Kapitel 8

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Als ich neben Travis im Wagen saß, ging mir das Gespräch mit Sean immer noch nicht aus dem Kopf. Wie hatte er das gemeint? Zog er weg und wollte irgendwo anders neu anfangen? Oder war das seine Art zu sagen, dass er definitiv nicht mehr mit ihr befreundet sein wollte, ihm es aber leid tat, wie sie auseinandergegangen waren? Sie hatte das Gefühl, irgendwo in ihrem Kopf war die Information, nach der sie suchte, aber sie konnte nicht darauf zugreifen. 

"Vic, ist alles in Ordnung?", fragte Travis besorgt. "Du bist so still."

Sie zuckte mit den Schultern. "Ich weiß es nicht, Trav. Ich...ich übersehe was. Ich habe das Gefühl, ich übersehe was." Und plötzlich machte irgendetwas in ihrem Gehirn klick. Travis würde ihren Gedankengang nicht nachvollziehen können. Sie hatte ihm fast alles über Sean erzählt. Aber sie hatte ihm nicht gesagt, dass er vorgehabt hatte, sich umzubringen. "Travis, können wir bitte nochmal umdrehen? Ich muss nochmal mit Sean reden."

Auch wenn Travis nicht genau verstand, warum sie so dringend nochmal mit Sean reden musste, drehte er um. Er wusste, dass Vic irgendeinen Grund haben musste.

Als sie wieder bei der Wache angelangt waren, riss sie die Autotür auf und stürmte nach drinnen. Andy war noch da! Zum Glück! "Andy! Hast du Beckett gesehen?"

Verdutzt blickte sie Vic an. "Ja, er ist schon gefahren. Was ist los, Vic?"

"Wann war das?", fragte sie. Als Andy nicht gleich reagierte, wiederholte sie ihre Frage. "Andy, wann war das?"

Sie überlegte kurz. "Vor fünfzehn Minuten ungefähr. Vic, was ist denn los?"

Inzwischen war auch Travis hereingekommen und blickte verwirrt drein. Es hatte keinen Sinn mehr, es ihren Freunden zu verheimlichen. Nicht, wenn es um Leben und Tod ging. "Ich glaube, er will sich umbringen."

Andy und Travis rissen die Augen darauf. "Was? Wie kommst du darauf?", fragte Andy.

"Bitte vertraut mir einfach", flehte sie die beiden an. Sie hatte keine Zeit, den beiden die ganze Geschichte zu erzählen. "Travis und ich fahren zu ihm. Andy, du schaust, dass der RTW bereit ist. Ich hoffe, dass wir ihn nicht brauchen, aber falls doch..." Sie konnte es gar nicht laut aussprechen.

Aber Andy hatte schon verstanden. "Alles klar. Beeilt euch."

Als Vic wieder mit Travis im Auto saß, wusste sie, dass er wollte, dass sie ihm alles erklärte. Aber sie konnte es gerade nicht. Das musste warten. Im Moment war sie viel zu nervös dafür. "Travis, fahr schneller." Sie wusste, dass das nichts brachte. Sie waren mitten im Berufsverkehr. Verdammt, sie hätten gleich den RTW nehmen sollen. Aber er hatte nur eine Viertelstunde Vorsprung. Sie würden es rechtzeitig schaffen, damit sie es ihm noch ausreden konnte. Es würde kein RTW notwendig sein.

"Soll ich mitkommen?", fragte Travis, als sie angekommen waren.

Sie schüttelte den Kopf. Sie wollte allein mit Sean reden. Er würde ihr niemals zuhören, wenn noch jemand dabei war. "Ich ruf dich an, wenn ich dich brauche."

Sean's Auto stand in der Auffahrt. Er war also Zuhause. Stürmisch klingelte sie an seiner Haustür. Nichts. Sie klingelte erneut. "Sean, ich bin's. Vic. Mach die Tür auf." Sie versuchte es nochmal. "Sean!" Immer noch nichts. Sie rief Travis an. Sie brauchte ihn. Es gab jetzt zwei Möglichkeiten. Entweder sie hatte die Situation völlig falsch eingeschätzt und Sean war einfach nur unter der Dusche oder so. Dann würde er nach dieser Aktion vermutlich nie wieder mit ihr reden. Oder da drinnen wartete ihr schlimmster Albtraum. 

Bis sie die Tür eingetreten hatte, war auch Travis an ihrer Seite. Da sie sich in Sean's Haus ein wenig auskannte, ging sie voran. "Sean?", rief sie. Wenn er nur unter der Dusche stand, müsste er doch spätestens jetzt herauskommen und die Einbrecher aus seinem Haus vertreiben. "Lass uns zunächst ins Wohnzimmer schauen", flüsterte sie Travis zu.

Der Blick, der sich ihr bot, als sie die Tür geöffnet hatte, ließ sie erstarren. Sean's lebloser Körper hing an einem Seil von der Decke. Plötzlich hatte sie das Gefühl, keine Luft mehr zu bekommen. Sie hatte schon solche Einsätze gehabt. Aber das war anders. Das hier war einer von ihnen. Sie wollte schreien und weinen, aber sie stand einfach nur da. Sie konnte sich nicht bewegen. Sie konnte nur zusehen, wie Travis blitzschnell reagierte und das Seil durchschnitt. Sie hörte, wie Travis ihr immer und immer wieder zurief, sie solle Andy anrufen oder den Notruf wählen, aber sie konnte nicht. Es fühlte sich an wie in einem Traum. Wie in ihrem schlimmsten Albtraum.

Travis versuchte, Sean wiederzubeleben. Und da fiel endlich die Schockstarre von ihr ab. Sie griff sich ihr Telefon und wählte Andy's Nummer. "Andy..." Mehr brachte sie nicht heraus. Es ging einfach nicht.

"Wir sind gleich da", hörte sie Andy's Stimme am anderen Ende der Leitung.

In diesem Moment schnappte Sean nach Luft. Erleichtert lief sie zu den beiden Männern. "Sean!", rief sie. "Ist er okay?" Sie wäre ihm am liebsten sofort um den Hals gefallen. Es war, als hätte sie alles vergessen, was sie je in ihrem Job gelernt hatte.

Travis versuchte, sie etwas auf Abstand zu halten. "Vic, beruhige dich. Damit ist ihm gerade nicht geholfen."

Das wusste sie natürlich auch. Trotzdem musste sie ihn sehen. Er lebte! Das war jetzt das Wichtigste!

Kurze Zeit später kamen Andy und Maya zur Tür herein. Sie versorgten Sean und legten ihn auf die Trage. Andy kam zu Vic herüber. "Vic, ich glaube, ihr habt ihn rechtzeitig gefunden. Atme tief durch. Wir bringen ihn jetzt ins Krankenhaus. Ich würde vorschlagen, du beruhigst dich ein wenig und kommst mit Travis nach."

Vic nickte. Am liebsten wäre sie natürlich gleich mitgekommen, aber sie wusste, dass Andy recht hatte. So wie sie gerade drauf war, nützte sie niemandem etwas. Trotzdem musste sie noch kurz nach Sean sehen. Er war bei Bewusstsein. So wie es aussah, redete er sogar ein paar kurze Sätze mit Maya und Travis. Dann fiel sein Blick auf Vic. Obwohl er so schwach war, starrte er sie zornig an. "Du hättest nicht herkommen sollen."

Als Maya und Andy mit Sean weggefahren waren, schloss Travis sie fest in die Arme und sie brach in Tränen aus. Sie konnte einfach nicht mehr. Es war alles viel zu viel. Sie klammerte sich an Travis fest und schluchzte in sein Shirt. "Vic, kann ich irgendetwas für dich tun?", fragte er und sie konnte die Verzweiflung in seiner Stimme hören. 

"Halt mich einfach fest", schluchzte sie. "Und ruf Diane an."

If we have each other - Station 19/Vic x Beckettحيث تعيش القصص. اكتشف الآن