Kapitel 43

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Ich bin nervös. Sehr sogar.

Wie diese Angela wohl sein wird? Ich frage mich, ob sie mir in den wenigen Tagen wirklich ein Kleid schneidern wird, oder ob ich schlicht eins aus ihrem Repertoire bekomme. Wilhelm meinte, dass sie mir selbstverständlich eins schneidern würde, allerdings frage ich mich, ob er da nicht ein bisschen viel erwartet...

Als mich die New Yorker U-Bahn zu der Straße gebracht hat, die Wilhelm mir aufgeschrieben hat, muss ich nur noch die passende Hausnummer finden – was sich als deutlich schwieriger herausstellt als ich angenommen habe.

Nach ungefähr zehn Minuten ziellosem Hin und Her finde ich die Nummer 42 endlich. »Grundgütiger«, brummele ich vor mich hin und schreite auf die in einer kleinen Seitengasse versteckte Tür zu. Gut, dass gerade helllichter Tag herrscht, denn im Dunkeln hätte ich hier garantiert die Hosen voll. 

Ich drücke auf den Klingelknopf aus Messing und warte. Kurze Zeit später wird die hölzerne Tür von einer großen, hageren Frau geöffnet, die mich durch ihre rechteckigen Brillengläser prüfend mustert. Ihr ergrautes Haar fällt akkurat bis zu ihrem Kinn herunter und bewegt sich wiegend in einer Sommerbrise. 

»Florentina Martinelli?« Ich nicke und strecke ihr mit einem freundlichen Lächeln die Hand entgegen, welche sie kurz, aber mit sehr viel Schmackes ergreift. Ihr Gesichtsausdruck bleibt dabei regungslos. Ich schätze sie etwas älter als meine Mutter ein. Sie muss um die Mitte fünfzig sein. 

»Kommen Sie rein. Schließen Sie die Tür.« Ich folge ihrer Anweisung und laufe ihr anschließend brav hinterher. Ihr Akzent klingt deutsch. 

Wir schreiten durch einen relativ schmucklosen, nicht beleuchteten Korridor bis wir einen großen Raum erreichen, bei dem es sich um ihr Studio handeln muss. »Ich bin übrigens Angela«, sagt sie über ihre Schulter zu mir. Sie spricht ›Angela‹ nicht englisch aus, weshalb ich meine Vermutung bestätigt sehe. »Sind sie aus Deutschland?«, rutscht es mir heraus. Eigentlich wollte ich meiner Neugier nicht nachgeben. Zumindest nicht so schnell. 

Sie bleibt vor einem Kleiderständer stehen und fährt mit einer Hand durch die auf Bügeln hängenden Kleider. Ich rechne nicht mehr mit einer Antwort, als sie sich zu mir wendet und sagt: »Ja.« Nicht mehr, nicht weniger. Okay...

Etwas unbeholfen stehe ich in der Mitte des großen Raumes, während Angela durch verschiedene Rollen Stoffbahnen geht. Ich bin mir nicht ganz sicher, was ich jetzt tun soll. Smalltalk betreiben? Sie in Ruhe lassen?

Dem Himmel sei Dank scheint Angela mit letzterem zufrieden zu sein. Ich bin ganz furchtbar was Smalltalk betrifft. 

Ich beschließe also, sie ihr Ding machen zu lassen und widme mich der Betrachtung ihres Studios. Die Innenwände gleichen den Außenwänden – also roter Backstein – was der Atmosphäre etwas modernes verleiht. 

Jedoch ist von besagter Wand nicht viel zu erkennen, da jeder freier Quadratzentimeter mit vollgestopften Regalen, an die Wand gepinnten Skizzen, Grafiken oder anderen Notizen bedeckt ist. Angela geht es also um Funktionalität und nicht darum, diesen Raum so besucherfreundlich wie möglich zu gestalten. Aus irgendeinem Grund finde ich das sympathisch. 

»Kommen Sie mal eben her.«

Ich reiße meine Aufmerksamkeit von einer Sachbuchreihe, die auf einem der Sideboards steht und wende mich Angela zu. Sie hat, ohne dass ich es bemerkt hätte, mehrere Rollen Stoff auf ihre Arbeitstisch gelegt und betrachtet diese kritisch. Sie schneidert also tatsächlich etwas für mich.

Ich stelle mich zu ihr an den Tisch. Sofort rollt sie ein Stück eines ockergelben Stoffes ab und hält ihn mir mit prüfend zusammengekniffenen Augen unter das Kinn. »Das ist definitiv nicht Ihre Farbe.« Ich pruste. »Gut, ich find' sie auch potthässlich.« Unbeeindruckt wendet Angela den Blick ab und mustert die restlichen Rollen. 

Unwillkürlich frage ich mich, ob es unhöflich war, diesen Stoff so runterzumachen, aber Wilhelms Schneiderin ist schon längst mit dem nächsten Stoff beschäftigt. Außerdem wirkt sie nicht unbedingt so, als könnte man sie leicht beleidigen. 

Als nächstes hält sie mir einen cremefarbenen Stoff hin, dann einen schwarzen, anschließend einen olivgrünen. »Interessant«, murmelt sie. »Was denn?«, frage ich. Sie lässt sich Zeit zu antworten und schreibt etwas in ein kleines Notizbuch. Ihre Schrift wirkt altmodisch elegant und ist so klein, dass ich nichts davon lesen kann. Als ich das Wort ›Farbschema‹ lese, beschleicht mich der Verdacht, dass es Deutsch ist. Das kann ich ohnehin nicht verstehen, weshalb ich keine weiteren Anstrengungen unternehme, zu entziffern was sie da schreibt.

»Ich habe mir lediglich ein paar Details aufgeschrieben. Farben, von denen ich glaube, sie könnten zu Ihnen passen.« Sie schreibt weiter. 

»Okay... und wozu das?«

Ohne von ihrem Büchlein aufzublicken, antwortet sie: »Falls ich nochmal zu einem anderen Zeitpunkt etwas für sie schneidere.« Ich beschließe, das so hinzunehmen. 

»War denn bisher ein Stoff dabei? Für das Kleid, meine ich?«

»Nein.«

»Schaffen Sie es überhaupt, das in so wenigen Tagen zu schneidern? Ich habe echt ein schlechtes Gewissen, dass Wilhelm sie das machen lässt.«

Nun hält sie doch inne und blickt mich über den Rand ihrer eckigen Brille hinweg an. »Ich habe schon deutlich mehr geschafft.« Sie schreibt weiter. 

»Ich... wollte nicht unhöflich sein oder so«, murmle ich. 

»Sie sind nicht unhöflich«, sagt sie schlicht, einen Punkt hinter einen Satz setzend. Dann richtet sie sich auf und holt weitere Stoffrollen an den Tisch. 

Ich weiß nicht, wie viele Male ich diese Prozedur mit dem Stoff an meinem Kinn über mich ergehen lassen habe, doch als ich nach der letzten Stoffrolle auf die Uhr an der Wand schaue, ist eine Dreiviertelstunde vergangen. Ich seufze. 

»Können Sie mir einfach irgendein schwarzes, schlichtes Kleid machen? Ich wäre völlig zufrieden damit, es muss nichts super kompliziertes sein.«

»Ganz bestimmt nicht.« Ihre resolute Antwort überrascht mich.

»Warum denn nicht?«, wage ich es schließlich zaghaft zu fragen. 

»Wieso wollen Sie ihr Licht so verzweifelt unter den Scheffel stellen?«, stellt sie mir eine Gegenfrage. Mir verschlägt es die Sprache. Ich weiß ehrlich nicht, was ich darauf antworten soll. 

Natürlich kann ich ihr nicht erzählen, dass ich in Sten, den Sohn von Wilhelm verliebt bin – nein, war – und wir uns übel verkracht haben, weshalb ich nicht seine Aufmerksamkeit auf mich ziehen und wiederum kein auffälliges Kleid tragen möchte. Das klingt viel zu privat. Und wirklich bescheuert. Außerdem bin ich mir sehr sicher, dass es Angela nicht im mindesten interessiert, in was für dumme Verstrickungen ich mich da begeben habe. 


Not My FitWhere stories live. Discover now