ZWEI

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RIO NAVARRO

Princesa-ich war heute erneut bei Chas und Oli, beide wollen mir nicht sagen, wo du bist-
Princesa-So langsam mach ich mir wirklich Sorgen um dich, Rio. Beide sagen zwar, dass es dir gut geht, aber warum meldest du dich nicht bei mir?-
Princesa-komm bitte wieder-

Seufzend lasse ich mich in dem alten und durchgesessenen Bürostuhl nieder und lasse mich nach hinten lehnen. Gerade bin ich in einem der beiden Hinterzimmern, dass eine ein mickriges Badezimmer, welches nur eine Toilette und ein Waschbecken zur Verfügung stellt. Das andere Zimmer ist ein Büro. Zwei Aktenschränke, die aus allen Nähten platzen und ein Schreibtisch und ein Stuhl. Der Tisch steht an einer Wand, somit habe ich direkt einen Kalender vor meiner Nase, in welchem ich jeden einzelnen verstrichenen Tag symbolisierend durchstreiche.

In meinen schwachen Minuten, zähle ich die Tage, die ich ihn schon nicht mehr gesehen habe. So langsam kann ich diese aber nicht mehr zählen, da es zu viele sind. In den noch schwächeren Minuten, freue ich mich auf die Zeugnisvergabe und ob ich ihn dort sehen werde. Die andere Variante ist, dass ich ihm eine Nachricht tippe, die ich aber nie abschicke, da ich Angst vor seiner Reaktion habe. Würde er sich mit mir treffen wollen um über all das passierte zu sprechen? Vielleicht, ja. Fragen, was ich mache oder wo ich bin, das bestimmt auch. Alles nur Fragen, keine Antworten.

So gerne würde ich in seinen Gedanken sein, damit ich weiß, wie es ihm geht oder wie er sich fühlt. Ich kann ihm schreiben. Aber da stelle ich mir selbst ein Bein, über welches ich immer wieder stolpere und es mich zum Fallen bringt. Aber in diesem Vergleich ist mein Kopf mein Bein. Ich konnte noch nicht darübersteigen und ihm eine Nachricht zu schicken.

Immer falle ich so hart, dass das Aufstehen immer schwieriger wird. Mein Herz kämpft gegen meinen Kopf. Bis jetzt hat es immer mein Kopf für sich entschieden. Wer weiß, wie lange die beiden sich noch standhalten. Das Resultat wird sich dann mir schon offenbaren.

Ich habe bereits jetzt mit dem Direktor abgeklärt, dass ich nicht aufgerufen werde für die Vergabe. Ich möchte nicht vor den Augen aller anderen auf das Podest laufen. Insgeheim will ich einfach nicht, dass mich Aleks sieht. Am liebsten würde ich mich von ihm fern halten aber ich glaube, das geht nicht mehr lange. Mein Herz sucht sein Gegenstück, es will wieder Ganz sein.

Mal sehen, wann ich wirklich nachgebe. Sonst bin ich auch immer ein Kopf-Mensch und überdenke alles etliche Male, aber ich denke, ich kann mich nicht mehr zurückhalten und muss ihn bald irgendwie sehen. Den verdammten Blondschopf, der ungewollt mein Herz eingenommen hat und es nicht mehr hergibt. Dios, es ist mir sogar egal, ob er mich nicht mehr sehen will oder kann, ich muss ihn nur in Natura sehen, dass ich sichergehen kann, dass es ihm gut geht.

Ich fokussiere den Kalender. Über einen Monat hat er nichts mehr von mir gehört. Die Zeit zieht gleichzeitig schnell und langsam ins Lande. Manche Stunden dehnen sich wie hartnäckiger Kaugummi, während die anderen direkt verfliegen wie ein Wimpernschlag. Immer noch erhalte ich seine Nachrichten. Er lässt nicht los.

Ich weiß nicht, was ich davon halten soll. Ich bin immer noch zweigeteilt. Ich freue mich, dass er noch an mich denkt. Vor allem in seinen glorreichen Momenten. Das perfekte Beispiel war letzte Woche als er ein Spiel hatte und sein Team gewonnen hat. Ich habe es natürlich mitverfolgt aber nicht gesehen. Unsere Schule stellt alles online, wie ein Live-Ticker eines Profi-Spiels. Jede einzelne Zeile und jeden einzelnen Spielzug verfolgte ich mit meinem geistigen Auge.

Bis er mir dann direkt nach dem Spiel geschrieben hat und seine Nachricht so glücklich angehört hat, dass ich ihn fast angerufen hätte, nur um seine Freude zu teilen. Aber das geht nicht. Ich will ihn nicht aus seinem Flow werfen. Er soll sich so gut es geht von mir trennen, aber wie es aussieht schafft er das nicht. Sonst würde er mir doch keine Nachrichten schreiben?

Ich weiß nicht, was mir lieber wäre. Dass er mich vergisst und das, was wir zusammen geteilt haben. Oder, dass er mir hinterhertrauert und weiterhin an dem Gedanken festhält, dass wir eine Zukunft haben könnten.

Ich zähle die Tage im Kalender, bis zu unserem Schulabschluss. Ein wenig mehr als drei Wochen. Dien kann ich von den Rängen aus zusehen, wie er sein Diplom abholt und mit seiner Familie feiern wird. Bis dahin kann ich es noch aushalten.

Ich schüttle mich aus meinen Gedanken und packe meine Sachen zusammen um die gewohnte Runde nachhause zu fahren um dort für mich und meine Mama zu kochen. In der Zwischenzeit habe ich so einiges Können in der Küche erreicht, zumindest für das, was billig und schnell von der Hand geht. Früher habe ich gerade einmal Nudeln und Soße hinbekommen, jetzt sieht das ganze schon ein wenig anders aus.

Die Lage meiner Mama ist nach wie vor nicht die beste. Ich kann ihre Medikamente erwerben und sie ist nicht so in Gefahr durch ihre Depression, dass sie sich umbringt. Trotzdem hege ich Sorgen, wenn ich in der Arbeit bin.

Ich genieße den Heimweg. Ich liebe es, Menschen zu beobachten und selbst so unsichtbar wie noch nie zu sein. Ich liebe es auch, von der kleinen Wohnung weg zu sein. Hier kann ich ungehindert atmen, dort verspüre ich immer einen Druck, es besser machen zu müssen.

Du musst dich besser um deine Mama kümmern. Du musst mehr Geld herbeischaffen, dann kann sie wieder in eine Klinik. Du solltest ein besserer Sohn sein. Du solltest dich bei Aleks melden, ebenso bei Chas und Oliver.

Ich vermisse die beiden. Ich vermisse meine Arbeit im Long Legs & Pretty Pecks und meine Wohnung. Ebenso das Motorradfahren und allgemein Manchester. Was mache ich hier nur? Mich durchbeißen. Auf das Beste hoffen.

In der vergangenen Zeit konnte ich mich noch mit dem Lernen beschäftigen aber das ist mit den letzten Prüfungen auch vorbei gewesen. Wie ich abgeschlossen habe, erfahre ich erst in den paar Tagen, wenn ich das Zertifikat in meinen Händen halte. Ich glaube aber, dass es gut gelaufen ist. Ich halte mich zumindest an diesem kleinen Strohhalm fest, damit ich mich wenigstens freuen kann und bessere Chancen beim Bewerben zu haben.

Mehr hilft da auch nicht mehr. Ich interessiere mich so brennend für Aleks Leben im Moment. Hat er schon einen Vertrag bei einem Verein? Ist er zufrieden mit seinen Prüfungen oder hätte er noch meine Hilfe gebraucht. Sicherlich, ich hätte ihm noch mehr helfen sollen. Ich kann es weder ihm noch mir noch meiner Mama recht machen, habe ich das Gefühl.

Ab wann zählt das alles schon als Burn-Out?

Seit Monaten sitze ich hier in diesem Loch fest, kein Kontakt zur Außenwelt. Ich glaube, so langsam werden meine Gedanken und ich inklusive verrückt.

SCARRED AS A SOULWhere stories live. Discover now