Kapitel 11: Die Räuber

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Dies war eine gute Gelegenheit, um meine Fähigkeiten zu testen. Vor meinem Bad im Tempel hatte ich nur eine wage, eher intuitive Ahnung zu meinen Kräften. Nun wusste ich aber genauer, was ich konnte und wo meine Grenzen waren.

Ich verdichtete die Dunkelheit um mich herum, sodass ich direkt zu der Wache treten konnte. Entlang meines rechten Armes formte ich dann eine Klinge, die wie schwarzes Glas aussah und stieß sie ohne viel Kraftaufwand mühelos durch sein rostiges Kettenhemd in die Brust. Wortlos kollabierte er. Ich fing seinen Sturz auf und legte ihn vorsichtig zu Boden.

Weiterhin im Verborgenen bleibend trat ich dann noch näher ans Lager.

Es war ein wilder Haufen. Sie trugen schmutzige Fälle und kaum gepflegte Rüstungen, die meistens unvollständig waren. Ein offenes Fass Bier stand an der Seite, in dem sie regelmäßig ihre Krüge eintauchten. Über dem Feuer briet ein Reh, von dem sie Stücke mit ihren Messern abschnitten und sich dann sofort in den Mund stopften. Auf einem Stein lag ein Ledersack in dem Gold und Silber schimmerten.

Ich bekam immer mehr eine Idee davon, mit was für einer Bande ich es zu tun hatte.

»Guten Tag«, sagte ich und legte das Gewand aus Schatten ab, um in ihren Lichtkreis zu treten. »Wie ich sehe, habt ihr einen freudigen Abend.«

Meine helle Stimme durchdrang die feierliche Laune und sie hielten alle in ihrem Tun inne. Vom Alkohol trübe Augen wandten sich zu mir, doch im Gegensatz zu der stumpfen Leere bei meinem Vater, lag in ihren Blicken Grausamkeit und Vorfreude. Die meisten grinsten stumpft weiter.

»Was haben wir da?«, meinte einer, »ein verirrtes Kind in den Bergen?«

»Kann man so sagen«, entgegnete ich und trat weiter vor.

»Bist aber dünn gekleidet für die Berge«, brabbelte jemand anderes und leckte sich gierig über die Lippen.

Nur einer der Schwachmaten runzelte derweil die Stirn und fragte: »Wie kam sie denn an Eric vorbei?« Keiner beachtete ihn.

Während ich weiterging, schaute ich hinüber zu dem behelfsmäßigen Bett mit aufgespanntem Fell darüber. Zwei Frauen waren dort. Eine hatte blonde Zöpfe und saß mit hochgezogener Decke dort. Ihre wohlgeformten Kurven konnte man gut erahnen und sie schaute interessiert in meine Richtung. Neben ihr lag eine Schwarzhaarige bewegungslos mit Schwellungen im Gesicht und zwei leeren Glasphiolen nahe beim Kopfkissen. Sie schaute überhaupt nicht auf ihre Augen waren glasig, ohne Fokus und mit kaum einem Funken Leben.

Ich blieb nahe beim Lagerfeuer stehen und schaute mich um. Ich zeigte dann zu dem Säckchen mit Edelmetallen. »Ihr hattet eine gute Ausbeute heute?«

»Ehrliche Arbeit muss ja belohnt werden«, dröhnte es vor mir und nahe an der Klippe stand jemand auf.

Es war ein Hüne mit wildem rotem Haar und um seine Schultern lag ein Wolfspelz. Die haarige Brust selbst war frei und er trug eine lederne Hose darunter. Neben ihm lehnte etwas, was wie eine Dänenaxt aus meiner Heimatwelt aussah.

»Du bist der Anführer?«, fragte ich.

»Talljorn der Trolltöter«, tönte es zurück, »der gefürchtetste Name in diesen Bergen. Dutzende Abenteurer wurden geschickt, um mich zu töten und ihre Schädel liegen nun zertrümmert am Grund der Schluchten. Ich bewundere den Mut, mit dem du in unser Lager gekommen bist, Göre. Bevor wir die Kleidung vom Leib reißen und dir wahre Männlichkeit zeigen, darfst du über dien weiteres Schicksal entscheiden. Sollen wir dich in die Sklaverei verkaufen oder Teil unsere Bande werden? Wir suchen immer nach Willigen, die unsere Moral erhöhen wollen.« Er deutete mit seiner Pranke zu dem Bett mit den beiden Frauen. Anschließend begann er lachen.

Dies endete aber abrupt, als seine Perspektive sich schlagartig änderte. Das wärmende Feuer des Lagers verschwand etwas aus seinem Sichtfeld und sein Haar fiel nach unten. In Erstaunen hob er den Kopf und anstatt des Sternenzeltes starrte er den finsteren Abgrund jenseits der Klippe. Als er dann das Kinn auf die Brust legte und seinen Körper hinabstierte, sah er mich, wie ich am Rand der Felskante stand und ihm am Fußgelenk hielt.

Es wurde schlagartig vollständig ruhig im Lager der Banditen. Aus jeder Grimasse verschwand nun das Grinsen, während ich ihren Anführer über der Schlucht hängen ließ.

Einige wollten ihre Waffen ziehen.

»Eine Bewegung und ich lasse ihn fallen«, sagte ich und ein jeder hielt inne.

»W-wie...?«, begann Talljorn der Trolltöter, während er sich immer mehr seiner Situation bewusstwurde. »Eben warst du noch beim Feuer? Wie bist du so schnell...«

»Ich gebe dir eine letzte Möglichkeit dein Leben zu retten«, unterbrach ich ihn tonlos, »wenn mir deine Antwort nicht gefällt, werde ich loslassen.«

»Wie schafft sie das?«, hauchte einer der anderen Räuber entsetzt, »sie ist so klein und ihre Arme sind so dünn. Wie schafft sie es ihn so lange zu halten?«

»B-bitte«, stammelte der Anführer weiter und Schweißtropfen sickerten in seinen Bart, »bitte lass mich nicht...«

»Wieso sollte ich dich schonen?«, entgegnete ich und eine gewisse Kälte lag nun in meiner Stimme. »Welchen Mehrwert bedeutet deine Existenz für diese Welt? Wie viel Gutes hast du vollbracht? Wären diese Ländereien besser dran, wenn du weiter am Leben bleibst?«

Er starrte mich an. Unsere Blicke kreuzten sich. Für einige Sekunden verharrten wir so in Schweigen. Schließlich wandte er sich ab. Er konnte nicht antworten.

Ich ließ los und ohne einen Ton von sich zu geben verschwand Talljorn der Trolltöter in die Nacht.

»Nun denn«, sagte ich dann und ließ neue Klingen an meinen Armen formen, als ich mich umdrehte, »kümmere ich mich um den Rest von euch.«

»Bei Sirith«, brachte jemand in purem Grauen hervor, bevor die Schreie begannen.


Das Wispern aus dem AbgrundWhere stories live. Discover now