Kapitel 9: Im Tempel

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Ein kahler Gang führte tiefer in den Berg hinein. Boden, Wände und Decke waren eindeutig von Menschenhand aus den Gebeinen des Planeten geschnitten, aber es fehlte jegliche Verzierung oder Hieroglyphen. Nur kahler, behauener Fels.

Nach einer Weile gab es Abzweigungen, die in kleinere Räume führten, die wohl früher zur Bewohnung gedient hatten. Es gab steinerne Erhöhungen, auf denen vor langer Zeit Schlafliegen gewesen sein könnten, sowie Kamine und winzige Schächte für Durchlüftung. Wer immer hier aber auch gelebt hatte, keine Spuren waren verblieben.

Irgendwann hörte ich ein fernes Plantschen und Gurgeln. Leise und kaum vernehmbar, wie ein kleines Waldflüsschen, aber eindeutig keine Sinnestäuschung.

Am Ende des Weges öffnete der Gang sich zu einer großen Kammer. Verirrte Sonnenstrahlen fielen von oben hinab, schienen sich aber schnell zu verlieren und von der Dunkelheit hier gefressen zu werden.

Dank meiner geschärften Sinne konnte ich aber erkennen, dass es keinen Boden gab und sich vor mir ein Schacht tief in die unerforschte Unterwelt hinein erstreckte. Eine schmale, steinerne Brücke erlaubte mir weiterzugehen und führte zu einer gewaltigen Statue, die aus der gegenüberliegenden Wand der Höhle ragte.

Es war eine Frau in einem einfachen Gewand, was ihre Schultern nackt ließ. Ihr Haar fiel glatt herab und die äußersten Spitzen bohrten sich wie Stalaktiten in die Leere unter mir. In den Händen hielt sie eine Schale. Aus ihren steinernen Augen tropfte eine schwarze Flüssigkeit herab und füllte das Becken.

Die Brücke führte direkt zu dessen Rand, wo ich kurz innehielt und in das finstere Bad vor mir blickte.

Anschließend entledigte ich mich den traurigen Resten meiner Kleidung und warf sie in die Tiefe, bevor ich meinen Fuß eintauchte. Keine Wellen entstanden dabei. Meine helle Haut wurde einfach verschluckt.

Ich watete vorwärts, bis ich die Mitte der gewaltigen Schale erreichte. Die Flüssigkeit, die weder warm noch kalt war, reichte mir nun bis sie zu den Knien. Hoch sah in das Antlitz der Statue, die ausdruckslos meinen Blick erwiderte.

Ohne weiteres Zögern beugte ich mich nach unten. Die flüssige Dunkelheit kräuselte und bäumte sie auf, sodass ich vollkommen überschwemmt wurde.

Ich verschwand und nur die Höhle, die Stille und die ruhige Oberfläche des uralten Bades blieben zurück. Mein Eintauchen hatte nicht einmal den Rand der Flüssigkeit erhöht, die immer noch kurz davor war überzuschwappen, aber es dennoch niemals at.

Für eine Weile passierte nichts.

Dann eine weitere Weile.

Wie damals bei meiner Wiedergeburt verlor sich Zeit in Bedeutungslosigkeit.

Es geschah was geschahen musste und in dem Takt, der vorherbestimmt war.

Meine Vorbereitung musste in aller Ruhe und Gründlichkeit durchgeführt werden.

Schließlich brach meine Hand wieder aus der Oberfläche hervor. Langsam stand ich wieder auf. Schwarze Tropfen sickerten an mir herab, zurück zu ihren Schwestern in der Schale. Nicht mal die kleinste Nässe ließen sie an mir zurück.

Auch trug ich ein neues Kleid. Es war hellgrau und ähnlich geschnitten wie bei Statue. Zwei golden Ketten hielten es bei meinen Schultern an Ort und Stelle. Es reiche etwas über meine Knie und besaß wie alles hier keine Verzierung.

Aus der Tiefe des Schachtes schien ein leichter Wind zu kommen und ich hörte in dieser sanften Bewegung der Luft den Hauch einer Stimme: »Willkommen meine Priesterin. Gehe nun hinaus in die Welt und erfülle deine Pflichten.«

Mit einem Nicken verließ ich das Bad und folgte wieder dem Gang nach draußen.

Als aus dem Sanktum schritt, so bemerkte ich wie die Luft wärmer war als bei meiner Ankunft. Auch erstreckte sich vor mir die westliche Hälfte des Kontinents, nun in einem satten Grün.

Ich hatte den ganzen Winter in dem Bad verbracht.  

Das Wispern aus dem AbgrundKde žijí příběhy. Začni objevovat