Kapitel 35

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Okay, ich muss das hier wirklich durchziehen. Es führt kein Weg dran vorbei.

Dieser Gedanke hallt wie ein Echo von den Wänden meines Hirns wider und tanzt darin herum, von einer Ecke in die andere.

»Florentina, du machst mir Angst«, murmelt Sten jetzt beunruhigt. Unwillkürlich spüre ich einen Stich schlechten Gewissens. Ich räuspere mich und versuche, meine Nervosität gewaltsam herunterzuschlucken.

»Ich habe dich echt schlimm angelogen. Da gibt es nichts zu beschönigen«, presse ich schließlich hervor. Sten wirkt wie zu Eis erstarrt, sieht mich einfach nur regungslos an. Er schüttelt leicht den Kopf, als würde er aus einer Trance erwachen. Ohne den Blickkontakt zu unterbrechen, fragt er: »Was meinst du?«

»Du wirst mich wahrscheinlich gleich so richtig hassen. Ich kann es dir nicht mal verübeln«, sage ich leise. Warum, weiß ich nicht einmal so genau. Vielleicht versucht ein Teil von mir, ihn darauf vorzubereiten? Vielleicht rede ich aber auch einfach nur Blödsinn, da ich so verdammt nervös bin. Letzteres scheint mir am plausibelsten.

»Erinnerst du dich daran, als wir uns am Anfang so null leiden konnten?«, beginne ich vorsichtig mit meiner Erzählung. Sten nickt wie betäubt. Ich schließe für einen Moment die Augen, um mich zu sammeln. Jetzt wird es hässlich...

»Ich stecke, seit meine ehemalige Mitbewohnerin ausgezogen ist, in massiven Geldnöten, da ich die Wohnung nicht mehr allein halten kann. Ich...«

»Verstehe«, unterbricht mich Sten hart. Jegliche Verletzlichkeit ist mit einem Mal aus seinem Gesicht gewichen. Verdutzt halte ich inne. »Du weißt doch gar nicht, was ich sagen will.«

»Ich denke schon. Lass mich raten... mein Vater hat dir Geld gegeben, damit du mit mir Zeit verbringst?«

»Ähm... ja. So ist es.«

Entgegen meiner Erwartung rastet Sten nicht komplett aus. Er kneift die Augen zusammen und massiert sich die Schläfen. Er murmelt etwas, das wie ›Verdammt, ich wusste es‹ klingt. 

»Okay«, sagt er gefährlich leise. »Ich will einige Dinge wissen.« Ich kann nichts gegen die Erleichterung tun, die meinen Körper plötzlich durchflutet. Er will noch mit mir reden.

»Frag mich alles, was du willst. Bitte.«

Ohne mich anzusehen, spricht er. »Wie viel gibt er dir?«

Ich bin zwar überrascht von dieser Frage, beantworte sie ihm aber trotzdem ohne zu zögern: »Soviel, dass ich meine Miete weiterhin bezahlen kann, nicht mehr.«

Sten scheint sich mit der Antwort zufrieden zu geben. Seine nächste Frage lautet: »Hast du gezögert?«

»Ja«, sage ich schlicht. Er hakt nach: »Warum?« Ich seufze schwer. »Aus verschiedenen Gründen. Zum einen fand ich es moralisch verwerflich. Zum anderen... naja...«

»... konntest du mich nicht leiden. Verstehe«, vervollständigt Sten meinen Satz. Ich schnaube. »Okay, aber kannst du mir das verübeln? Du warst am Anfang echt nicht besonders nett zu mir.«

Er geht nicht weiter darauf ein, sondern stellt seine nächste Frage: »Wolltest du so weitermachen?«

»Offensichtlich nicht, sonst hätte ich es dir nicht gesagt!«, antworte ich eine Spur lauter als beabsichtigt. Ich atme tief durch, um mich zu beruhigen. »Entschuldige. Nein, natürlich wollte ich nicht so weitermachen.«

»Und warum? Du hattest schließlich keine Probleme, dich auf diesen Deal mit meinem Vater einzulassen, nicht? Woher plötzlich die Skrupel?«, zischt Sten so bitter, dass es mir kalt den Rücken hinunterläuft. Gleichzeitig spüre ich Wut in mir hochzüngeln. 

»Was weißt du schon von finanziellen Nöten, hm? Du bist doch in den Reichtum hineingeboren worden! Du hast absolut keine Ahnung, wie schrecklich es sich anfühlt, nicht zu wissen, woher das Geld für die nächste Miete kommen soll! Oder ob man es sich am nächsten Tag noch leisten kann, zu frühstücken, oder doch gleich zum Mittagessen springen soll! Erzähl du mir nichts von Skrupel!«

»Du hättest zu mir kommen können!«, brüllt er da auf einmal so laut, dass es in meinen Ohren rauscht. Ich zucke zurück und sehe Sten sofort an, dass er diesen Ausbruch bereut. »Entschuldige«, murmelt er. Dann, nochmal leise, aber nicht weniger eindringlich: »Du hättest zu mir kommen können.« Jetzt klingt er fast schon... traurig. 

Ich schlucke den Kloß hinunter, der in meinem Hals festsitzt, seit ich den Schmerz in Stens Augen gesehen habe. Einen Schmerz, der vorher nicht da war. Ein Schmerz, den ich einem Menschen angetan habe, der sich mir geöffnet hat. Mir vertraut hat.

Ich seufze tief. »Ich weiß, es ist verdammt klischeehaft, aber... auch wenn ich dich am Anfang echt nicht leiden konnte, hat sich das schnell geändert, sobald ich dich besser kennengelernt habe. Die Zeit mit dir war absolut wundervoll, bitte glaub niemals etwas anderes.«

Kurz zögere ich. Doch dann kratze ich all meinen Mut zusammen und fasse mir ein Herz. »Ich habe mich in dich verliebt. Aber da war es schon zu spät.«

Sobald die Worte raus sind, fühlt es sich an, als wäre eine riesige Last von meinen Schultern gerutscht. Ohne Sten anzusehen – ich traue mich schlicht nicht – spreche ich weiter. »Ich habe etwas getan, das schwer zu verzeihen ist. Es tut mir so unglaublich leid, du hast keine Ahnung, wie sehr. Ich hätte diesen Deal niemals mit Wilhelm eingehen dürfen. Niemals. Egal, ob du mir zu dem Zeitpunkt sympathisch warst oder nicht.«

Ich habe das Gefühl, alles gesagt zu haben, deshalb warte ich. Als eine ganze Weile nichts kommt, wage ich es doch und hebe den Blick. 

Sten starrt mich an. 

Ich kann nicht genau sagen, was es ist, das in seinem Blick liegt. Er wirkt fast schon... schockiert. 

Schließlich reißt er sich beinahe gewaltsam von mir los. Leise sagt er: »Bitte gib mir etwas Zeit.«

Bleib bei mir! Geh nicht weg! Das möchte ich ihm am liebsten ins Gesicht schreien, mit all meiner Kraft. Ich will mich an ihn klammern und ihn so daran hindern zu gehen. 

Natürlich ist das keine Option. Deshalb verharre ich reglos, als Sten sich schließlich erhebt und mit schweren Schritten zur Tür geht. Mit einem endgültig wirkenden Geräusch fällt sie hinter ihm ins Schloss und hinterlässt ein so schweres Gefühl der Leere in mir, dass ich fast die Luft zum Atmen nicht finden kann. 

Not My FitWhere stories live. Discover now