Kapitel 6: Die ersten Tropfen

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Es war eine Sache zu wissen, wohin ich musste. Doch bereit war ich noch lange nicht. Mein kleiner, schmächtiger Körper, der ständig an Mangelernährung litt, würde eine Reise in den Bergen nicht überleben.

Ich musste also warten und weiter lernen.

Der Priester besorgte weitere Bücher aus der nächsten Stadt und somit konnte ich weiter Wissen in mich saugen. Die vier wichtigsten lebenden Sprachen dieser Welt, sowie zwei relevante tote Dialekte konnte ich nun lesen und selbst schreiben. Dazu bekam ich ein besseres Bild von der geografischen und politischen Lage dieses Königreiches und der umgebenden Länder.

»Du willst mehr über die Prophezeiung wissen?«, wunderte sich der Priester, als ich ihn einige Monate vor meinem neunten Jahrestag ansprach.

»Und den Dämonenkönig!«, fügte ich an.

»Ah, der sterbliche Gott. Unser aller Nemesis. Der erste Auserwählte der Götter, der die Welt in eine goldene Zeit führen sollte, aber durch seine Gier nach Macht zu einem Monster wurde.«

»Er züchtete die vielen Monster heran, die heute die Wildnis unsicher machen«, sagte ich dazu. »Auch ist er der Begründer des Dämonengeschlechts, das nun im verbrannten Königreich lebt.«

»Hast dich also eingelesen, was? Ja, der Dämonenkönig konnte damals nur durch vier Helden besiegt werden, die von anderen Welten beschworen wurden- ein jeder von einem unserer Götter. Sie konnten unseren Nemesis aber nur zurückdrängen, aber nicht vollständig vernichten. Seitdem sammelt er seine Kräfte im verbrannten Königreich - damals sein erstes Opfer, als er seinen Eroberungsfeldzug begann. Die Kirche hat einige heiligen Armeen in dieses verfluchte Land geschickt, aber jede dieser Invasionen scheiterte. Laut der Prophezeiung werden die Dämonen irgendwann wieder über die Grenzmauern strömen, um uns zu unterjochen. Vier neue Helden werden dann beschworen und diesmal beenden, was ihre Vorgänger begonnen haben.«

»Und die Namenlose stellt keinen Helden?«, wollte ich wissen.

Der Priester zuckte mit seinen Schultern. »In den Schriften steht dazu nichts...«


Die Wohnsituation nahm immer schlimmere Zustände an.

Ich nutzte meinen Nachtsinn und mein geringeres Schlafbedürfnis, um unter der Decke noch weiter Bücher zu lesen. Allerdings musste ich nun Watte in meine Ohren stopfen, da mein Vater direkt daneben nun fast jeden Tag meiner Schwester seine Lust aufzwang.

Soweit ich es mitbekam, tat sie es für mich. Sie ertrug all dies, damit er seine Aufmerksamkeit nicht auf mich lenkte. Ich dankte ihr dementsprechend regelmäßig in Gedanken, aber das ständige Gerüttel in unserer Schlafstatt half mir leider trotzdem nicht beim Konzentrieren.

Tun konnte ich nicht wirklich etwas. Ich lernte zwar alle essbaren Pflanzen und grobe Jagdtechniken in meiner Freizeit, aber ich war noch immer von meinen Eltern abhängig, was die Versorgung anging. Die Lebensmittellage war so angespannt, dass ich nicht hoffen konnte, dass mich irgendeine andere Familie im Dorf aufnahm. Selbst der Priester konnte mir nur kleinere Essensgaben geben, die zwar helfen, aber ganze Mahlzeiten konnte ich mir von ihm nicht erhoffen.

So zerbrochen meine Familie inzwischen war, so bemerkte ich in diesem Zustand etwas. Von meiner Mutter, meiner Schwester und meinen Vater floss etwas zu mir. Eine dunkle Flüssigkeit, die ich nur allzu gut kannte und nur ich zu sehen schien.

Es war ein beständiges Tropfen und es war, als würde sich ein Kelch in mich füllen. Bei anderen Dorfbewohnern war dies auch, doch meine Blutverwandten schienen besonders reiche Ausbeute zu geben.

Und allmählich, Stück für Stück, entwickelte ich einen Sinn dafür, wie ich diese Tropfen nutzen konnte.

Eines Nachts stand ich wieder draußen und sah zu der Dunkelheit zwischen den Bäumen.

Ich hob meine Hand.

Die Finsternis zuckte. 

Das Wispern aus dem AbgrundTempat cerita menjadi hidup. Temukan sekarang