Prolog: Eine sterbende Welt

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An dem Tag, an dem ich starb, klebte das Blut von 500 Millionen Menschen an meinen Händen. Durch meine Taten war die Weltbevölkerung dezimiert und der Wille des Großkanzlers durchgesetzt.

Ich tat all dies, damit die Menschheit als Ganzes eine Zukunft besaß.

Vom Fenster meines Büros aus sah ich über die trostlose, schwarze Stadt zum Horizont, wo gerade Raketen zum dunklen, rauchverhangenen Himmel aufstiegen.

»Dies waren die Letzten?«, fragte ich, die Hände hinter dem Rücken verschränkt.

»Ja, sämtliche Kolonisten sind nun im Orbit, Herr«, antwortete meine Assistentin mit nervöser Stimme.

»Nachrichten vom Palast?«

»Das Shuttle des Kanzlers wurde abgeschossen wie befohlen.«

Ich nickte. Nach dreißig Jahren loyalem Dienst habe ich nun meinen Befehlshaber, den Großkanzler, verraten. Er wollte wie viele andere die sterbende Erde verlassen, doch ich habe dafür gesorgt, dass er mit seinen Sünden hier verblieb. Eine Zukunft bei den Sternen würde ihm nicht vergönnt sein. So würde ich auch mit mir selbst handhaben.

»Wie ist die Lage beim Haupttor?«, fragte ich weiter.

Bevor sie antworten konnte, erschütterte eine Explosion das Büro.

»Das Tor wird nicht mehr lang standhalten«, war ihre Antwort und ich konnte nun deutlich die Angst in ihrer Stimme hören. »Teile der Armee haben sich dem Mob angeschlossen. Es ist nur eine Frage der Zeit bis...« Sie brach ab und begann plötzlich zu schluchzen.

Mit dem Start der letzten Raketen war das Umsiedlungsprojekt abgeschlossen. 500.000 Menschen würden mit im Orbit errichteten Schiffen zu neuen Welten aufbrechen. Doch für die zurückgeblieben Bevölkerung gab es keine Hoffnung mehr. Die Rohstoffe der Welt waren erschöpft, viele Regionen vergiftet und unbewohnbar, die letzten Erträge der Treibhäuser waren mit auf den Raketen gewesen und die Versorgung aller lebenswichtigen Güter würde morgen beginnen in sich zusammenzubrechen. Bis zur letzten Stunde hatte ein jeder gehofft einen der begehrten Plätze auf den Schiffen zu bekommen. Nun, da das Projekt abgeschlossen war, keimte in ihnen Wut und Hass auf.

Ich schob eine Schublade auf, zog eine Pistole hervor und ging zu meiner weinenden Assistentin.

»W...was soll ich tun, Herr?«, brachte sie hervor und sah mich mit flehenden Augen an. »Was wird aus uns?«

Ich drückte ihr die Waffe in die Hand und begann zu sprechen: »Wenn sie dich finden, werden sie dich in ihrem Zorn vergewaltigen und quälen, bis du entweder an Erschöpfung oder den Verletzungen stirbst. Gib ihnen nur deine Leiche, die sie schänden können. Erwarte keine Gnade.«

Mit diesen Worten ließ ich sie stehen und trat aus meinem Büro.

Der gesamte Komplex der Geheimpolizei bestand aus grauem Beton und war so errichtet, dass die dicken Mauern einer Atombombe standhalten konnten. Die kahlen Lichter an der Decke flimmerten und es gab keinerlei Dekoration entlang der Wände. Normalerweise gab es hier überall Wachen, die patrouillierten, doch heute blieben die Korridore leer. Die Türen zu einigen Büros waren offen, sodass ich meine Mitarbeiter sehen konnte. Viele hatten sich bereits umgebracht, andere leerten Flaschen aus gehortetem Alkohol und lachten sich das nahende Ende schön.

Ich stieg in den Fahrstuhl und während es nach unten ging, dachte ich an die vergangenen Jahre zurück. Wo begann alles nochmal?

Als Waisenjunge wurde ich in den Regierungsapparat des Großkanzlers kurz nach seiner Machtübernahme rekrutiert. In meiner Jugend kämpfte ich an der Front und half seiner Armee dabei die restlichen Teile der Erde zu erobern. Schon damals sah ich die ökologischen Schäden und die Folgen der nie enden wollenden Hungersnot.

Ich wechselte in die Geheimpolizei und versuchte mit all meiner Macht den kompletten Kollaps zu vermeiden. Es war klar, dass bei einem Zusammenbruch die Menschheit sich nie wieder erholen würde. Die Erde war verloren. Es gab nur eine Chance zur Rettung.

Ich überzeugte den Großkanzler zum Projekt zur Kolonisierung der Sterne. Diese Welt lag im Sterben, doch jenseits des öden Himmels wartete der Reichtum eines ganzen Universums auf uns.

Ab da hieß es Rohstoffe für den Bau der orbitalen Plattformen und Schiffe aus einer in sich zusammenbrechenden Industrie zu ziehen. Um Deadlines zu schaffen, nutzte ich Zwangsarbeit, baute Lager und rekrutierte ganze Städte für die Großprojekte.

Gleichzeitig ließ ich vom Wirtschaftsmuseum ausrechnen, wie lange wir die Bevölkerung versorgen könnten. Immer wenn sich abzeichnete, dass eine neue Hungersnot bevorstand, reduzierte ich die Anzahl an Münder radikal.

Natürlich gab es Rebellen und diese bekämpfte ich mit aller Härte. Sie hingen noch alten Idealen wir Freiheit oder Demokratie an, für die es auf dieser Welt keinen Platz gab. Solche Konzepte musste man den späteren Kolonisten im Weltall überlassen. Aber natürlich kann man mit Idealisten nicht rational diskutieren, sodass ich teilweise ganze Straßenblocks einäschern ließ, um eine einzelne Zelle an Terroristen zu beseitigen.

Es war eine Spirale nach unten. Der Untergang ließ sich nicht aufhalten. Es war mir immer nur darum gegangen das Ende lange genug hinauszuzögern, um einer selektierten Minderheit eine Zukunft zu garantieren.

Mit Stolz kann ich sagen, dass es mir gelungen ist.

Die Fahrstuhltür öffnete sich und ich sah vor mir eine Wache, die sich das Hirn aus dem Kopf geschossen hatte. Aus dem Funkgerät kam ein Knistern.

»Das Tor ist aufgebrochen! Ich wiederhole das Tor ist aufgebrochen. Es sind hunderttausende! Bitte! Wir brauchen Verstärkung. Sie kommen! Sie kommen! Arrrrrghhhh!«

Ein vielstimmiges Rufen erklang, gefolgt von schmerzerfüllten Schreien, bevor das Gerät abbrach.

Ich schritt weiter und erreichte einen verwaisten Kontrollraum. Ich drückte einige Knöpfe und legte einen Hebel um. Ächzend erwachte die Anlage zum Leben.

Durch eine andere Tür fand ich mich in einer kantigen Halle wieder. Eine silberne, drei Meter breite Röhre reichte von einer Wand zur nächsten. Es war Teil eines gewaltigen, unterirdischen Ringes, der einen Durchmesser von zwanzig Kilometern besaß.

Es war ein größeres Projekt gewesen, um eine alternative Energiequelle zu finden, da die alten Atomgeneratoren immer unzuverlässiger geworden waren. Kurz war ich davor gewesen es einzustampfen, da es über Jahre keine Ergebnisse lieferte. Doch am Ende lief die Maschine an und versorgte die Hauptstadt und die Industriegebiete bei Startrampen der Raketen mit Strom. Niemand schien aber zu wissen, wie genau all dies funktionierte.

Ein Wissenschaftler hatte aber gemeint, dass man hiermit eventuell einen anderen Ort erreichen könnte, um dieser Welt zu entkommen. Man könne eine unsichtbare, aber immer vorhandene Grenze überwinden. Seine Reden wurden ab da immer wirrer.

Da er nicht bereit gewesen war seinen Intellekt für neue, nützliche Projekte einzusetzen, hatte ich ihn in ein Vernichtungslager geschickt. Dennoch blieben seine Worte in meinem Kopf.

Was genau hatte ich noch zu verlieren?

Ich öffnete eine Luke zur Röhre. Zuckendes, lila Licht erwartete ich.

Kurz zögerte ich. Staub rieselte von der Decke, als das Gebäude erneut erschüttert wurde.

Ich bin der größte Massenmörder der Geschichte.

Ich habe unsägliches Leid über die Menschheit gebracht.

Ich bin verantwortlich für systematische Folterung, Hunger, Zwangsarbeit und endlose Hinrichtungen.

Man hat meinen Namen in Angst ausgesprochen.

Es gibt keine Gerichte mehr, die mich verurteilen können.

Diese Welt ist tot.

Die Zukunft liegt in den Sternen.

Ich bereue nichts.

Ich trat ins Licht. 

Das Wispern aus dem AbgrundWo Geschichten leben. Entdecke jetzt