Kapitel 29: Die Handelsstadt

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Drywheg war ein Meer aus Gebäuden, was sich zwischen drei großen Hügeln ausbreitete wie ein dreckiger Klecks in der Landschaft. Selbst der breite Fluss hatte eine ungesunde bräunliche Färbung angenommen und Müll wurde von der Strömung Richtung Meer getragen. Längliche Kähne, beladen mit Holz, Wolle und anderen Gütern fuhren mit Staken angetrieben über das Wasser.

Die alten Stadtmauern hatte man schon vor langer Zeit abgerissen und nur an den Eingängen zu den großen Marktplätzen überprüften Wachen die endlosen Kolonnen aus Karren, die ein- und ausgingen.

Nur die Hauptstraßen waren gepflastert, während viele Nebengassen nicht mehr waren als Schlammbäder in denen gescheiterte Existenzen zum Sterben in ihren eigenen Fäkalien hockten.

Mit hinter den Rücken verschränkten Armen durchlief ich die Stadt, die einen nur wenig Schönheit bot. Die vierstöckigen Gebäude um mich herum waren von der Höhe beeindruckend, schienen allerdings planlos errichtet worden zu sein. Es gab nicht wenige Mietskasernen, wo ich mir sicher war, dass man wie bei einem Puzzle immer nur ein Zimmer auf das nächste geschichtet hatte. Generell war Holz und nicht Stein das gängigste Baumaterial und es verwunderte mich nicht, dass Feuer anscheinend neben der Kriminalität das größte Problem dieser Metropole war.

Die meisten Adligen und Händler vermieden es in Drywheg direkt zu wohnen. Sie hatten hier vielleicht Kontore und Büros, aber ihre Herrenhäuser selbst lagen auf den Hügeln oder im Umland. Die Kutschen der Reichen fuhren mit bewaffneten Wachen in Plattenrüstungen umher und die Gardinen waren immer fest zugezogen.

Während ich mit Malin über einen der vielen Marktplätze schlenderte, hörte ich Gerüchte von einem besonders brutalen Mord, der in einem nahen Dorf geschehen war. Anscheinend hatte man die Kinder eines Kaufmannes brachial gefoltert und dann getötet.

Insgesamt lag über allem hier für mich eine dunkle Glocke aus flüssiger Dunkelheit. Es war, als würde ich am Boden eines Ozeans laufen, der unermüdlich in mich hineinfloss. Allein einfach hier einige Tage zu verbleiben, würde mir vermutlich einen ordentlichen Schub meiner Kräfte erlauben.

»Oh guck mal!«, meinte Malin und zerrte mich zu einem Stand, der größtenteils billigen Schmuck aus minderwertigen Metallen verkaufte. »Sieht das nicht schön aus?«

Ich nickte leicht und betrachtete das wirre Sortiment aus Krimskram vor mir. Hinter mir schritt erneut jemand vorbei, der besonders dicke Tropfen aus Schwärze absonderte. Ein Mörder? Ein Menschenhändler? Zumindest war er nicht der erste heute mit solch einer befleckten Seele.

Meine Augen fokussierten sich auf einmal auf einen bestimmten Gegenstand des Straßenhändlers. Für einige Sekunden blickte ich es an, während Malin neben mir um den Preis eines Ohrrings feilschte. Schließlich hob ich es hoch und fragte: »Wie viel?«


Im Gegensatz zu Aronsfeld kam Drywheg auch in der Nacht nicht zu Ruhe. Überall brannten Feuerschalen und hunderte von Wachmännern patrouillierten mit Fackeln umher. Die Fenster vieler Gebäude waren ebenfalls weit geöffnet und ließen ihr Licht hinaus auf die Straßen.

Doch auch wenn alles in einem goldenen Hauch zu liegen schien, so waren die Schatten dafür umso stärker. Besonders oben auf den Dächern gab es noch die Finsternis und dort traf ich dann Cecilia, die am Tag mit einem der anderen Mitglieder meiner Organisation Kontakt aufgenommen hatte.

Der Mann war vor seiner Versklavung schon hier gewesen und gehörte auch früher zur Unterwelt. Einige der alten Kontakte hatte er nun wieder aufgefrischt.

»Es gibt eine illegale Kneipe«, meinte meine Gefährtin, die sein Wissen nun an mich weitergab, »wo sich allerhand Unrat trifft.«

»Dann gehen wir dorthin«, entschied ich ohne Umschweife. Ich sah nochmal über die Schulter zu dem Gasthaus, wo Malin nun in Ruhe schlief. Es hatte mich einige Mühe gekostet die Halbelfe davon zu überzeugen in getrennten Zimmern zu schlafen. Danach sprang ich zum nächsten Dach.

Wir waren nicht die einzigen zwischen den Schornsteinen und Schindeln. Die Oberseite mancher Häuser war flach und Familien, Gesellschaften oder andere Gruppen von Menschen aßen dort im Freien ein spätes Abendmahl.

Weiterhin gab es auch Diebe, die versuchten in Gebäude einzudringen. Ich erlaubte mir auf dem Weg zwei von ihnen hinunter auf die Straßen zu schubsen, wo sie sich dann mehrere Knochen brachen.

Wegen der schieren Größe von Drywheg mussten wir einige Male anhalten und die Karte studieren, die Cecilia bekommen hatte. Aber schließlich erreichten wir den beschriebenen Ort.

Unter uns waren Balkone von langen Reihenhäusern, auf denen Prostituierte Freiern unten auf den Straßen zuwinkten oder sogar Küsse zuwarfen. Ihre Kleider waren billige Abklatsche von der Mode reicher Damen und drückten ihre Busen bewusst nach oben. Die Gesichter waren meistens stark geschminkt.

Diese Völlerei interessierte uns wenig. Mein Augenmerk lag auf einen Hinterhof, der keinen offensichtlichen Eingang von der Straße besaß. Eine schmale, behelfsmäßige Treppe führte die Außenwand nach oben zu einem Loch im Dach, aus dem schales Licht kam.

Ich und Cecilia huschten dorthin, vorbei an einer halbverschlafenen Wache mit einem Dolch am Gürtel. Im Schatten verbliebend besahen wir dann die Anwesenden.



Das Wispern aus dem AbgrundWhere stories live. Discover now