Fakt sieben

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Fakt sieben: Vertraue niemanden. Denn Vertrauen ist ein Luxus, welchen man sich nicht zugestehen sollte.


Es fiel mir nicht leicht zu laufen. Ich schaffte es gerade eben aus der Sichtweite von Jared zu sein, als ich mich wieder im weichen Sand niederließ. Eigentlich hätte ich lieber unter den Bäumen im Schatten gesessen, doch der Gedanke an irgendwelche gruseligen Tiere ließ mich davon abbringen. Nach diesem kleinen Fußmarsch hatten sich die Schmerzen etwas verstärkt. Der Intensivste war in meinem Kopf. Es pochte und dröhnte und kurzzeitig wurde mir immer mal wieder schwindelig. Dann waren da noch meine Rippen. Zwar hatte ich keine Ahnung von Verletzungen (war ja nicht so, als hätte ich jemals welche gehabt) aber ich war ziemlich sicher, dass sie zumindest geprellt, wenn nicht sogar gebrochen waren. Die Hitze machte mir so zu schaffen, dass ich mein T-Shirt auszog und mir den Schweiß damit aus dem Gesicht wischte. Es stank ganz furchtbar.
Zum ersten Mal war ich wirklich froh darüber, ein dünnes Top darunter anzuhaben. Meine Hosenbeine krempelte ich so weit es ging nach oben.
Plötzlich, aus der Stille heraus, hörte ich jemanden schreien.„Feuer", rief er. Oh mein Gott. Wo? Hektisch sah ich mich um und überlegte schon, wo ich hinlaufen und Schutz suchen konnte.
„Wir brauchen ein Feuer!" Wie bitte? Ich konnte nicht leugnen, dass ich erleichtert war. Mit zusammengebissenen Zähnen ging ich wieder zu Jared rüber und sah bei ihm einen Jungen mit kurz geschorenen blondem Haar und einem Superman T-Shirt und der eindeutig mindestens zwanzig Pfund zu viel wog – Ira.
„Ach, er darf herumschreien?" Meine Stimme klang bissig, ganz sowie ich es gewollt hatte.
„Nein", antwortete Jared. Sein wutfunkelnder Blick galt seinem Neffen.
Ira's Gesicht war leicht zerkratzt, sowie auch seine Arme. Ein wenig Blut floss aus einigen Schrammen, aber sonst schien er nicht weiter verletzt zu sein. Jedenfalls nicht offensichtlich. Er wirkte aufgeregt.
„Nun erzähl schon", forderte ich ihn auf und blickte weiterhinin seine Richtung.
„Hi Liv", sagte er, wobei es mich wunderte, dass er meinen Namen kannte. „Ein Feuer. Wir machen ein Feuer hier am Strand, damit man uns bemerkt. In Filmen wird das immer so gemacht. Das ist das allererste."
„Gut." Ich nickte. „Ich sammle Holz."
Die erste Veränderung, die ich bemerkte – mal davon abgesehen, dass wir gestrandet waren – war, dass ich mein Zeitgefühl verlor. Als ich im Wald herumwanderte, konnte ich nicht einschätzen, wie lange ich dies schon tat. Ich achtete akribisch darauf, dass ich den Strand nicht aus den Augen verlor. Schlimmer als gestrandet zu sein, wäre vermutlich sich auf ebendieser Insel im tiefem Geäst zu verlaufen. Gott, ich hatte ja auch keine Ahnung, wie groß diese Insel überhaupt war oder ob irgendwelche Menschen hier lebten.
Im Wald war es nicht ganz so heiß wie am Strand, trotzdem war die Luft schwül und feucht und wurde nach einer Weile unerträglich. Ich bekam größeren Durst als ich erwartet hatte. Mir wurde klar, dass wir schnell Wasser finden mussten. Ohne Wasser konnten wir keine zwei Tage in dieser Hitze überleben. Ich rechnete damit, dass es mindestens einen Tag, vielleicht auch zwei oder drei dauerte, bis man uns fand. Erst einmal mussten wir vermisst werden. Trotz Jared's gespieltem Optimismus hatte ich Hoffnung.
Ich sammelte so viel Holz, dass ich es kaum mehr tragen konnte. Auf den Weg zu den beiden anderen fielen mir zwei oder drei Stücke wieder runter und ich hatte keine Hand frei, sie wieder aufzuheben.
„Hätte ich nicht gedacht", sagte Jared, als er mich sah. Er war gerade dabei einen Haufen Holz zu stapeln.
„Was?", fragte ich und ließ meinen Anteil in den Sand fallen. Beim Geräusch der aufeinanderprallenden Hölzer zuckte ich leicht zusammen.
„Ich hab erwartet, du würdest mit ein paar kleinen Stöckchen zurückkommen. Aber mit denen hier" Er zeigte vor meine Füße. „kann man tatsächlich etwas anfangen."
Ich schnaubte verächtlich. Wofür hielt dieser Kerl mich?!
Doch bevor ich auch nur irgendetwas erwidern konnte, sprach er weiter.
„Ira sucht grade die nähere Umgebung nach Wasser ab. Ich komm hier alleine klar. Wäre gut, wenn du ihm suchen helfen würdest. Wasser ist das, was wir jetzt dringend brauchen."

Forgotten IslandWhere stories live. Discover now