich sie früher in Erinnerung hatte. Oft war ich nicht in der Stadt, aber sie sah genauso aus wie im Jahr 1883, soweit ich mich erinnern konnte. Selbst die Vorstellung, wie früher die Menschen hier mal vorbei huschten, lies mich schmunzeln. Der Anblick auf meine alte Stadt lies mich in eine Schockstarre versetzen. Ich hatte keine Angst; um genau zu sein, spürte ich gar nichts. Es war nur überwältigend. Dann kam der leise Windhauch um meine Ohren tanzend, woraufhin ich mein Weg fortsetzte.

Ich war zu laut in dieser viel zu leisen Stadt. Als ich im großen Markt angekommen war, welches nicht mehr existierte, machte ich eine Pause. Hier war es perfekt abgelichtet. Als ob der Markt all das Licht vom Mond aufsaugen würde, so hell war es hier. Die Stände der Menschen standen an Ort und Stelle, die Waren lagen frei auf den Tischen und warteten auf ihren Verkauf, nur die Menschen selbst fehlten. War ich nun endgültig weg? Tot? Ich spürte nichts. Weshalb waren meine Gefühle wie ausgeschalten? Der Gedanke, dass ich nun in meiner eigenen Welt war, lies mich wieder lächeln.

Obwohl ich nicht glücklich war.

Ich spürte einfach nur die Leere in mir. Ich lehnte mich gegen den großen Brunnen hinter mir an und beobachtete meine Welt. Der Brunnen stand mitten im Markt, er wurde von Ständen und Häusern umkreist. Die Stille war angenehm, kein Trauer, keine Probleme und kein Schmerz.

Vielleicht gefällt es mir ja hier. Daran würde ich mich zu gerne gewöhnen. Meine Gefühle schienen wie weggeblasen und ich wusste nicht, was ich darüber denken sollte. Hier konnte ich meine Fehler machen, niemand würde verletzt werden. Gab es überhaupt in meinem Leben einen winzigen Augenblick, wo ich sorgenfrei herumgehen konnte? Wie in diesem Moment?

Plop.

Ein Tropfen fiel von der Statur hinter mir, das die Form eines Schutzengels genommen hatte. Der eine Arm war in meine Richtung ausgestreckt. Dann fiel noch eins. Genau von den Fingerspitzen perlte das Tropfen ab. Das war schon unheimlich, ein Geräusch so intensiv und laut zu hören, wenn man sie normalerweise nicht einmal bemerken würde.

Dann - lief ich.

Bergauf. So schnell es ging.

Es traf mich wie ein Blitz, scharf zog sich dieses Gefühl durch meinen Körper. Als ob sie mich kontrollieren würde, als ob mir jemand sagen würde, dass ich sofort dorthin gehen müsste. Ich konnte dagegen nicht ankämpfen, vielleicht wollte ich es ja auch nicht. Das Einzige woran ich dachte, war, dass ich sofort dort sein musste.

Ich befahl meinen Beinen, stehen zu bleiben aber es klappte nicht. Schritt für Schritt wurde es dunkler und schwerer für mich, etwas zu erkennen. Immer weniger Luft gelang in meine Lungen, ich war außer Atem. Noch komischer war, dass ich dieses Gefühl vermisst hatte. Das Brennen in meinen Lungen hatte ich vermisst.

Ich fühlte mich weder stark noch schnell. Wie früher. Vor meinem Tod.

Das Schönste war, dass ich jede einzelne Zelle meines Körpers spürte. Selbst mein Herz hörte ich schlagen, bei dieser Stille. Ich konnte nichts anderes tun, als meine Hände gegen meine Brust zu drücken, um den leichten Druck gegen meine Handfläche zu spüren. Wo war ich?

You Can't EscapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt