Fakt eins - fünf

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Fakt eins: Schon seit ich ein kleines Mädchen war, träumte ich davon in einem Paradies zu leben.

Fakt zwei: Nichts wünschte ich mir sehnlicher, als geliebt zu werden.

Fakt drei: Nie hätte ich gedacht, dass mir etwas Schlimmes zustoßen könnte.

Fakt vier: Ich war gestrandet.

Fakt fünf: Man sollte vorsichtig sein mit seinen Wünschen.

Das sanfte, stetige Geräusch der Wellen riss mich langsam, aber erbarmungslos aus meinem unruhigen Schlaf. Zuerst spürte ich bloß das grelle Licht, welches in meinen Augen schmerzte und mir die Möglichkeit nahm, etwas zu sehen. Doch als ich meine Sinne weiter ausbreitete, fühlte sich das Material unter meinem Körper nicht wie mein Bett an. Es war weich, warm und irgendwie ... körnig. Ich stützte mich mit meinen Händen ab und richtete mich auf. Das Pochen in meinem Kopf fiel mir fast gar nicht auf, als mir die Idee kam zu schreien. Meine Stimme jedoch hatte nicht vor, sich meinem Willen zu beugen. In meiner Lunge schien keine Luft übrig zu sein, die ich hätte ausstoßen können und selbst wenn, fühlte mein Hals sich an, als hätte man ihn von innen wirklich gründlich mit Schmirgelpapier bearbeitet. Ich hätte gerne behauptet, dass mein Herz in einer schwindelerregenden Geschwindigkeit gegen meine vermutlich geprellten Rippen schlug, doch um ehrlich zu sein, wusste ich in diesem Augenblick nicht, ob es überhaupt noch bereit war zu schlagen. An sich war der Anblick, der sich mir bot nicht erschreckend. Ich war schließlich nicht in irgendeinem einsamen, schäbigen Keller gefangen, mit einer einzigen nackten Glühbirne als Lichtquelle. Nein, ich schien hier deutlich mehr Platz zu haben. Meine Beine hockten im nachgiebigem, weißem Sand und mein erster Blick fiel auf große, geschwungene Palmen. Der Sand erstreckte sich noch einige hundert Meter vor mir, bis er augenscheinlich in einem waldähnlichen Gebiet mit tropischen Pflanzen überging. Es dauerte vermutlich ein paar Minuten, bis ich meinen Körper dazu bringen konnte, sich einfach mal umzudrehen. Und ehrlich, ich hätte heulen können.
Spätestens als ich das türkis, durchsichtige Wasser sah, welches durch die hoch am Himmel stehende Sonne wie Millionen Diamanten funkelte, wusste ich, wo ich war. Gleichzeitig aber auch, wusste ich, dass ich hier nicht sein sollte.
Jetzt, endlich, schien ich die Kraft gefunden zu haben, die ich benötigte, um zu schreien. Es fühlte sich seltsam befreiend an und war doch zugleich von Panik erfüllt. Vermutlich hätte ich tausend Gedanken haben sollen, mein Gehirn hätte mehrere logische Erklärungen finden müssen, um mich zu beruhigen, doch alles in mir fühlte sich eigenartig leer an.
Ich bemerkte nicht einmal, wie jemand auf mich zugerannt kam und nahm es erst wahr, als ich zu Boden geworfen wurde.
„Sei still!", befahl mir jemand zischend, dessen kräftige Hand meinen Mund zuhielt, sich aber auch versehentlich auf meine Nase legte. Ich starrte in ein paar strahlendblaue Augen in einem schmutzigen Gesicht.
Verzweifelt versuchte ich seinen Arm von mir wegzudrücken, doch ich erreichte lediglich, dass er seine Muskeln ein wenig mehr anspannte. Es war vollkommen offensichtlich, dass es ihm keine Mühe bereitete.
Ich bemerkte, dass ich noch immer schrie, nur wurde meine Stimme jetzt gedämpft. Und langsam dämmerte mir auch, wen ich vor mir hatte ...
„Wenn ich dich gleich loslasse, hörst du dann auf zu schreien?", fragte er,  wobei ich glaubte, nicht einmal eine Wahl zu haben. Seine Augen funkelten wütend und sein Mund formte sich zu einem dünnen Strich. Ich nickte so gut ich konnte und als er daraufhin endlich seine Hand von mir nahm, ließ ich erleichtert die süße Luft in meine Lungen.
Mein darauffolgendes Zittern konnte ich nicht unter Kontrolle halten.
„Wir sollten uns besser nicht bemerkbar machen, bis wir wissen, woran wir hier sind." Ich verstand nicht und sah ihn vermutlich fragend an, sodass er noch etwas hinzufügte. „Bevor wir wissen, wer hier noch sein könnte."
„Was ist passiert?", brachte ich hervor. Das Sprechen tat in meinem wunden Hals weh und in meinem Mund schmeckte es furchtbar salzig. Eigentlich wäre diese Frage überflüssig gewesen, denn als ich anfing in meinen Erinnerungen zu kramen und den Mann vor mir erkannte, kamen die Geschehnisse zurück.
Ich hatte mit meiner besten Freundin Lacey einen Urlaub zusammen verbringen wollen. Da wir aber beide noch minderjährig waren, ging dies nicht ohne Erwachsene, jedenfalls laut unserer Eltern. Doch Lacey war mit ihrer Familie schon eine Woche zuvor auf eine Insel in der Nähe Australiens geflogen. Die Abmachung besagte, dass ich nachkommen sollte. Ich flog also erst nach Sydney, um von dort aus eine Maschine zu der Insel zu nehmen, doch am Flughafen ging dann alles schief. Aus mir unbekannten Gründen wurde mein Flug - und auch weitere Flüge – gestrichen und ich hatte nicht viel Geld um mir für ein paar Nächte ein Hotelzimmer zu nehmen. Außerdem hätte es die Zeit mit Lacey verkürzt. Also fand ich jemanden, der mich privat in einem kleinen Hubschrauber auf die Insel fliegen wollte. Er nahm nicht viel Geld für den Flug, dafür kam sein schätzungsweise zehn Jahre jüngerer Neffe mit, der vermutlich bloß ein paar Jahre älter war, als ich selbst. Nachdem wir etwa eine Stunde in der Luft gewesen waren, hatte der Pilot  die Orientierung verloren. Seine Unfähigkeit erklärte den günstigen Preis, den ich angeboten bekommen hatte. Zu allem Übel gerieten wir in einen Sturm. Ab dann war alles Schwarz.

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