Fakt zwölf

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Fakt zwölf: Wer suchet' der findet nicht.


„Du hast meinen Snickers gegessen", rief ich und rannte wutentbrannt auf Ira zu.
Eben erst hatte ich meinen Rucksack ausgepackt. Mein brauner Teddybär, den ich unbedingt dabei haben wollte, war hier.  Außerdem etwas Unterwäsche, Deospray, Schminkzeug, Paracetamol, eine Flasche Cola, mein Handy (welches natürlich jetzt komplett hinüber war). Was fehlte, war mein Snickers.
Als ich vor ihm stand, sah er nicht gerade schuldbewusst aus. „Ihr wart lange weg", sagte er und zuckte beinahe gleichgültig mit den Achseln. „Ich hatte nichts zu essen und dort, wo ich was gefunden habe, komme ich alleine nicht ran."
„Das gibt dir noch lange nicht das Recht", schrie ich, brach aber schnell wieder ab. „Warte, hast du gerade gesagt, du hättest Essen gefunden?"
Ira lachte, nahm mein Handgelenk und zog mich Richtung Dschungel. Widerwillig ging ich mit. „Wir sind echt nicht für eine Insel geschaffen. Das Einzige, was wir hätten tun müssen, wäre mal nach oben zu gucken." Hä? „Direkt am Strand sind Palmen. Und wo Palmen sind, sind auch Kokosnüsse. Und wenn man weiter rein geht, findet man Bananenbäume. Aber die Dinger wachsen ziemlich weit oben und ... na ja, klettern ist jetzt nicht wirklich drin bei mir."
Auch ich fing an zu lachen. Vermutlich weil ich völlig dehydriert war. Oder einfach nur irre.
Sekunden später stand ich unter einer Palme, die mindestens vier Kokosnüsse trug. Daneben standen weitere. Sie war ziemlich groß, aber gebogen.
„Hast du mal versucht, einen Stein zu werfen?", fragte ich.
„So schlau war ich auch schon, Liv", antwortete er und wirkte dabei fast schon beleidigt. „Aber entweder sind die zu klein und bewirken nichts, oder zu groß, sodass sie nicht mal annähernd an eine Kokosnuss kommen."
Ich dachte einen Augenblick darüber nach, aber eigentlich war es schon klar, was zu tun war.
„Komm, hilf mir rauf", sagte ich und platzierte Ira an die Stelle, wo ich die besten Chancen zum klettern hatte. Er legte seine Hände so zusammen, dass ich mich mit einem Fuß draufstellen konnte. Meine eigenen Hände legte ich auf den Stamm, dann stieß ich mich ab, nur um kurz danach wieder im Sand zu liegen.
„Mist", rief ich aus und hielt mir meine Rippen. Der Schmerz trieb mir die Schwärze vor die Augen.
„Alles okay?", murmelte Ira und stand dämlich über mir. Ich wollte diese Kokosnuss. Unbedingt!
„Ja, gleich nochmal", sagte ich also und stand wieder auf. Kurz verharrte ich, dann stellte ich mich wieder vor die Palme. „Versuch mehr mich hochzudrücken okay? Und halt mich irgendwie, jedenfalls solange, bis ich einigermaßen sicher bin."
Dieses Mal schaffte ich es, mich am Baum festzuhalten. Ich klammerte mich mit aller Kraft an das raue Material. Langsam und geduldig zog ich mich immer weiter nach oben und hielt meine Beine fest umschlungen.
„Du könntest jetzt rankommen", rief Ira mir zu und ich sah, wie er etwas Abstand nahm.
Okay, da war sie. Ich konnte ihre braune Hülle sehen.
Ich atmete einmal tief ein, dann löste ich eine Hand und probierte nach der Kokosnuss zu schlagen. Meine Fingerspitzen berührten lediglich die holzige Schale.
„Noch etwas näher." Ach nee.
Mit aller Kraft, die noch in mir steckte (was ganz sicher nicht viel war), robbte ich noch ein Stück höher und schlug noch einmal heftig gegen die Kokosnuss. Mit einem dumpfen Geräusch landete sie im Sand.
„Klasse", sagte Ira , ließ mich los und sammelte sie auf. „Und jetzt noch eine." Mein gesamter Körper war vom Schweiß durchtränkt und mir war schwindelig. Und Ira erwartete, dass ich noch eine beschaffte. Aber ich sah ein, dass eine eindeutig nicht ausreichen würde.
Als ich es tatsächlich geschafft hatte, eine weitere von der Palme zu schlagen, rutschte ich so weit runter, bis ich springen konnte. Der weiche Untergrund fing mich dieses mal wunderbar auf und dennoch verspürte ich ein Ziehen, gefolgt von einem unerträglichen Pochen in meinem Oberkörper. Ira war schon dabei, eine der Kokosnüsse auf einen Stein zu schlagen, um sie zu öffnen.
Nach ein paar harten Schlägen, hörte ich es knacken und die Kokosnuss teilte sich. Es war keine saubere Trennung und etwas von der Milch ging daneben, aber das Fleisch konnte man noch immer essen. Ira reichte mir eine Hälfte.
Gierig trank ich das letzte bisschen Flüssigkeit und begann mit meinen Fingern das Essbare auszuscharben.
„Wir gehen ihn gleich suchen", sagte Ira mit vollem Mund. Bitte was? Das konnte er nicht ernst meinen?
„Er wird schon wiederkommen. Im Dschungel werden wir ihn nie finden", sagte ich zuversichtlich, wusste aber nicht, ob ich selbst daran glaubte.
„Jared ist alleine. Wir sind zu zweit. Ich will ihn suchen! Und ich möchte, dass du mitkommst. Immerhin hast du ihn alleine gelassen." Das war ja wohl andersherum gewesen. Doch in seinem Gesicht war deutlich lesbar, dass er sich wirkliche Sorgen machte. „Und du kennst den Weg, Liv. Ich wüsste noch nicht einmal, wo ihr euch getrennt habt."
Innerlich spürte ich, wie ich nachgab. Warum musste man mich soleicht überreden können? Mitgefühl war schon immer mein Fluch gewesen.
„Es ist noch nicht lange her. Gib ihm noch einen Tag. Wenn er bis dahin nicht zurück ist, machen wir uns auf den Weg."
Ira dachte einen Moment darüber nach. Dann nickte er. „Gut. Einen Tag."

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