FÜNF

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ALEKSANDER VAN BRUGGEN

Ich-ich denke, ich muss dir nicht sagen, wie das Spiel ausgegangen ist und mit welchem Spielzug.-
Ich-ich danke dir, dass du dich gemeldet hast, auch wenn es nur so banal war. Danke, dass ich weiß, dass du noch lebst. Bist du hier? Kann ich dich sehen?-

Eins der letzten Puzzleteile ist endlich an seinem Platz, an welchem er sein sollte. Wir haben gewonnen. Das habe ich wieder Rio zu verdanken. Dieser Mann hat mein Leben - sogar unbewusst - so geprägt, dass ich ihm so verdammt viel verdanke.

Mir wird wieder klar, wie sehr ich diesen Mann liebe.

In den vergangenen Monaten ist mir mehr klar geworden, als ich möchte. Das ist die größte Erkenntnis, die ich im Moment an den Tag legen kann. Sie ist nicht gerade weltenverändernd, okay naja, zumindest für mich. Mit der wichtigsten Person kann ich diese Ansicht leider nicht teilen, da sie lieber Verstecken mit mir spielt. Aber vielleicht sehe ich ihn ja heute auf der Feier. Sein Zeugnis muss er ja wohl abholen.

Wie viele Monate sind jetzt schon vergangen? Sicherlich vier seit ich ihn gesehen habe. Fuck man, vier verdammte Monate.

Mit dem goldenen Pokal finden wir uns in der fremden Umkleide zusammen, jeder möchte ihn einmal anfassen und Bilder mit ihm machen. Coach gesellt sich zu uns. "Danke, Team. Ihr habt den Bann gebrochen und in Zukunft werden wir diese Idioten immer vom Feld fegen, das war eine Ansage heute. Ihr verdient euch eure Zeit mit dem Pokal."

Ich stehe von der Bank auf um noch wenige Worte an mein Team zu richten.

"Ich weiß, das Spiel war heute nerventreibend. Wir haben uns durch das zermürbende durchgeschlagen und haben gewonnen, auch wenn es nur haarscharf war. Gewonnen ist gewonnen. Ihr seid zu einer zweiten Familie für euch selbst geworden, so muss das sein. Ich hoffe, ihr werdet noch mit demselben Stolz spielen, selbst wenn wir nicht mehr da sind."

Ich sehe die jüngeren an genau wie Ray und Finn. "Bringt uns noch mehr gewinne Nachhause, für uns war es das letzte Mal. Danke Team, so habe ich mir das vorgestellt."

Die Kabine fängt das jubeln an und ich sehe allen Lächelnd zu. Ich würde so gern meine Freunde mit ihm teilen.

Ich spüre eine Hand auf meiner linken Schulter und ich drehe mich zu der Person um. Coach Smith sieht mich verheißungsvoll an. "Draußen wartet jemand auf dich, lass ihn bitte nicht warten."

Mein Herz schlägt schneller. Bitte sag, dass dort Rio ist. So schnell hat mich Coach noch nie aus einer Kabine rennen sehen als ich in den Gang trete und mich umsehe. Er folgt mir während ich versuche, meine Freude zu vertuschen. Bitte, Rio.

Ich komme zu einem abrupte Stopp als ich einen Mann in einem Anzug bemerke. Er dreht sich sofort um und kommt auf mich zu. Mit einem gepflegten lächeln streckt er die Hand aus, damit ich sie schüttle. "Aleksander van Bruggen, schön dich kennenzulernen."

Ich runzle meine Stirn. Also Rio hätte ich da schon lieber gesehen. "Hallo?"

"Ach, das ist logisch, tut mir leid, meine Manieren. Du wirst mich nicht kennen." Er kramt etwas aus seiner Jackeninnentasche während ich von Coach einen Schlag auf den Kopf kassiere und zusätzlich einen bösen Blick. Ich weiß genau, was er mit dem Blick meint Hab mehr Anstand.

Der Anzugtyp holt ein Kärtchen aus seiner Tasche und reicht es mir. Ich ziehe es aus seinem Zeige und Mittelfinger und scanne es. Dort steht gerade einmal sein Name Braxton Heffrey, eine Nummer und eine E-Mail-Adresse. "Alles schön und gut, aber leider sagt mir Ihr Name nichts, tut mir leid."

"Logisch. Ich habe gerade erst diese Saison angefangen, in der Branche zu arbeiten. Ich bin Braxton Heffrey, der Talentcoach und Spotter von Manchester United. Ich bin hier, um mit dir deinen möglichen Profivertrag zu besprechen. Nach dem heutigen Spiel hat sich unsere Wahl nur noch mehr gefestigt. Wir wollen dich bei uns."

Ich sehe auf die Karte, dann auf Coach. Ich weiß nicht, was mich mehr schockt. Dass Man U mich unter Vertrag möchte, oder dass Coach Smith lächelt. Ich drehe mich zu dem Mann, Braxton Heffrey.

"Ich, äh. . . ja." Er sieht mich an. Das war wohl nicht so überzeugend. Ich kann es nicht fassen. "Ja?"

Ich nicke und schlage in seine Hand ein, als würde das für den Vertrag reichen. "JA!" entgegne ich mit meinem vollsten Enthusiasmus.

"Das dachten wir uns, ich kann dir die kommenden Tage einen Termin anbieten, damit wir den Papierkram unter Verschluss bringen."

"Danke, dass sie mich ausgewählt haben." Er nickt, sehr erfreut, dass ich ihn nicht wieder leer gehen lassen habe. "Ich bedanke mich, dass wir einen neuen Spieler bei Man U begrüßen können. Ich habe deine Nummer, ich rufe dich an. Willkommen, bei deinem Traumverein."

Er geht davon und wir beide sehen ihm nach als wäre er nur ein Geist. "Ist das gerade wirklich passiert?"

"Ja, Sohn. Ich habe es dir immer gesagt, du kannst alles schaffen."

"Danke." Ich sehe ihn an. "Ohne Sie hätte ich das alles nicht erreichen können."

"Vergiss nur nicht, woher du gekommen bist. Ich will Autogramme, wenn du Champions League Sieger bist! Oder alles andere."

Ich nicke "Natürlich."

Jetzt schiebt er mich in Richtung Umkleide und zwingt mich zu duschen und nicht zu spät für die Zeugnisvergabe zu kommen.

Oh man, was wird meine Familie nun sagen? Ich habe einen Profi-Vertrag. Bei meinem Traumverein. Wie konnte das nur passieren? Meine Zukunft ist gesichert, zumindest so lang ich bei ihnen unter Vertrag stehe. Ich bin ein offizielles Mitglied, sobald ich den Vertrag unterschreibe. Ich kann es nicht fassen.

Ich will Rio davon erzählen. Nein, ich muss.

Sofort fliegen meine Finger über die Tastatur und ich sende ihm eine Nachricht.

Ich-hast du Zeit? Ich kann es verstehen, wenn du mich nicht sehen möchtest, aber kann ich dich anrufen? Es ist so verdammt wichtig.-

Sobald ich die Nachricht absende, ist er online und hat sie auch schon gelesen. Kurz entschlossen rufe ich ihn an. Es klingelt und klingelt. Ich habe fast bedenken, dass er nicht rangeht. Aber er hat mir heute bereits geschrieben, dann kann er doch auch an das Handy gehen?

Ich blicke auf meinen Bildschirm, auf einmal steht dort ein Verbinde und danach eine laufende Sekundenzahl. "Du bist rangegangen." stottere ich stupide in den Hörer. Ich fasse es nicht. In mir brodelt es von Vorfreude ihn wieder zu hören. Diese unverwechselbare Stimme.

Ich höre, wie er stockend einatmet. "Ja." Er schluckt. "Was ist passiert?" So dumm es sich anhört, werde ich fast hart bei seiner Stimme. Fuck, wie lange ich sie schon nicht mehr gehört habe. Am liebsten würde ich dieses Gespräch aufzeichnen und immer anhören, wenn ich eine freie Sekunde habe.

"Ich bin bei Manchester United unter Vertrag. Also noch nicht, aber diese Woche wird alles noch offiziell. Du bist der erste, der davon erfährt."

"Wow." Danach herrscht eine Stille. "Ich wusste, dass du es schaffst. Ich bin so verdammt stolz auf dich."

"Danke, Rio." Wir genießen die Stille beieinander, als wären wir zusammen im selben Raum. "Werde ich dich heute Abend sehen?"

"Nein." schießt es felsenfest aus ihm heraus. Ich will ihn zu nichts drängen. "Okay, irgendwie oder irgendwann anders?"

"Wenn es das Schicksal will."

Danach legt er auf. Er legt einfach auf. Was für Schicksal? Rio, warum musst du immer so kryptisch sein?

Aber wir haben Fortschritte, er hat mir geschrieben und mit mir telefoniert. Ich weiß, dass er lebt und ich die richtige Nummer habe.

Ich sehe auf meinen Bildschirm, welcher mir das gerade mal sekundenlange Gespräch anzeigt. Ich seufze. Das hat mir nicht gereicht. Ich werde nie von ihm genug bekommen.

Wann werde ich ihn wiedersehen? Vor allem, wird es wie zuvor sein oder fangen wir wieder bei Null an? Ich will ihn so sehr, dass ich wieder fast auf die Idee komme, seine Nummer orten zu lassen.

Irgendwann, Rio. Irgendwann werden wir uns sehen, bis dahin werde ich auf dich warten. Meine erste Liebe. Auch wenn wir alt und runzelig sind. Du bist der eine, den ich will.

Ich liebe dich verdammt nochmal bei all meinem Bewusstsein.

SCARRED AS A SOULWhere stories live. Discover now