Kapitel 5

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Der Aufprall auf das Netz raubt mir den Atem und presst alle Luft aus meinen Lungen. Meine Finger haken sich in das schwarze Netz aus dünnen Seilen und ein paar Minuten liege ich einfach nur da, ehe ich zur Seite rolle, weil das Netz runter gedrückt wird. Zwei kräftige Arme packen mich an meiner Taille und heben mich aus dem Netz. Erst als ich festen Boden unter meinen Füßen habe, sehe ich dem Besitzer der Arme ins Gesicht. Die Arme gehören zu einem großen, muskulösen Ferox, dessen Haare kurz geschoren sind. Die Augen schimmern in einem fast schwarzen Ton und obwohl ihr Blick kalt ist wirkt er keinesfalls so einschüchternd wie der von Eric. Dieser kommt im übrigen gerade ins Netz gefallen, selbstverständlich ohne irgendeinen Ton. "Wie heißt du?" fragt mich der mir gegenüber stehende Ferox und ein paar Sekunden brauche ich um zu antworten. "Claire" Ich verspüre nicht das Bedürfnis meinen Namen zu ändern. "Letzte Springerin Claire" ruft der große Ferox über seine Schulter irgendjemanden zu, ehe er mich los lässt. "Willkommen bei den Ferox Claire" sagt er schmunzelnd und klopft mir einmal auf die Schulter. Danach dreht er sich weg und geht zu einer Gruppe Menschen. "Gute Entscheidung, Matthews" knurrt auf einmal eine Stimme in mein Ohr und wie von der Tarantel gestochen springe ich ein paar Meter zur Seite. Zu gerne würde ich Eric jetzt dieses dämliche Grinsen aus dem Gesicht hauen, aber ich weiß genau, dass ich dann innerhalb von Sekunden tot wäre. Schnaubend lauf ich auf die anderen Initianten zu (der Amite Junge ist nicht mehr dabei) und stelle mich neben Cia, die mich aufmunternd anlächelt. Halb gequält, halb ernst gemeint erwidere ich das Lächeln.
"In Ordnung. Alle mal aufgepasst. Mein Name ist Four. Eigentlich arbeite ich im Kontrollraum, aber während eurer Initation bin ich euer Mentor. Das da drüben" er nickt zu einer jungen Ferox Frau mit kurzen blonden Haaren "ist Lauren. Sie übernimmt das Training der gebürtigen Ferox." Nun tritt Lauren ein paar Schritte nach vorne. "Die gebürtigen Ferox zu mir. Ich denke nicht, dass ihr noch eine Rundführung braucht" Mit einem lockeren Zwinkern winkt sie die gebürtigen Ferox zu sich und maschiert mit ihnen los. Nachdem sie verschwunden ist, geht auch Four los, allerdings in die entgegen gesetzte Richtung und die übrig gebliebenen folgen ihm. Es sind nicht mehr viele, ich zähle neun, und davon sind 4 Candor, 1 Amite, 2 Ken, die ich nicht kenne und noch Cia und Ich. Langsam trotten wir also durch das Ferox Gebäude, während Four uns alles zeigt und erklärt. Anschließend gelangen wir in den Speisesaal, wo man uns lautstark bereits empfängt. Die Ferox klappern mit ihren Tassen auf den langen Holztafeln und gröhlen und jubeln uns zu. Ein paar von uns scheinen diesen Trubel zu genießen, mir ist das ganze allerdings sehr unangenehm, genauso wie Cia. Zwar bin ich es eigentlich gewohnt im Mittelpunkt zu stehen, allerdings läuft es bei den Ken doch deutlich geordneter und dementsprechend unwohl fühlt sich diese wilde Menge jetzt an. Auf einmal nehme ich einen leichten druck an meinem linken Unterarm war und Cia zieht mich leicht in die Richtung von zwei freien Plätzen. Erleichtert nehme ich Platz und Cia zwängt sich neben mich. Erst da erkenne ich, wer rechts neben Cia sitzt. Four. Er schaut uns beide einen Moment an, wobei mir auffällt, dass sein Blick eine Sekunde länger an Cia hängen bleibt als nötig. Dann wandert sein Blick wieder zu mir. "Ich wusste gar nicht, dass in der Matthews Familie Ferox Gene liegen" sagte er, woraufhin ich nur meinen Rock glatt streiche und dann zu ihm auf schau. "Ich wusste gar nicht, dass das dich was angeht" - "Candor Gene sind wohl auch verankert" - "Nein, einfach nur ein Talent zur klugen Wortwahl" konterte ich vielleicht ein klein wenig zu spitz, denn Fours Blick daraufhin ist äußerst furchteinflößend. "Du solltest aufpassen Claire.." murmelt er und wirft Cia einen finsteren Blick zu, welche zwischen uns sitzt und große Mühe hat ihr Lachen zu verstecken. Ich kann es ihr nicht verübeln. Wäre ich Außenstehende, würde ich das ganze wohl genauso amüsant finden. "Passt bloß auf ihr beiden..." sind Fours letzten Worte, ehe er uns für das restliche Essen ignoriert. Cia grinst mich nur an und auch ich bringe ein Schmunzeln zu stande.
Ich bin gerade dabei mir eine Gabel Salat (das es sowas doch wirklich bei den Ferox gibt!) in den Mund zu schieben, als auf einmal wieder das Klappern der Ferox Becher anfängt. Etwas verwirrt sehe ich mich um, nur um den großen, dunkelhäutigen Ferox auf einer Art Vorsprung im Speisesaal zu sehen. Er hat breite Schultern und alles an ihm strahlt Autorität aus. Mit dem Heben einer Hand bringt er den Saal augenblicklich zum Schweigen. "Initianten, aufstehen" ist alles was er sagt und nach kurzen Zögern erhebe ich mich. Cia und ich wechseln einen fragenden Blick, ehe unsere Aufmerksamtkeit wieder zu dem Mann gleitet. "Mein Name ist Max, ich bin der oberste Anführer der Ferox" Ah, das erklärt einiges. "Ihr habt die Fraktion der Tapferkeit und der Stärke gewählt und werdet morgen eure Initation antreten. Möget ihr Erfolg dabei haben" Während ein lautes Gröhlen und Jubeln durch die Menge ging, verarbeitete mein Kopf die eben gesagten Worte. Möget Erfolg haben? Irgendwie wurde ich den Gedanken nicht los, dass mehr hinter diesen Wörtern steckte als es zunächst aussah. Ich kam nicht weiter zu denken, denn plötzlich wurde ich hoch gehoben, genau wie Cia und der Rest der Initianten. Die anderen Ferox trugen uns im wahrsten Sinne des Wortes auf Händen durch den Raum. Eigentlich mochte ich so eine Nähe nicht, aber ich konnte nicht anders. Ich lachte.

Nachdem man uns wieder herunter gelassen hatte, trieb uns Eric aus dem Speisesaal und sehnsüchtig sah ich meinem Salat hinter her. Doch lange Zeit zu trauern hatte ich nicht, denn schon kündigte sich die nächste Überraschung, oder anders gesagt, der nächste Schrecken an - Der Schlafraum. Der Raum war wirklich der reinste Horror. Es gab genau 10 Betten, die alles andere als bequem aussahen, dazu ein unabgetrenntes Badezimmer und offene Duschen (die gottseidank in einem extra raum waren) und hinten in der Ecke waren sichtschutzfreie Toiletten. Super. Ich vermisse das Ken Quartier jetzt schon. "Schlafen hier Jungen und Mädchen??" fragt die zierliche Amite entgeistert. "Natürlich, wenn ihr verhätschelt werden wollt hättet ihr bei eurer Mami bleiben sollen" antwortet Eric kalt und deutet auf einen Stapel schwarzer Klamotten. "Sucht euch was passendes raus und zieht euch dann um. Danach geht schlafen, das Training fängt morgen um 8 Uhr an. Seid pünktlich" mit diesen Worten ist er verschwunden. Ich seufze und wechsle mit Cia einen Blick, danach suchen wir uns ein paar Betten hinten in der Ecke aus. Anschließend gehen wir auf Beutefang in dem großen Klamotten Haufen. Letzten Endes hab ich ein Top, eine lange Leggins, eine kurze Shorts, ein bauchfreies Top und ein langärmliges Shirt, welches mir ein wenig zu groß ist. Zufrieden mit meinem Fang kehre ich zu meinem Bett zurück, oder was mal mein Bett war. Denn jetzt hat sich der große, schwarze Candor darauf niedergelassen. "Das ist mein Bett" sage ich höflich zu ihm, obwohl mir eigentlich schon klar ist, dass das nichts bringen wird. "Jetzt nicht mehr" kommt auch schon die prompe Antwort seinerseits und er baut sich drohend vor mir auf. Er ist gut einen Kopf größer als ich und es ist keine Frage, dass er mich innerhalb von Sekunden umwalzen könnte. Aber nicht mit mir. "Ich war zuerst hier" - "Pech Prinzessin"
Ruhig bleiben, Claire, er will dich nur provozieren. Ich schnaube genervt und funkel ihn an. "Sag mal hast du ein Problem mit mir?" frage ich spitz und er beugt sich leicht zu mir. "Pass mal auf Prinzessin. In Ken bist du vielleicht eine große Nummer aber hier bist du genauso wenig wert wie die anderen, verstanden? Also lass uns keinen unnötigen Streit anfangen" sagte er bedrohlich und sein Blick bohrt sich in meine Augen. "Schön dass wird das geklärt haben. Also?" Ich mach eine weg wedelnde Bewegung und ein paar Sekunden schauen wir uns noch an, dann dreht er sich rum, nimmt seine Sachen und geht davon. War das etwas gerade ein Lächeln auf seinem Gesicht? Wohl kaum. Geschafft lasse ich mich (endlich!) auf meinem Bett wieder und schließe die Augen. "Ist etwas Cia?" frage ich die ehemalige Altruan, da ich ihren Blick ganz genau auf mir spüre. Ich öffne mein linkes Auge einen Spalt breit und sehe wie cia den kopf schüttelt. "Nein, schon gut" sagte sie und verkriecht sich unter die decke. Wenige Momente später tu ich es ihr gleich. Es dauert noch ein wenig, aber bald schon ist Ruhe im Schlafsaal eingekehrt und nur das gleichmäßige Atem der anderen ist zu hören. Unruhig wälze ich mich hin und her. Vor 24 Stunden war ich noch eine Ken und jetzt lag ich hier, mit wildfremden Menschen in einem wildfremden Raum. Dinge können sich schnell ändern. Sehr schnell sogar.
Meine Gedanken wandern durch meinen Kopf und irgendwann fallen mir einfach die Augen zu und ich schlafe ein.

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