DREIUNDDREIßIG

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ALEKSANDER VAN BRUGGEN

Ich zweifle an all dem, was wir bisher erreicht haben. Nie ist ein Spiel derartig abgelaufen. Niemand kommt richtig zum Zug und jeder eiert nur dumm durch die Gegend. Oder in diesem Fall das Spielfeld, auf welchem wir das Halbfinale austragen.

Wir sind in den Top vier Teams, aber danach sieht es nicht aus. Diese Tragödie erinnert mich an die damaligen Sprüche von Coach Smith bei unseren Trainingseinheiten. Ihr spielt wie Grundschulkinder hallt es durch mein Kopf. Diese Worte sind mehr als nur treffend. Ich stütze selbst meinen Kopf schon auf meine Hände, die auf meinen Oberschenkeln platziert sind.

Ich sitze auf der Bank. Warum weiß ich selbst nicht so genau. Carter hat gemeint, dass es vielleicht das Richtige wäre, mich nicht direkt von Anfang an auf das Feld und somit die wortwörtliche Schusslinie für die Fans und Gegner zu stellen. Kann ja sein, dass er recht hat. Aber so viel beweisen wird das auch nicht. Für Mitmenschen kann es genau so gut eine feige Aktion sein, dass ich mich nicht traue, das Halbfinale zu spielen.

Aber dem ist nicht so. Ich bin in höchster Alarmbereitschaft, wenn Coach mich einwechseln möchte. Ich bin bereit und das sollte er wissen. Ich seufze. Langsam bewege ich meinen fest verankerten Blick von dem Spielfeld zu meinen Kameraden hier auf der Bank. Jeder sitzt mit einem Gesicht auf den Plätzen, als hätte man ihnen den Vertrag gekündigt.

Gut, so schlimm mag es nicht sein, aber bisher haben wir nie so einen Abstieg erlebt. Zumindest seitdem ich hier spiele und es so richtig beurteilen kann. Die Stimmung steht kurz vor einer Depression. Coach und sein Assistent beraten sich selbst seit einer ganzen Weile, welche Spielzüge noch probiert werden können, aber diese werden – meines Erachtens – auch scheitern. Heute ist einer dieser Tage, in welchem niemand an dem richtigen Platz auf dem Feld steht und kein Ball dorthin gespielt wird, wo er eine Chance hätte, in das Netz zu gehen.

Aber es ist nicht so, als würde es nicht für unsere Gegner anders aussehen. Die Tage, an welchen wir beide an unserem Existenzminimum kratzen haben sich auf diesen Tag gelegt, in welchem wir besser sein sollten, als der andere. Ihre Frustration ist auch zu spüren.

Gerade geht wieder ein Pass von Riggs in die Richtung von Keller, aber dieser ist zu langsam und der Ball rollt vor ihm weg. Er legt einen Zahn zu, aber da passiert der Ballverlust auch schon direkt. Wie bei Amateuren.

Es ist Wunschdenken, wenn ich sage, dass es besser werden wird, sobald ich auf dem Feld stehe. Falls Coach diese Option überhaupt in Betracht zieht. Das weiß niemand.

Wir haben bereits zweimal ausgewechselt, und ich bin gespannt, wie es aussehen wird. Wir sind Ende der ersten Halbzeit. Es mag sich noch früh anhören, aber das ist es nicht. Jeder ist bereits ausgepowert und es ist keine Belohnung gefallen.

Ich lehne mich zurück und wippe mit meinem Bein unkontrolliert. Sofort muss ich wieder an Rio denken. Ich kann nicht still sitzen.

Wenn Coach noch einmal auswechseln möchte, muss er es jetzt noch tun, bevor die zweite Halbzeit angepfiffen wird. Wir dürfen nur drei Mal pro Spiel wechseln und das droht nun uns eine Falle zu stellen.

Frustrierend. Ein anderes Wort gibt es nicht.

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In der Halbzeit kommt der Startschuss für mich. Ich wärme mich auf und bereite mich darauf vor, die zweite Halbzeit anzutreten.

Ich schwitze, aber es ist kein Schweiß von übermäßiger Anstrengung. Ich bin nervös. Ich mache mir zu viele Gedanken. Der Wechsel ist bereits angekündigt und ich laufe mit den anderen aufs Feld. Für die Fans im Stadion wird der Wechsel noch angekündigt. Als ich auf die Anzeigen sehe, sehe ich das Bild, welches Anfang der Saison von mir gemacht worden ist.

Als die Neuigkeit verkündet worden ist, höre ich Buh-Rufe.

In meinem Körper spannen sich direkt alle Muskeln an und ich reiße mich zusammen, dass ich nicht in die Richtung sehe, aus welcher diese kommen.

Aber sobald einer anfängt, sammeln sich die Menschen. Als ich nach oben blicke in die Ränge gefriert mein Blut in meinen Adern. Ich bleibe stehen und schlage Wurzeln. Meine Augen fixiert auf einen Punkt. Nein, auf paar Menschen. Auf sechs Menschen um genau zu sein.

Als O'Hara zu mir kommt, kann ich mich nicht von den Gestalten wegreißen. O'Hara sieht sie auch, genau wie die Securities, die gerade durch die Kameras auf die Gestalten aufmerksam werden. Sie rennen die wenigen Treppen nach oben um sich zu ihnen durchzukämpfen.

Dafür ist es zu spät. Die Nachricht hat jeder gesehen. Aber sie war konkret an mich gerichtet, genau wie die Buh-Rufe.

Die Männer werden gepackt. Sie lassen ihre Shirts fallen. Zuvor hatten sie diese an dem vorderen Saum in die Höhe gereckt, auf der Innenseite stand jeweils ein Buchstabe. Damit sind sie nicht aufgefallen während den Checks vor dem Spiel.

FAGGOT.

Das Wort hallt in meinen Gedanken nach. Tunte. Schwuchtel.

"Da macht sich jemand keine Fans als Arschficker." Ein Gegner läuft lachend an mir vorbei, und OHara will ihm nachrennen. Ich halte ihn aber fest. "Nicht." Ich will nicht noch mehr Aufsehen erregen, aber das kann wahrscheinlich gar nicht mehr möglich sein.

Die Männer werden abgeführt und das Spiel wird nicht unterbrochen.

Ich kämpfe mich anschließend durch die quälenden Minuten bis das Spiel zu Ende ist.

Und mit diesem Abpfiff endet unsere Champions League Erfahrung. Bei dem Elfmeterschießen sind wir gescheitert.

Von diesem Ausfall hat also Rio gesprochen, und ich gebe ihm recht. Es ist ausschlaggebend. So habe ich nicht gedacht, dass die Fans reagieren. Bei weitem nicht. Mental habe ich immer an die Vernunft in den Köpfen der Menschen und Fans gedacht, aber das sieht demnach nicht aus. Aber es ist raus und da kann ich nichts daran ändern. Weder möchte ich das.

Ich habe Rio. Ich brauche keine Champions League Schale, dafür hab ich meine kommenden Saisonen auch noch Zeit. Es wäre zwar schön gewesen, aber ich kann verzichten.

Ich will einfach nur noch nachhause und in Rios Armen meinen Abend verbringen. Nichts mehr und nichts weniger.

Einfach nur diesen Abend vergessen und die dummen Shirts.

So schnell es geht dusche ich mich und bewege mich in Richtung Ausgang. Ich habe heute zum Glück noch den Zweitschlüssel des Autos mitgenommen, damit ich mich schon hineinsetzen kann, wenn ich früher fertig wäre. Wie es aussieht habe ich bereits mit einem Ausscheiden gerechnet.

Schnell tippe ich eine Nachricht an Rio, dass er weiß wo ich bin und ich trete in die Nachtluft und beginne nach meinem Auto zu suchen.

SCARRED AS A SOULWhere stories live. Discover now