Kapitel 12

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Am nächsten Tag hatte sie wirklich all ihren Mut zusammengefasst und machte sich auf den Weg zur Klinik. Sie wusste nicht, ob Sean sie sehen wollte. Aber sie wollte ihn sehen. Und wenn sie wollte, dass sie eine Beziehung auf Augenhöhe hatten, konnte sie sich nicht immer nur nach seinen Bedürfnissen richten. Nein. Sie wusste, was sie wollte. Und Travis hatte absolut recht. Woher sollte Sean wissen, was sie wollte, wenn sie es ihm nicht sagte?

Doch als sie in der Klinik angekommen war, war Sean gerade in einer Therapiestunde. Die Schwester sagte ihr, dass sie etwa eine Stunde warten musste, ehe sie ihn besuchen konnte. Vic fluchte. Sie hatte ihren ganzen Mut zusammengenommen, aber sie wusste nicht, ob dieser Mut noch eine weitere Stunde anhalten würde. Also entschied sie sich für die feige Variante. Sie schrieb ihm einen Brief.

Lieber Sean,

eigentlich wollte ich dir diese Worte gerne persönlich sagen, aber du warst gerade nicht da und ich weiß nicht, ob ich es noch einmal schaffe, diesen Mut aufzubringen. Deswegen muss es auf diesem Weg reichen. Ich liebe dich. Meine Gedanken drehen sich nur um dich. Tag und Nacht. Ich halte es nicht mehr aus, dir das nicht zu sagen. Ich will mit dir zusammen sein. Nicht irgendwann, sondern jetzt. Es ist in Ordnung, wenn du das nicht willst. Bitte lass mich einfach wissen, was du willst. 

Vic

Sie hasste, was sie geschrieben hatte. Es klang viel zu kitschig. Aber sie wusste nicht, wie sie es sonst formulieren sollte. Er musste wissen, was genau sie meinte. Sie sah auf die Uhr. Mist! Für diese paar Zeilen hatte sie jetzt fast eine Stunde gebraucht. Sie musste sich beeilen. Sie wollte der Schwester den Brief für Sean geben, bevor dieser wieder zurück war von der Therapie. Sie hatte Glück. Sean war noch nicht zurück. Also sagte sie der Schwester, sie solle ihm nur den Brief geben und bedankte sich.

Dann machte sie sich wieder auf den Weg zum Auto. Sie hatte keine Ahnung, wie Sean auf den Brief reagieren würde. Und sie hatte echt Angst davor. 

"Vic?"

Verdammt! Sie hatte sich zu früh gefreut. Sie war schon beinahe beim Auto gewesen, als Sean plötzlich vor ihr stand. "Sean! Ich wollte dich besuchen, aber du warst nicht da." Nervös biss sie sich auf die Lippe. War er wütend, weil sie sich nicht daran gehalten hatte, etwas Abstand zu halten? "Ich muss jetzt auch wieder los. Ich hab einen Brief für dich abgegeben. Sag mir dann, was du darüber denkst."

"Vic, warte doch mal", rief Sean und hielt sie auf. Ein wenig verwundert sah er mich an. "Was steht denn in dem Brief?"

Sie hätte den Brief gar nicht erwähnen sollen. Wie sollte sie da jetzt wieder raus kommen? Sie musste es ihm sagen. Nur wie? "Bitte lies einfach den Brief. Ich...ich weiß gerade nicht, wie ich das in Worte fassen soll."

Er runzelte die Stirn. "Was auch immer es ist, du kannst es mir sagen."

Aber sie brauchte noch ein bisschen Zeit. Sie wusste gerade echt nicht, wie sie es sagen sollte. "Du siehst gut aus", sagte sie stattdessen. Er sah tatsächlich erholt aus und es schien ihm den Umständen entsprechend wirklich gut zu gehen.

Er lächelte. "Es geht mir auch gut", meinte er. "Ich glaube, es ist das erste Mal, dass ich mich wirklich auch auf eine Therapie einlasse. Und die Therapie hilft. Sehr sogar. Es ist definitiv noch ein langer Weg, aber ich glaube, diesmal schaffe ich es."

Aus einem spontanen Impuls heraus schloss sie ihn in die Arme. Für sie waren das gerade die schönsten Worte, die er hätte sagen können. Viel besser, als jedes Ich liebe dich auch nur sein könnte. Sie war einfach so erleichtert, dass Sean auf dem Weg der Besserung war. Und sie war so verdammt stolz auf ihn. Die Umarmung schien ihn zunächst ein wenig überrumpelt zu haben, aber dann zog er Vic ebenfalls an sich und schloss sie fest in seine Arme. Am liebsten hätte sie ihn nie wieder losgelassen. Ein so warmes und wohliges Gefühl durchströmte sie, das sie nie wieder missen wollte. "Ich bin so froh, dass es dir besser geht", flüsterte sie.

Sanft löste er sich wieder aus der Umarmung. Er lächelte sie an. "Willst du mir jetzt erzählen, warum du hier bist?"

War das hier gerade der richtige Zeitpunkt? Ihm schien es gut zu gehen. Aber war er stabil genug, mit einem erneuten Liebesgeständnis von ihr umzugehen? Oder würde sie damit all seine Fortschritte zunichte machen? Aber sie hatte sich vorgenommen, nicht mehr so viel Rücksicht auf ihn zu nehmen. Das wollte er doch auch gar nicht. War das nicht auch irgendwie der Grund gewesen, warum er damals den Kontakt abgebrochen hatte. Er wollte nicht, dass sie Rücksicht auf ihn nahm. Sie musste sagen, was sie wollte. "Ich will nicht länger warten", gestand sie. "Ich hab genug von Abstand halten." War das jetzt zu direkt gewesen? Sean antwortete nicht. Er sah sie nur überrascht an. Das machte sie nervös und sie redete weiter. "Ich liebe dich und nicht bei dir sein zu können, ist scheiße. Ich will das nicht mehr. Ich will nicht auf irgendwann warten. Ich will jetzt mit dir zusammen sein." Aber Sean reagierte immer noch nicht. Musste er noch verarbeiten, was sie gesagt hatte? Verdammt, sie hätte einfach die Klappe halten sollen. "Sag was. Bitte."

Aus seinem überraschten Blick wurde nun ein Stirnrunzeln. "Bist du dir sicher?" Er seufzte. "Auch wenn es mir gerade gut geht, bin ich immer noch krank. Und ich kann nicht versprechen, dass es mir immer so gut gehen wird."

"Das ist mir doch egal", entgegnete Vic. Sie biss sich auf die Lippe, als sie gemerkt hatte, wie sich das angehört haben musste. "Nein, es ist mir natürlich nicht egal, wie es dir geht. Aber ich will bei dir sein, egal wie es dir geht. Ich liebe dich doch nicht nur, wenn es dir gut geht." Verdammt! Jetzt hatte sie es schon zum zweiten Mal gesagt. Ich liebe dich. Sie hatte es zweimal gesagt und er kein einziges Mal. "Ich meine, ich mag dich nicht weniger, nur weil es dir nicht gut geht. Das wäre ja auch Schwachsinn. Und ich rede zu viel, oder?"

Sean lächelte. Er strich ihr über die Wange und nahm ihr Gesicht in seine Hände. Ihr Herz klopfte bis zum Hals. Ihre Lippen waren nur noch wenige Zentimeter voneinander entfernt. Sie waren sich jetzt so nah, dass er bestimmt ihr Herz klopfen hörte. Ihre Lippen berührten sich nun fast und sie konnte seinen Atem spüren. Sie hatte so ein Verlangen danach, seinen ganzen Körper zu berühren. Sie wollte ihn küssen. Und dann presste er seine Lippen auf ihre. Sein Kuss war sanft, aber auch leidenschaftlich und voller Verlangen. Sie spürte, dass er sich genauso sehr wie sie nach diesem Moment gesehnt hatte. Ihre Hände wanderten über seinen Oberkörper, während er eine Hand in ihrem Nacken und die andere an ihrer Hüfte hatte und versuchte, sie noch näher an sich heranzuziehen.

Als sie sich voneinander lösten, nahm er wieder ihr Gesicht in seine Hände und sah ihr tief in die Augen. "Ich liebe dich, Victoria Hughes." Diese Worte auszusprechen, schien nicht leicht für ihn zu sein, aber sie spürte trotzdem, dass er sie so meinte. "Ich will, dass du da bist, wenn ich entlassen werde. Bitte."

Sie hatte Tränen in den Augen. Nicht weil sie traurig war. Sie fühlte sich gerade so verdammt glücklich. "Natürlich werde ich da sein."

If we have each other - Station 19/Vic x BeckettTahanan ng mga kuwento. Tumuklas ngayon