Kapitel 31

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Cia

Ich bin eine Ferox. Nie hätte ich für möglich gehalten, dass ich diesen Satz einmal sagen werde. Aber tatsächlich ist es so. Ich bin eine Ferox. Glücklich drücke ich mich an Claire und Peter. Für den Moment vergesse ich, was auf uns dreien lastet wie ein Klotz Beton, jetzt gibt es nur noch uns und das Gefühl von Erleichterung. Zwischen uns ist es nicht mehr wie früher, Lügen liegen zwischen uns und unsere gegenseitige Geheimnisse voreinander tun mir mehr weh als uch zugeben mag. Wieso haben wir bloß aufgehört miteinander zu reden? Weder Peter, noch Claire oder ich sagen in letzter Zeit die Wahrheit zu den anderen, wir belügen uns. Warum? Keine Ahnung. Ich verstehe nicht einmal selbst, warum ich Claire und Peter von dem Angriff nicht erzählt habe. Aber Four meint, es wäre besser niemanden davon zu erzählen. Vorerst. Auch wenn ich das Gefühl besitze, die beiden wissen längst davon Bescheid. Doch woher? Claire würde mir ja vielleicht noch leuchten, so schlau wie sie ist, ist sie sicherlich darauf gekommen, was hier vor sich geht. Aber Peter? Wie um Himmels sollte Peter davon wissen? Hat Claire im vielleicht etwas erzählt? Und würde sie es mir dann nicht auch sagen? Fragen über Fragen. Und auf keine einzige habe ich eine Antwort. Doch Hier und Jetzt, mitten in den Ferox, ist es vollkommen unwichtig, was zwischen uns liegt. Wir haben es geschafft. Wir alle.

"Cia" Ich drehe mich herum als ich Fours Stimme wahrnehme. Sein Blick sieht ernst aus und er deutet mir unauffällig an, ihm zu folgen. Ohne einen Blick auf Claire und Peter zu werfen, schlängel ich mich durch die Menge, immer die Augen auf seinen dunklen Hinterkopf gerichtet. Aus den Augenwinkeln nehme ich wahr, wie ein paar Ferox uns zu verfolgen scheinen. In ihnen Hände glitzern silberne Gegenstände. Zu spät wird mir klar, dass es sich dabei um Spritzen handelt.

Angst.

Das ist es, was ich jetzt fühle. Der Angriff. Natürlich. Aber so früh? Panik ergreift mich. Was sollen wir nun tun? Und wo sind Claire und Peter? In Sicherheit? Ich spüre wie Fours Hand sich um mein Handgelenk legen und mich eilig weiterziehen. Er führt mich in einen dunklen Gang und dreht sich rum. Dann zieht er mich mit einem Mal fest an sich. Ich kann spüren, wie etwas hart gegen meine Hüfte drückt, dann nicht mehr. "Nicht umdrehen" flüstert Four in mein Ohr. Dann gibt es einen lauten Knall.
Es dauert bis ich bemerke, dass es sich um einen Waffenschuss handelt. Und diese Waffe hat Four betätigt. Ich zucke furchtbar zusammen, besonders als ein paar Sekunden später ein dumpfer Aufprall zu hören ist. Tot. Wen auch immer die Waffe getroffen hat, er ist tot. Four hat ihn getötet. Langsam geht dieser rückwerts mit mir weiter, mich fest an sich gepresst, die Waffe entsichert. Ich will mich umdrehen, mir das Gesicht der Leiche anschauen, aber Four zwingt mich, den Kopf weiterhin in seinen Oberkörper zu drücken. "Ich sagte, nicht umdrehen" Dann mit einem Mal dreht er uns beide rum, hebt den Arm über die Schultern und schießt erneut. Dieses mal aber kommen Schüsse zurück. Noch mehr Panik ergreift mich. Zwar hat man uns beigebracht, wie man mit einer Waffe umgeht, aber selbst bei einem Feuergefecht dabei zu sein ist noch einmal etwas anderes. Ich spüre, wie Four mich nach vorne schubst. "Lauf!" Er rennt los, wobei er mich einfach mitzieht. Verwirrt und verängstigt laufe ich mit, als Four mich uns um eine Ecke wirft und sich herum wendet um zu schießen. Blitzschnell duckt er sich wieder, als die Kugel haarscharf an der Wand abprallen. Four greift unter sein Shirt und zieht eine zweite Pistole hervor. Diese drückt er mir an die Brust. "Lauf und schieß wenn nötig. Wir treffen uns an der Schlucht." Perplex sehe ich ihn an, aber Four sieht mich nur eindringlich an. "Ich sagte Lauf!!" Mein Körper reagiert vor meinem Gehirn, ich springe auf und renne los, lasse Four alleine zurück. Ich weiß nicht einmal wohin ich renne. Doch, zur Schlucht hat Four gesagt, oder? Also laufe ich so schnell ich kann durch die dunklen Gänge und bete darum niemanden zu begegnen. Die Waffe in meinen Hände zittert, sie sind so schwitzig, dass ich Angst habe die Waffe fallen zu lassen. Als ich das Rauschen des Wasserfalles höre, verlangsame ich meine Schritte und erst jetzt wird mir bewusst, dass ich Four zurück gelassen habe. Ob es ihm überhaupt gut geht? Was soll ich tun, wenn er tot ist? Halt, so etwas darfst du nicht denken Cia! Wir reden hier von Four! Dem unbesiegbaren Four! Eine Kugel bringt selbst den stärksten Soldaten zu Fall. Zum Glück bleibt mir nicht viel Zeit diese Gedanken auszuführen, denn nun höre ich Schritte hinter mir. Ich wirbel herum und ziehe die Waffe hoch, die Finger halb abgezogen. Four hebt schnell die Hände hoch. "Ganz ruhig, ich bin es nur" meint er eindringlich und beruhigend zu gleich. Ich lasse die Waffe ein paar Zentimeter sinken, aber was ich dann sehe gleicht einem Apltraum. Keine 5 Meter hinter Four entfernt, steht ein schwarzer Ferox, sein Gesicht ist verdeckt, der Lauf seiner Waffe zeigt auf Four. "Four pass auf!!" schreie ich. Doch da ist es schon passiert. Die nächsten Sekunden geschehen so schnell, dass ich es nicht kontrollieren kann. Ich weiß, dass Four nicht rechtzeitig schießen kann, also drücke ich ab. Es gibt einen Knall. Fast hätte der Rückstoß mich zu Boden geworfen, aber durch die Übung während der Initation bin ich daran gewohnt den Schwung abzufedern. Nur das Gefühl des Triumphes bleibt aus. Statdessen breitet sich ein Gefühl des Schockes in mir aus, als ich sehe, wie der regungslose Körper widerstandlos zu Boden fällt und dunkelrote Flüssigkeit sich an den Wänden verteilt. Mit dem dumpfen Aufprall wird mir etwas bewusst: Ich habe soeben das erste Mal einen Menschen getötet. Ich habe einen Menschen getötet. Ich habe abgedrückt. Er konnte nicht einmal ausweichen. "Cia!" Four packt mich an den Armen und sieht mir tief in die Augen. "Wir müssen weiter" Ich höre ihn und verstehe seine Worte, aber mein Körper reagiert nicht. Ich habe einen Menschen getötet. Mein ehemaliger Ausbilder zieht mich weiter die Gänge entlang. Ich habe einfach abgedrückt. Ich bleibe stehen. Er konnte nicht einmal ausweichen. Meine Welt schwankt und ich lehne mich gegen die Wand. Four bleibt stehen und stellt sich vor mich. "Cia wir müssen-" - "Ich habe einen Menschen getötet" Als ich es lautausspreche, klingt es noch hundertmal schlimmer. "Ich habe ihn getötet" Meine Hand findet den Weg zu meinem Mund, der vor Schock aufgerissen ist. Tränen laufen wir über die Wangen und mein ganzer Körper zittert. "Cia, du hattest keine Wahl, er hätte mich sonst getötet. Du hast mich gerettet. Aber wir müssen jetzt weiter, wir müssen Claire finden und sie hier raus holen" - "Claire...?" Meine Stimme klingt seltsam hohl und leer. Nicht mehr nach mir selbst. Four nickt eindringlich.
"Sie halten Sie hier irgendwo gefangen"

Unique - das erste Buch der »Unique« Reihe Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt