[16] Geheimnis

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Immer noch war er zerstört vor mir und ich sah, wie wenige Tränen seine Wangen runter liefen. Was war passiert, dass dieses Geheimnis diesen Jungen zum Weinen gebracht hatte? Einem Jungen, der an die Einsamkeit gewöhnt war und der Schmerzen in und auswendig kannte. Was für ein Geheimnis konnte für ihn schmerzhafter sein, als seine grausamen Lebenstage und sein Verlust? Wollte ich sein Geheimnis wirklich hören?

Seine Hände glitten langsam durch sein Gesicht um ihn frei von den Tränen zu bekommen, danach ging er kurz durch seine Haare und schaute mich gleich wieder an. Mir wurde ganz heiß, ich wusste, dass er eine Reaktion von mir erwartete. Aber in diesem Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte. Er wollte mir ein Geheimnis beichten, was ihn fertig machte und in den paar Sekunden zerbrach ich mir den Kopf darüber, was es sein könnte. Was, wenn es ein Geheimnis über mich war? Oder noch schlimmer, über meine Mum. Wenn ihr was passiert wäre, würde ich mich selbst zerstören, dass ich zu schwach war gegen ihn anzukämpfen und um ihn zu entkommen. Doch je mehr ich darüber überlegte, desto unlogischer kam es für mich vor. Er wäre doch niemals wegen mir so traurig und kaputt. Je länger ich in diesem Haus feststeckte, desto schlimmer würde es werden. Wieso schaffte ich es nicht einfach abzuhauen, was hielt mich hier fest? Je mehr ich über meine Mum nachdachte, desto schneller wollte ich hier weg und bei ihr sein. Der einzige, der mir im Weg war, war Darvin und er tat alles, damit ich blieb. Eigentlich tat er ja nicht alles, er machte es einfach, dass ich blieb. Er zwang mich dazu.

"Willst du es mir nicht erzählen?" sagte ich und war durchaus froh endlich etwas gesagt zu haben. Darvin und ich saßen auf dem Boden gegenüber und sein Gesicht war die ganze Zeit auf den Boden gerichtet. Er sah nachdenklich aus und ich würde zu gerne wissen worüber er nachdenkt. Wieso hatte ich seine Fähigkeit auch nicht? Oh Gott, wie dann vieles leichter werden würde. Einfach von jedem in den Kopf eindringen zu können und alles zu wissen, bevor er seine Gedanken aussprechen könnte oder eben nicht. Er machte seinen Mund auf, um was zu sagen und das machte mich schon ganz nervös. "Ich-" fing er an aber machte danach schnell wieder stopp. Ich sah, wie er versuchte, die richtigen Wörter zu finden.

"Sag es mir." flüsterte ich und versuchte meine zittrigen Hände unter Kontrolle zu halten indem ich sie zu Fäusten ballte.

"Erinnerst du dich was ich dir erzählt hatte?" fragte er mich schließlich. Ich machte einen fragenden Gesichtsausdruck, da ich nicht wusste, was er meinte. Er kapierte es sofort und versuchte mir auf die Sprünge zu helfen. "Den Tag, wo ich dir sagte, mein Vater hätte Katelyn umgebracht. Erinnerst du dich daran, Liebes?"

Mit einem kurzen Nicken bestätigte ich seine Frage. Das tat ich tatsächlich ganz genau, er war nicht gut auf sie anzusprechen. Sie war seine Schwachstelle. Das bemerkte ich ab dem ersten Tag in diesem Haus, wo er mich zum ersten Mal mit ihren Namen ansprach. Mein Blick ging ganz kurz hinunter zu seinen Händen und ich sah wie er sie zappelig auf seinem Schoß tippte. "Was, wenn ich dir erzähle, dass es nicht so war?" sagte er und atmete tief ein, um danach gleich den Satz zu beenden. "Denn ich habe sie getötet, Chloe." sagte er schließlich immer leiser werdend.

Seine Wörter realisierte ich nicht für ein paar Sekunden. Ich wiederholte seinen Satz in meinem Kopf. 'Ich habe sie getötet.' hatte er gesagt. Darvin hatte seine große Liebe ermordet? Er war unsterblich in sie verliebt. Wieso kam mir das unmöglich vor?

"Was redest du da? Das stimmt nicht. Du hast sie nicht umgebracht." sagte ich und versuchte mir das selber einzureden. Ich wollte nicht, dass das wahr ist. Sonst würde es bedeuten, dass ich mit einem Mörder eingesperrt war. Ein Mörder, der dazu fähig war seine Liebsten umzubringen. "Du hast mir erzählt, dein eigener Vater war das."

Doch er schüttelte einfach den Kopf und sprach weiter:" Ich war es und es zerstört mich, dass zu wissen. Das zu wissen macht mich schwach und ich wünsche mir einfach sterblich zu sein genau wie du, damit ich das alles beenden könnte."

You Can't EscapeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt