NEUNUNDZWANZIG

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RIO NAVARRO

Ich habe eine Theorie.

Sie mag vielleicht etwas Absurd klingen, aber mittlerweile steht sie fest für mich. Es ist gar nicht mehr nur eine simple Theorie. Es ist ein Fakt. Durch mehrere Jahre und Erfahrungen bewiesen und bestärkt. Ein Fakt, der mir so einige Dinge in meinen Weg legt, die ich nicht dort haben möchte.

Ich habe sie schon immer in meinem Leben anerkannt, diese Theorie. Sie wird mich auch weiterhin begleiten.

Wenn einmal in meinem Leben etwas gut läuft, ist dieser Moment nicht lange anhaltend. Es ist nicht so, als würde ich diese These nur aufstellen, weil mir vielleicht mal das Essen verbrannt ist, nachdem ich eine Zeit lang super kochen konnte. Ohne, dass einen Feuermelder, welcher unnötig laut den Rauch aus der Pfanne ankündigt mich erinnert, dass ich gerade an etwas scheitere. Diesmal ist es mehr als ein Feuermelder, welcher mich an mein Versagen erinnert. Oder der mein Fehler für andere ankündigt.

Nein, es ist schon oft vorgekommen, dass ich gerade einen guten Lauf habe – oder sogar einen sehr guten – aber dann kommt was auch immer – sei es Schicksal – in meinen Weg.

Das habe ich schon mitbekommen, als ich die monatliche Gebühr für meine Mama nicht mehr zahlen konnte.

In der Zeit davor lief alles wirklich gut. Ich hatte zwar ein paar Defizite und Meinungsverschiedenheiten mit Aleks aber das haben wir auch überwunden. Zumindest ich habe meine Bindungsängste überwunden. In meinem Job lief es gut, in der Universität sowieso. Ich hatte keine großartigen Probleme, bis auf das Übliche.

Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, über all die Male, in welchen es mir gut ging, hat es immer schnell ein Ende gefunden.

Aber warum? Lässt mich das Schicksal oder der Gott oder was auch immer nicht glücklich sein und einfach mein Leben leben und das vielleicht auch ein wenig genießen? Steht da irgendwas oder irgendjemand in meinem Weg? Habe ich zu viel schlechtes Karma in meinem vorherigen Leben gesammelt, dass ich jetzt schon wieder vor einem Scheiterhaufen stehe?

Okay, es betrifft nicht nur mich. Vielleicht überdramatisiere ich es auch. Das ist es wahrscheinlich. Ich projiziere seine Panik auf mich, dass ich wieder viel zu viele Gefühle auf einmal fühle und nicht mehr weiß, wo mein Kopf denn überhaupt steht.

Aber es ist nicht nur er, der wohl oder übel vor seinem Ruin steht. Wir können uns da jetzt nichts mehr schönreden, geschweige denn es rückgängig zu machen.

Fuck, könnten wir nur die Zeit zurückdrehen. Eineinhalb Wochen sollten reichen. Wäre das möglich? Naja, was versuche ich überhaupt. Wenn mich die stärkere Macht nicht glücklich sein lässt, wird sie mir wohl kaum diesen irrsinnigen Wunsch gewähren. Aber vielleicht für Aleks?

Es ändert sich nichts in diesem Raum und Zeitkontinuum. Ich schwebe leider nicht durch eine andere Galaxie und ende an diesem Morgen als und Braxton Heffrey so früh geweckt hat, da mein Knutschfleck Schlagzeilen ausgelöst hat. Zurück zu dieser einen Entscheidung. Nein, nicht irgendeine. Diese eine.

Hätten wir nur das Go für das Outing gegeben. Hätte ich doch nur das Go gegeben. Alles liegt an mir.

Alles.

Alles ist meine Schuld.

Ich bin daran schuld, dass Aleks mit seiner Karriere auf Messers Schneide tanzt. Ich habe meine Karriere sowieso direkt in den Sand gesetzt. Ich will nicht einmal den Gesichtsausdruck meiner Vorgesetzten sehen. Aleks kann noch gerettet werden. Ich weiß nicht, wie sehr es mich aus meiner Umlaufbahn werfen wird. Welchen Beruf ich überhaupt noch ausüben kann, wenn die Welt bescheid weiß.

Hätte ich doch einfach nur zugestimmt. Dann hätte Aleks selbst sein Coming-Out so planen können, wie er es möchte. Ohne großen Wirbel. Das ist so dahin gesprochen. Es hätte definitiv einen großen Wirbel gegeben, aber dann wäre jeder dafür bereit gewesen. Der Verein, die Pressesprecher, Braxton Heffrey, Aleks und zu guter Letzt ich.

So stur wie ich eben war, habe ich ihm das nicht ermöglicht. Ich wusste es, dass diese Entscheidung Nachwirkungen haben wird.

Ich wusste es auch schon vor fast einem ganzen Jahr, wie sehr es Aleks Karriere ins wanken bringen wird, wenn es hinauskommt. Wäre ich doch nur weg von Manchester geblieben. Wäre ich doch nur bei Amigo und Martína geblieben. Die beiden habe ich auch allein gelassen. Wie jeden Menschen in meinem Leben. Ich lasse jeden allein zurück. Oliver hat Chastity und auch anders herum. Meine Mama hat sowieso nur noch mich. Amigo und Martína hätten mich gebraucht für ihre Werkstatt. Wäre ich doch nur weggeblieben. Dann hätte es das nicht gegeben. Ich hätte mich nicht verantwortlich machen müssen, wenn es in wie Welt getragen wird. Wenn es einen Leak gibt.

Und nicht nur von seiner Sexualität.

Nein, von allem.

Vor allem von meinem Beruf bevor ich Sozialarbeiter geworden bin.

Von meinem Club, von meinem Namen. So viele Details.

Und dafür hat wer auch immer sich den perfekten Zeitpunkt ausgesucht um den finalen Schuss gegen den aufsteigenden Stern des Manchester United Fußballclubs zu setzten.

Diese Pressekonferenz hätte anders ausgesehen, wäre alles anders passiert. Vielleicht hätte es sie gar nicht gegeben. Niemand wird es je erfahren. Ich muss mich auf das hier und jetzt konzentrieren. Ich muss Aleks unterstützen.

An meinen Untergang kann ich noch gar nicht denken. Immerhin kann ich wieder in die gleiche Branche zurück, wenn mich niemand mehr nimmt nach diesen Zeilen. Nun bin ich seine Boje in der Brandung. Aber ich glaube, wir beide klammern uns nur an dem anderen fest, und nicht an etwas, was uns nach oben hilft. Zusammen in den Untergang.

So habe ich das nicht geplant. Fuck, hier ist gar nichts geplant.

Mit schweißnassen Händen überfliege ich – wie unzählige Male zuvor – diese Schlagzeilen. Mir wird wieder schlecht.

Es ändert nichts an der jetzigen Situation.

Alle fünf Minuten kommt eine neue Zeile dazu.

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SCARRED AS A SOULWhere stories live. Discover now