Kapitel 20: Das Mädchen

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In der Nacht, bevor ich in die Ländereien des Grafen Secalour aufbrach, erinnerte ich mich an ein Ereignis aus meinem alten Leben.

Es war an einem klaren, blauen Tag gewesen. Die Luft war weit weniger toxisch als gewöhnlich und somit brauchte man nur eine reguläre Atemmaske und keinen vollen Anzug. In dem dunklen Militärmantel meiner Organisation schritt eine graue Treppe aus Beton hinauf.

Ich erreichte eine Plattform und sah hinaus auf eine flache Ebene aus Fleisch.

Eine gesamte Stadt, die auf meinem Befehl hin, massakriert wurden war. Die Leichen lagen so dicht beisammen, dass man keinen Grund sehen konnte. In der Ferne ragten die nun leeren Hochhäuser ihrer einstigen Heimat auf.

Die Produktion des Ortes war herabgefallen und um die unvermeidliche Hungersnot weiter hinauszuzögern, hatte ich beschlossen all die hungrigen Münder hier auf ewig zu schließen.

Rechts und links von mir standen meine Untergebenen. Sie waren diejenigen gewesen, die meine Befehle ausgeführt hatten. Ihre Augen waren hart, doch ich bemerkte wie die Fäuste einiger zitterten und andere bewusst in die Ferne, aber nicht auf die Toten sahen.

Bis zum Ende meines Lebens würde ich zwei Drittel von ihnen hinrichten müssen, da sie drohten von mir abzufallen.


»Wie viele von ihnen damals haben wirklich meinen Wunsch und meine Vision verstanden?«, sprach ich zu mir selbst, als ich durch ein kleines Gehölz stampfte. »Wie viele gehorchten mir nur, weil ich Macht besaß, und ließen unsinnige Schuld in ihre Herzen, die am Ende die gesamte Menschheit gefährdete? Wie ist es wohl wahrlich loyale Anhänger zu haben? Wahres Vertrauen?«

Es hatte eigentlich niemals eine Zeit gegeben, wo nicht jemand hinter verschlossenen Türen davon gemurmelt hatte mich in einem Attentat zu meucheln. Die meisten davon kamen aus meinen eigenen Reihen.

Hier war dies bis jetzt kein Problem gewesen, da ich fast ausschließlich allein in der Welt agiert hatte. Doch dies würde sich demnächst ändern.

Lichter brannten unter mir in einer Grube. Mehrere Karren standen dort und Gestalten in Lumpen sammelten in den nahen Büschen Feuerholz. Im Gegensatz zu den unterernährten Arbeitern auf den Plantagen, schienen sie einigermaßen gesund. Waren es neue Sklaven oder wurden sie einfach etwas besser behandelt?

Der Horizont war ein rötlicher Streifen und die Sonne beinahe komplett untergegangen. Den gesamten Tag über hatte ich diesen Teil der Ländereien des Grafen durchstreift. Die Plantagen machten den größten Prozentsatz der Fläche aus und ich beobachtete, wie man die Leichen verstorbener Sklaven direkt bei den Wurzeln vergrub. Ich hätte an stelle des Grafen die Toten chemisch zuvor in Düngermittel verwandelt, aber immerhin hatte man den Tod einigermaßen nutzbringend in den Arbeitsprozess integriert.

Auch das große Herrenhaus des Grafen hatte ich gefunden, eingemauert und weiß verputzt mit weiten Fenstern. Gold glitzerte über den Haupteingang und in einem Pferdestahl waren prächtige Tiere, die wohl sowohl für Krieg als auch Reitwettbewerben herangezüchtet wurden.

Selbst die Wachen trugen prächtig verzierte Brustplatten, was verriet, dass der Adlige bemüht war, seinen Reichtum überall wo es ging zu präsentieren.

Unten bei der Arbeitstruppe waren ebenfalls Männer mit Speeren und Peitschen, die die Sklaven im Blick hatten. Unter ihnen war ein junger Herr auf einem weißen Ross. Er trug ein Wams in Lila und Rot und an seiner Seite hing ein Degen. Vermutlich nicht der Graf, da dieser, soweit ich wusste, in seinen Vierzigern war. Eventuell war dort unten der Sohn?

In meiner Nähe knackten Zweige und ich sah auf.

Ein Mädchen, in etwa in meinem Alter, kämpfte sich durch das Dickicht, auf dem Rücken ein Korb voller trockener Zweige. Ihr Kleid war schmutzig und in ihrem braunen Harr waren viele kleine Blätter.

Geräuschlos nährte ich mich ihr. Bald schon konnte ich den Schweiß ihres ungewaschenen Körpers riechen und hörte ihren angestrengten Atem.

Auf ihrem Nacken war ein Brandzeichen, dass sie als Sklavin kennzeichnete.

Ein schweres Husten erschütterte plötzlich ihren schmalen Körper. Sie versuchte sich zu fangen, doch es wollte einfach nicht aufhören. Ihre Lungen waren anscheinend stark angegriffen von Krankheit.

Vor meinen Augen versuchte sie einen weiteren Schritt, doch ihr Fuß rutschte ab und sie fiel zu Boden. Das Holz im Korb verteilte sich über den Waldboden.

Ich sah einige Sekunden auf sie hinab, bevor ich mich zu ihr beugte und vorsichtig ihren Kopf anhob.

»Hier«, sagte ich und gab ihr etwas aus meinem Wasserschlauch. Gierig begann sie zu trinken.

Ihre fiebrigen, blauen Augen sahen hoch zu mir. »Du...?«

»Willst du von hier fort?«, begann ich und der Mond der frischen Nach schien hinter mir durch die Äste hinab und erhellte mein Priestergewand silbern. »Ich kann dich fortbringen.«

»Nein«, meinte sie kopfschüttelnd und sie schien kurz davor das Bewusstsein zu verlieren. »Sie werden uns finden. Finden und bestrafen.«

»Werden sie nicht«, entgegnete ich kühl und hüllte uns beide in Dunkelheit.



Das Wispern aus dem AbgrundHikayelerin yaşadığı yer. Şimdi keşfedin