Fakt sechzehn

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Fakt sechzehn: Du denkst, du kennst die Menschen? Du irrst dich.


Es dauerte drei Tage, bis Jared zurückkam.
Drei Tage, in denen Ira in der Nacht weinte.
Drei Tage, in denen er glaubte, ich würde es nicht bemerken.
Drei Tage, in denen ich Angst hatte, irgendetwas auf dieser Insel könnte gefährlich sein.
Dann tauchte plötzlich Jared's schmutziges, zerkratztes Gesicht aus dem Geäst aus, welches mehr als zuvor blutete. Sein rechtes Auge war geschwollen, sowie seine Lippen. Als er den Strand betrat, blieb die Zeit stehen. Alle Geräusche verebbten in meinen Ohren und so viele Fragen taten sich auf. Ich bemerkte, dass er humpelte.
„Jared!", rief ich und stand wie gelähmt von meinem Platz auf. Meine Stimme hörte sich an, als wäre ich unter Wasser. Ich suchte mit den Augen nach Ira, doch er war gerade losgegangen, um Wasser zu holen. „Wo warst du?" Ich zitterte, obwohl mir warm war.
Was war mit ihm passiert?
„Unterwegs", murrte er und kratzte sich im Gesicht, welches mittlerweile einen kurzen Bart hatte.
„Wir haben dich gesucht!", sagte ich und versperrte ihm den Weg. Ich hätte wissen müssen, dass er mich nur mit einem Arm mühelos beiseite schob, sodass ich beinahe hinfiel. Doch so leicht ließ ich mich mit Sicherheit nicht von ihm abwimmeln!
„Offenbar am falschen Ort", antwortete er bloß und sah mir für einen kurzen Moment in die Augen. Die darin liegende Kälte ließ mir das Blut in den Adern gefrieren.
„Hey!", schrie ich, als er sich an mir vorbeidrängte und aufs Wasser zuging. Ohne auch nur eine Sekunde zu zögern, stieg er ins Meer. Ich lief ihm hinterher. Er war zu lange weg gewesen, als das ich jetzt einfach so aufgeben konnte. Die Kleidung klebte mir bereits am Körper, als ich ihn erreichte. Doch das kühle Wasser half mir, etwas runterzukommen und tief durchzuatmen.
„Du warst ziemlich lange weg", versuchte ich es nun ruhiger. Jared jedoch würdigte mich keines Blickes. Er griff an den Saum seines Shirts und zog es sich kurzerhand über den Kopf, um es dann ins Wasser zu tauchen.
Zugegeben, kurzzeitig vergaß ich zu atmen. Er sah nicht nur gut aus. Er sah verdammt gut aus. Auch wenn sein gesamter Oberkörper zerkratzt war und einige blaue Flecken und Blutergüsse ihn zierten, änderte es nichts an seinen Bauchmuskeln, welche meinen Blick auf sich zogen. Ich hatte zuvor nie bemerkt, dass er so muskulös war. Wie viel Sport er wohl trieb?
„Gaff mich nicht so an, Mädchen." Er spuckte die Worte förmlich aus, was mich zusammenzucken ließ. Ich war mir nicht sicher, aber ich glaubte, ich lief rot an. Sein Shirt benutzte er als eine Art Schwamm, um sich den Dreck vom Körper zu waschen.
„Ich habe die Insel erkundet. Du wolltest ja nicht mitkommen", sagte er nach einer Weile. Nun klang er nicht mehr ganz so, als wolle er mich mit seinen Worten vergiften. „Hätte lustig werden können."
Okay, ich musste mir genau überlegen, was ich als Nächstes sagen wollte. Nicht, dass er wieder dicht machen würde.
„Und was hast du gefunden?", fragte ich also, war mir aber nicht sicher, ob es die beste Frage gewesen war. Nebenbei warf ich einen Blick zum Strand, um zu sehen, ob Ira wieder da war. Vielleicht würde Jared ihm mehr erzählen als mir?
„Gar nichts", murmelte er plötzlich. Aber es klang absolut nicht ehrlich.
„Was ist mit dir passiert?" Na gut, das war jetzt nicht schlau gewesen. Er machte ein abschätzendes Geräusch und schüttelte bloß den Kopf. Doch langsam machte mich seine Art wirklich wütend. Wieso sagte er nicht, was er gesehen hatte? Wieso log er?
„Hör zu, Jared", zischte ich. „Wenn du irgendetwas gesehen hast oder was weißt, was uns helfen könnte von dieser verdammten Insel runterzukommen, dann musst du es mir sagen! Jetzt!" Meine Knie zitterten, doch zum Glück konnte er das unter Wasser nicht sehen. Fast kamen mir die Tränen und plötzlich vermisste ich meine Mom so sehr, dass es mich mit voller Wucht traf. Ich wünschte mir so sehr, sie wäre hier und könnte all das für mich regeln. Die Verantwortung, die nun auf meinen Schultern lastete, gefiel mir nicht. Ich mochte es nicht, auf mich allein gestellt zu sein.
„Jared... Ich will zu meiner Mom", flüsterte ich und es war mir egal, dass er mich nun für ein Kind halten musste.
„Denkst du allen ernstes, du wärst die Einzige, die nach Hause will, Mädchen? Wir sitzen hier alle fest und keiner weiß, ob und wann wir gefunden werden! Mir macht es auch keinen Spaß mit zwei Vollidioten zusammenzusitzen." Jared schrie. Vollidioten, ja?
„Was bildest du dir ein, so mit mir zu sprechen?" Auch ich wurde nun laut. Gott, hatte ich Stimmungsschwankungen ...
„Weil du einfach nicht begreifen willst, dass auch ich Familie habe!" Seine Stimme wurde ruhiger, dennoch funkelten seine Augen wütend. „Ich will auch zurück. Zu meinerTochter."


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