EINUNDDREIßIG

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ALEKSANDER VAN BRUGGEN

Ich schlucke erneut ziemlich laut, als wäre ein großer Klos in meinem Hals gefangen. Hoffentlich schnappt das Mikrofon das Geräusch nicht auf, sonst würde es sich ziemlich komisch in dem Livestream anhören. So nervös möchte ich eigentlich nicht herüberkommen. Es ist nicht, dass ich irgendetwas verbrochen habe und gerade eine Konferenz über meinen baldigen Gefängnisantritt gehalten wird.

Zur Einleitung werden ein paar Worte gesprochen, als das Wort auf mich fällt. "Zu diesen Schlagzeilen, die seit heute Mittag kursieren möchte Aleksander van Bruggen nun selbst Stellung nehmen. Ich bitte Sie, behalten sie sich ihre Fragen bis zum Ende auf, danach können Sie sie stellen."

Jeder sieht mich an. Hätte ich mir doch irgendwie etwas aufschreiben sollen? Aber von einem Skript vorlesen ist auch unpraktisch in so einer Situation.

"Heute Mittag ist meine Welt etwas aus ihren Angeln gefallen. Als ich die Schlagzeilen auf meinem Handy gelesen habe und dann den Anruf von meinem Agenten erhalten habe, habe ich etwas in Panik geschwebt, was sonst nicht in meiner Natur ist.

Aber es ging nicht darum, dass ich Schwul, Bi oder etwas anderes aus dem Spektrum bin und dies nun öffentlich ist. Oder gar, dass dieses Bild von meinem Partner und mir im Internet nun kursiert. Nein, es ging mir nur um den Ruf meines Freundes." Ich schlucke. Mit einem Handgriff biege ich das Mikro näher zu meinem Körper und meinem Mund.

"Um eine klare Aussage hier zu machen: Ich bin von Anfang an bei meinem Team geoutet gewesen. Jeder hat es gewusst, aber ich wollte es noch nicht publizieren, da sowieso als 'Der Neue' alle Blicke auf mir lagen. Dann kam die Champions League und mein Team und ich wollten nicht so eine große Welle schlagen und uns aus der Konzentration werfen. Ich wollte es bekanntmachen, das ist definitiv für mich gewesen.

Da aber mein Freund und ich noch Bedenken hatte, haben wir beide uns dazu beschlossen, nachdem ich die Möglichkeit nach dem Knutschfleck-Fiasko mein Coming-Out verpasst habe, es weiterhin verdeckt zu halten."

Ich blicke durch die Menge. Die Reporter und Reporterinnen hängen mir an den Lippen. Manche schreiben sich eifrig etwas auf ihren kleinen Block. Da bin ich gespannt, was nach diesen paar Minuten für Schlagzeilen kursieren werden. Hoffentlich nur gute.

"Ich wollte das Outing in meinem Tempo betreiben, aber das stand jetzt nicht mehr in meiner Macht. Ich bin Aleksander Van Bruggen und ich bin Queer. Mein Partner ist Rio, der Mann auf dem Bild. Wir sind in einer festen Beziehung und ich hoffe, dass es noch für eine sehr, sehr lange Zeit so bleiben wird."

Coach räuspert sich neben mir. "Der Verein unterstützt van Bruggen komplett, ohne Einwände. Wir kennen bereits Rio, da er uns vorgestellt worden ist und niemand hat sich feindlich geäußert. Dieses Verhalten erwarten wir natürlich auch von unseren Fans und allen Menschen dort draußen. Die Sexualität eines Menschen definiert nicht seine Spielweise oder andere Dinge, in welche man sich als Außenstehender gar nicht erst einmischen darf."

Er sieht streng alle Reporter an, ebenso wie die Kameras. "Wir dulden keine 'Fans' – er malt Anführungszeichen in die Luft – "Die beleidigende Kommentare oder Ausrufe gegenüber unseren Verein tätigen. Sobald ein solcher Verstoß wahrgenommen wird, erfolgt ein Verbot für unsere Spiele. Wir werden hierbei sehr durchgreifen, obwohl wir auf die Reife und das Verständnis unserer Fans hoffen."

Damit ist die offizielle Ansprache beendet. "Gibt es noch Fragen an Coach Chandler oder Van Bruggen?" Einige Hände schießen in die Luft und ich blicke hilfesuchend zu Braxton, der die Frage gestellt hat, aber er ruft bereits jemanden auf.

"Wie nehmen Sie Stellung zu der Behauptung, dass ihr Partner in einem Stripclub arbeitet?" Sie räuspert sich kurz und meine Nerven liegen blank. Ich weiß nicht, was ich sagen soll. "Der Leak hat nur über den Club und die Bar gesprochen, wird das den Ruf ihres Partners so schädigen?"

Was? Braxton schreitet ein. "Aus welcher Quelle beziehen Sie diese Information?" Das würde alles ändern. Dann stünde er nur als Barkeeper da. Das würde ihn retten. Die Frau eilt zu meinem Agenten und er liest es sich durch und bestätigt mir die Wahrheit durch ein Zeichen. Rio musste selten – aber es kam vor – an der Bar arbeiten. Dann wurde er dort gesehen. Ich atme auf.

"Dass er Barkeeper in einem Stripclub ist, ist für mich nicht irritierend. Es ist auch nicht anders, als würde er in einem anderen Nachtclub arbeiten. Die Medien haben nur wieder die falschen Informationen weitergeleitet um die beste Schlagzeile zu finden. Sobald so etwas auftaucht, wenn man die Person googelt, kann das zu großen Schwierigkeiten führen, deswegen wird sein Ruf langwährend geschädigt sein. Das sollte wohl nachvollziehbar sein."

Der nächste wird aufgerufen. "Wie haben Sie beiden sich kennengelernt?" Coach räuspert sich aber ich blicke ihn kurz beschwichtigend an.

"Bevor noch spekuliert wird, dass ich auch in diesem Club gewesen bin" – was ich auch wirklich war – "Muss ich sagen, dass Rio und ich auf die gleiche Uni gegangen sind und ich von ihm Nachhilfe bezogen habe. Aus diesen gemeinsamen Stunden ist dann allmählich mehr geworden." Ich lächle, als ich an die Zeit zurückdenken musste. Vor allem an unseren ersten Kuss auf Rays Party. Nachdem ich so eifersüchtig gewesen bin, da er für das Geburtstagskind gestrippt hat. Aber jetzt ist er meiner. Für immer. Das weiß er nur vielleicht noch nicht.

Braxton nickt mir zu, und zeigt auf die nächste Frage. Wie viele soll ich denn noch beantworten? "Wie fühlt es sich nun an, als erster geouteter Spieler in der Liga zu spielen?"

"Normal. Ich bin nach wie vor ich. Daran hat sich nichts geändert – außer – dass sich die Medien einen Spaß daraus machen, mein Privatleben an die große Glocke zu hängen. Ich hoffe natürlich, dass die Fans willkommen heißend sind, genau wie jeder andere." Ich hole erneut Luft und sehe durch die Menschenmenge.

"Vor allem möchte ich aber ein Vorbild sein, für diejenigen, die noch nicht den Mut gefunden haben, in dieser – manchmal nicht so netten Welt – sich so offen zu präsentieren. Es wird mehr geben, als Sie alle erwarten. Vielleicht nicht in den nächsten Wochen, aber es wird sie geben. Ich bringe den Stein nur zum Rollen, das muss getan werden."

Ich beende diesen Satz und habe das Gefühl, dass ich einmal in meinem Leben stolz auf mich und meinen Mund sein kann, diese Worte hervorgebracht zu haben. Ich nicke minimal mir selbst zu. Das hat geklappt.

"Fragerunde beendet. Wir danken Ihnen für ihr zahlreiches Erscheinen. Der Livestream wird nun beendet. Wir sehen uns alle zum morgigen Achtelfinale."

Jetzt kann ich mit einem richtigen Lächeln den Raum verlassen. Schnurstracks gehe ich auf das Büro von Coach zu, da dieser in die Richtung zeigt. Er weiß, zu wem ich will.

Als ich die Tür öffne, steht Rio bereits dort und sieht mich an.

Seine Brust hebt und senkt sich als er in meine Arme fällt. "Ich bin so verdammt stolz auf dich, Aleks." Er küsst mich kurz, aber fest. "Ich liebe dich. Du nimmst mein komplettes Bewusstsein ein."

"Ich liebe dich, Rio. Ich kann es nicht einmal in Worte fassen."

Ich höre die Tür hinter uns öffnen und schließen.

"Das hast du gut gemacht Van Bruggen. Damit hast du die perfekte Ansage für die Menschen und die Fans dort draußen gemacht." Coach klopft mir auf die Schulter. Dann sieht er zwischen uns beiden hin und her. "Nun, da ihr öffentlich seid, möchte ich aber nicht, dass ich irgendjemand beim Fremdgehen erwische oder anderen Kram. Das brauchen wir nicht unbedingt."

Ich schüttle meinen Kopf. Warum sollte ich nach etwas anderem suchen, wenn alles, was mich erfüllt, hier direkt bei mir ist?

Für den Mann, für welchen ich Monate lang gekämpft habe, werde ich nichts dem Zufall überlassen.

Nun gilt es nur noch, das morgige Spiel zu bestreiten und dann aufzusteigen. Vielleicht kann ich auch als erster queerer Spieler den Champions League Pokal Nachhause bringen. Aber dafür habe ich auch noch die kommenden Saisonen Zeit. Es muss nicht alles direkt perfekt passieren. Träume müssen noch realisiert werden können.

Aber der größte Traum steht bereits neben mir, in meinem Arm. Und ich kann kaum erwarten, mit ihm Nachhause zu gehen und mit ihm wieder in meinen Armen einzuschlafen.

SCARRED AS A SOULWhere stories live. Discover now