Kapitel 25: Abendmahl

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Da er an diesem Abend keine Gäste empfing, speiste der Graf Secalour privat mit seiner Familie in einem Nebenzimmer des weitläufigen Herrenhauses. Weiße Marmorbüsten von den vier Stammmüttern seiner Blutlinie standen in den Ecken des Raums, mit stolzen Gesichtern und entblößten Brüsten.

Auf silbernen Tellern in der Mitte des Tisches war zart gekochtes Wildfleisch, Gemüse, Fisch und weiches Brot. In Krügen schimmerten teures Olivenöl oder edler Rotwein. Das Beste, was man in dieser Provinzregion bekommen konnte.

Er saß am Kopfende und konnte aus dem Fenster hinaus zum Innenhof sehen. Ihm gegenüber war seine Frau, das Gesicht weiß gepudert und in einem eleganten grünen Kleid. Zwischen ihnen aßen ihre ihre drei kleinen Töchter, wo die Älteste gerade einmal sieben Jahre alt war. Der Stuhl von Izanos war leer, da er noch immer eine entlaufene Sklavin jagte. Sein zweiter Sohn war momentan in der Akademie der Hauptstadt.

Es war ein schweigsames Essen und in seinem Kopf kalkulierte der Graf, wie viele Waren er morgen zum Markt schicken musste und wie viele neue Sklaven er kaufen musste, um die Toten von diesem Monat auszugleichen. Es war frustrierend, dass Menschen an den dümmsten Zufällen sterben konnten. Sie waren sein Besitz und es war ein göttliches Unrecht, dass eine Krankheit oder eine Entzündung ihn so leichtfertig um arbeitsfähige Hände bringen konnte! Wenn er seinen Besitz nur wie so mancher Dämon in Untote verwandeln könnte, die weder schlafen noch essen mussten. Am liebsten wollte er laut Seufzen, unterließ aber dies aber, da seinen Kindern kein schlechtes Vorbild sein wollte.

Etwas erregte dann seine Aufmerksamkeit. Ein orangenes Licht wurde von der silbernen und auf Hochglanz polierten Obstschale reflektiert. Er schaute hinaus zum Fenster und seine Gabel hielt in der Bewegung inne.

Eines der Massenunterkünfte brannte. Ein Schlafsaal mit über hundert Sklaven war lichterloh in Flammen. Doch nicht nur das. Bei den Olivenhainen bemerkte er auch ein ungutes Glühen und als er Augen zusammenkniff, bemerkte er wie Körper auf dem Grund des Innenhofes lagen.

Da nur er einen guten Blick nach draußen besaß, hatte der Rest seiner Familie es noch nicht bemerkt. Um sie nicht zu beruhigen, legte er langsam die Gabel nieder, räusperte er sich und rief nach einem Bediensteten.

Es kam keine Antwort.

Er rief erneut. Diesmal lauter. Seine Frau schaute nun auf. Anscheinend bemerkte sie, dass etwas nicht stimmte.

Die weiße Tür öffnete sich langsam und der Graf wollte erleichtert aufatmen. Doch seine Augen weiteten sich dann in Erstaunen und dann Schrecken.

Ein junges Mädchen stand dort. Sie trug ein einfaches Gewand mit offenen Schultern. Ihr Haar war rabenschwarz und die grünen Augen besaßen keinerlei Emotionen.

Für einige Momente betrachtete sie die adlige Familie vor sich mit einem ruhigen Blick, bevor sie direkt an den Tisch trat. Auf den Teller mit den Karotten legte sie dann einen abgetrennten Kopf. Er gehörte zum obersten Sklavenmeister des Grafen.

Seine Töchter japsten und waren erstarrt vor Angst. Seine Frau würgte.

Die Fremde setzte sich dann ohne ein Wort zu sagen auf den freien Stuhl, zog etwas von dem Schweinefleisch heran, nahm sich eine Scheibe und begann dann zu essen.

Ihr Kauen war das einzige Geräusch anschließend.

Die Gedanken des Grafen rasten. Seine häufigen Besuche am Hof des Kaisers hatten ihm ein gutes Gespür für Situationen beschert. Auch wenn das Gesicht dieses Mädchens ausdruckslos war, so verstand er, dass seine Autorität und Titel hier nun nichts bewirken würden. Ihr konnte er nichts befehlen. Auch waren bisher keine Wachen hereingekommen und sein Besitz draußen brannte.

Es gab im Prinzip nur eine Sache, die er tun konnte.

»Wenn du gekommen bist, um mich zu töten, so werde ich mich nicht wehren«, begann der Graf und schob seinen Teller von sich. »Aber ich bitte darum meine Familie zu verschonen.«

Die Fremde aß ungerührt weiter. Nun nahm sie sich auch einige der Kartoffeln mit Rosmarie.

»Es gibt sicher viele Gründe, warum man mich hassen kann«, fuhr der Graf fort der Schweißperlen an seinen Schläfen spürte. »Aber meine Familie hat nichts mit dem Schaffen hier auf meinem Gut zu tun oder den Spielchen am Hof der Krone.«

Nun befasste die Fremde sich mit den Brokkoli.

»Meine Töchter sind jung und unschuldig«, flehte der Graf nun beinahe. Es war ihm gleichgültig, von wem diese Fremde geschickt wurde oder was sie vorhatte. Wichtig war nur, die Sicherheit seiner Liebsten zu gewährleisten. »Nimm meinen Kopf und alles Geld in diesem Haus. Verschone nur sie!«

Sie leerte ihren Teller und tupfte sich zum Abschluss den Mund mit einer Serviette ab.

»Wenn du auch nur etwas Ehre und Anstand in deinem Leib hast, so lass die Unschuldigen am leben«, sprach der Herr dieser Ländereien mit nun hoher Stimme und sein Gesicht war nun überzogen mit einer Schicht aus Schweiß. »Ich bin für alles hier verantwortlich. Ich! Bitte! Bei den vier Göttern, bitte ich darum meine Familie zu schonen. Ich könnte es nicht ertragen, sie leiden zu sehen.«

Die Fremde stand auf und alle am Tisch zuckten zusammen. Doch anstatt des Unaussprechlichen zu tun, drehte sie sich einfach um. Der Graf hatte das Gefühl, dass ein Berg voller Steine von seinem Herzen fiel.

Als der ungebetene Gast allerdings die Tür öffnete, stand im Flur jemand Neues. Ein weiteres Mädchen, diesmal allerdings mit braunem Haar. Sie schien in Schatten gekleidet und ihre Hände waren rot und Fleischfetzen klebten daran. Von ihren Fingerspitzen tropfte das Blut.

Sie trat nach vorne, während die andere ging. Dieser Neuankömmling setzte sich allerdings nicht um zu essen.


Das Wispern aus dem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt