EINS

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RIO NAVARRO

Princesa-Wo zur Hölle bist du? Chas und Oliver sagen mir nichts-
Princesa-treib keine Spielchen, es ist nichts Schlimmes-

Gestresst steige ich aus der viel zu kleinen Dusche und trockne mich so rasch ab, dass sich mein Shirt direkt an meinen Rücken klebt und sich direkt ein paar Töne dunkler verfärbt. Ich hab keine Zeit, um mich damit noch zu beschäftigen.

Schnell verlasse ich das kleine Badezimmer und sehe zu meiner Mama. Unverändert sitzt sie auf dem Sofa, mit dem Blick aus dem Fenster. Sie redet zwar mit mir, aber ab und zu hat sie wieder ihre Trauerphasen in welcher niemand weiß, worüber sie trauert.

Die übliche Melancholie überschwemmt mich. Ich werde sie von nun an wirklich nicht mehr los. Normalerweise habe ich sie immer nur gespürt, wenn ich mit ihr telefoniert habe. Aber jetzt? Jetzt sehe ich sie direkt vor mir, jeden Tag. Fast unfähig sich selbst zu versorgen. Gerade noch kann sie sich duschen und anziehen. Kochen, Arbeiten, Putzen ist hier nicht mehr auf dem Arbeitsplan.

Das alles ist auf mich übergeschwappt. Könnte ich mir nur einen Staubsauger leisten, müsste ich nicht alles fein säuberlich mit einem Besen zusammenkehren. Das würde mir schon einmal helfen. Ich fange wirklich komplett von vorn an.

Ab und zu unterhalten wir uns etwas länger, aber auch nur über belangloses. Ich wünschte, in ihre Gedanken schauen zu können. Es ist genau wie früher. Ich kümmere mich um sie und um mich selbst. Aber ich bin darin geübt und bin zudem einige Jahre älter.

Stillstehend befinde ich mich in dem kleinen Flur, welcher zu der Wohnungstür hinführt als ich mich noch einmal zu ihr umdrehe und sie anspreche.

"Ich gehe arbeiten, bin in maximal vier Stunden zurück."

"Okay." Haucht sie eher dem Fenster zu als mir. Was habe ich anderes erwartet?

Ich habe in den letzten Wochen mich um Jobs umgesehen. Wie es sich herausstellt, stellen Arbeitgeber eher ungern Studenten ein, die sich etwas Geld dazuverdienen wollen. Abends habe ich zu meinem Glück eine Stelle in einer Tankstelle nicht weit von der Wohnung entfernt.

Gerade mache ich mich aber auf den Weg zu einer kleinen Autowerkstatt, welche hinter sich einen Schrottplatz hat. Dort war Amigo – wie er sich selbst nennt – recht erfreut, dass ich ein wenig verstehe von Autos und wenigstens Reifen wechseln kann. Meistens wasche ich einfach nur Autos, helfe die Werkstatt zu putzen und ab und zu lässt mich Amigo die Büroarbeit machen. Dafür habe ich ein größeres Händchen als um einen Ölfilter auszutauschen.

Wir sind ein recht kleiner Betrieb aber die Stammkunden kommen nach wie vor zu uns und es kommen auch wenige Neukunden, wie mir Amigo an meinem ersten Tag erzählt hat. Ich wiederum war einfach nur froh, eine Stelle gefunden zu haben, die mich noch aus dem baldigen Minus meines Kontos herausholen wird.

Amigo hat die Werkstatt mit seinem Bruder, welchen ich so gut wie nie sehe, da er immer unter einem Auto liegt oder andere Arbeiten erledigt. Die beiden Brüder verrichten ihre Arbeit - soweit ich es beurteilen - kann fair und ohne ihre Kunden abzuziehen. Amigo hat mir versprochen, dass er mir noch einige weitere Kniffe an Autos beibringen wird.

Ich weiß nicht, ob er mich wegen meinen Wurzeln angenommen hat oder weil er mir ansieht, dass ich nicht so viel Geld gerade zur Verfügung habe.

Jedenfalls habe ich hier wenigstens noch ein warmes Mittagessen von Amigos Frau, die mich direkt in ihren Arm genommen hat und mir auf Spanisch direkt gesagt hat, dass ich viel zu dünn für einen so großen Mann bin.

Ich habe sie in den letzten Tagen schnell ins Herz geschlossen.

So gut es geht versuche ich mich von der einen Person abzulenken, die sich immer in meine Träume schleicht und mich an seinem Absturz verantwortlich macht. Wenigstens sehe ich ihn von nun an in meinen Albträumen.

So ziehen von nun an die Tage ins Jahr, Wochen vergehen und ich versuche mich so gut es geht über dem Wasser zu halten, ebenso wie meine Mama. Ich weiß nicht, wie lange ich das noch so durchziehen kann. Wie lange ich das noch durchhalte. Zwei Jobs, Lernen, Mama pflegen.

Schlaf ist nicht mehr ein sicherer Platz für mich, ich betreibe mein Leben auf dem nötigsten, sodass ich eben noch durchkomme. Vielleicht ist nach dem Schulabschluss ein Lichtblick am Ende des Meilen langen schwarzen Tunnel.

Ich versuche, mein gebrochenes Herz mir nicht zu nah zu kommen lassen. Aleks betreibt sein Leben bestens. Ich halte mich immer selbst auf dem Laufenden und verfolge seine Spiele, in welchen er trotzdem noch so ungehindert Spielt wie an dem Tag, als ich ihn das erste Mal spielen gesehen habe.

Mein Herz weiß nicht, was es fühlen soll. Auf der einen Seite freue ich mich, dass es ihn nicht so zerreißt wie mich. Er findet immer noch etwas Positives. Aleks vermisst mich nicht. Er schafft das alles ohne mich. Eben wie zuvor.

Auf der anderen Seite, die egoistische, sieht es anders aus. Ich möchte, dass er mir nachtrauert. Ich möchte, dass er mir wie bis jetzt jeden Tag Nachrichten schreibt, was er gerade macht oder was er die nächsten Tage plant. Zwischendurch fragt er mich wie es mir geht und wo ich bin.

So selbsteigen wie ich bin, lese ich sie nur. Aber das scheint ihn zu ermutigen, immer noch Nachrichten mir zu schreiben. Spät in der Nacht erhalte ich Nachrichten, in welchen er mir schreibt, dass er mich vermisst und dass ich doch bitte zu ihm Nachhause kommen soll. Oder wenigstens sagen soll, wo ich bin.

Ich weiß aber genau, dass ich ihm fast nicht widerstehen kann, meine Adresse zu schicken. Ich weiß auch, dass er mir helfen würde und mir so viel Geld geben würde, dass ich es ihm nie wieder zurückzahlen könnte.

Ich bin komplett zerteilt mit meinen Gefühlen. Hinzu kommen die Albträume, in welchen er mich für seine queere Sexualität beschuldigt. Zusätzlich macht er mich schuldig, dass ich seine Kariere ruiniert habe, bevor sie überhaupt angefangen hat. Nur weil er sich wegen mir geoutet hat. Ich weiß nicht einmal, ob er sich nun zu etwas bekannt hat.

Dios, ich weiß rein gar nichts. Ich kann mir selbst nicht einmal helfen. Die Zeit heilt alle Wunden, aber heilt sie auch diese?

Frohe Weihnachten
-A.

SCARRED AS A SOULOù les histoires vivent. Découvrez maintenant