Kapitel 24

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Eigentlich dürfte es mich nicht wundern, dass Wilhelm irgendwann mit einem wissenden Lächeln im Wohnzimmer auftaucht, während ich mich um das Abstauben der Möbel kümmere. »Hi«, begrüße ich ihn über die Schulter, während ich an einem besonders hartnäckigen Fleck auf dem Tisch schrubbe, der durch das Verwenden eines Untersetzers verhindert hätte werden können.

»Guten Tag, Florentina. Ich bin nur vorbeigekommen um dich darüber zu informieren, dass du heute früher Schluss machen kannst.«

Verdutzt halte ich inne. »Warum das denn?«

»Damit du ganz entspannt mit meinem Sohn seinen Erfolg feiern kannst.« Wilhelm strahlt geradezu, was – ich möchte nicht lügen – etwas gruselig aussieht, da ich diesen Gesichtsausdruck von ihm so nicht gewohnt bin.

Da sieht man mal, was es ausmachen kann, das eigene Kind glücklich zu sehen. Oder in diesem Fall: nicht allein.

»Aber ich arbeite heute doch nur bis fünf Uhr Nachmittags. So stressig wäre das auch wieder nicht«, gebe ich zu bedenken, zumal es nicht schlecht wäre, wenn ich Stunden sammeln könnte.

Doch Wilhelm winkt bloß ab. Als hätte er meine Gedanken gelesen, sagt er: »Um deine Stunden mach dir mal keine Sorgen.«

Ich merke, dass es herzlich wenig bringen würde, jetzt noch weiter mit ihm zu diskutieren. Also frage ich: »Okay, bis wann soll ich dann heute arbeiten?«

»Bis jetzt.«

»Wie ›bis jetzt‹?«, entfährt es mir. Ich blicke auf die wuchtige Wanduhr hinter mir. »Es ist doch erst halb drei!«

Wilhelm seufzt, nun deutlich ungeduldig. »Um Himmels Willen, Florentina! Ich weiß deinen Arbeitseifer durchaus zu schätzen, aber jeder andere Arbeitnehmer wäre froh, wenn der Chef einfach sagt, man solle früher gehen. Du arbeitest gut und hast es dir verdient. Nun geh schon!«

Ich gebe mich geschlagen und räume meine Utensilien auf. Ich bin einfach nur froh, meine Gummihandschuhe und die Schürze loszuwerden. Das kommt fast dem Gefühl gleich, nach einem langen Tag seinen BH auszuziehen. Es ist sehr befreiend.

Nachdem ich mich verabschiedet habe, mache ich mich auf den Weg zur U-Bahn. Da ich jetzt ja sehr viel früher dran bin als erwartet, lasse ich mir Zeit.

Irgendwann komme ich zu Hause an und lasse mich erstmal auf die Couch fallen. Dummerweise lande ich auf der durchgesessenen Stelle, die mir so verhasst ist und meine Landung ist etwas unsanfter, als ich mir gewünscht hätte.

»Aua«, ächze ich genervt. Mein Handy gibt einen Signalton von sich und ich werfe prompt einen Blick aufs Display. Es ist meine Schwester. Sie schreibt: »Keine Ahnung, was du mit Mom gemacht hast, aber sie ist wirklich unausstehlich. Außerdem pfeffert sie das Essen viel zu stark.«

Ein Stein scheint sich spontan in meinem Magen zu bilden. Ich schlucke in dem Versuch, die plötzlich aufsteigende Übelkeit zu vertreiben – was nicht sonderlich gut funktioniert.

Gestern habe ich es eigentlich ganz gut hinbekommen, jeden Gedanken an meine Mutter und die Auseinandersetzung mit ihr zu vertreiben. Jetzt kehrt jedoch die Realität gnadenlos zurück.

Ich antworte meiner Schwester, dass ich mich ein wenig mit ihr gestritten habe und ihr morgen mehr erzähle. Dann werfe ich mein Handy ans andere Ende der Couch. Im Gegensatz zu mir vorhin kommt es sehr viel sanfter auf.

Natürlich gibt das Gerät ein protestierendes Bimmeln nach dem anderen von sich. Meine Schwester hasst es, vertröstet zu werden. Ich kann es verstehen, mir geht es normalerweise auch so. Doch ich bin gerade einfach nicht dazu in der Lage, darüber zu reden. Mich mit anderen Dingen abzulenken, kommt mir jetzt wie eine wesentlich vernünftigere Alternative vor.

Ich könnte zum Beispiel Sten fragen, wie es heute weitergeht. Andererseits hat er gesagt, dass er sich meldet...

Ich überlege hin und her, scrolle etwas durch Social Media und esse ein wenig bis ich mich gegen sechs am Abend doch noch entscheide, ihn zu kontaktieren. Nach dem zweiten Klingeln hebt er direkt ab. Effizient wie immer...

»Guten Abend, Florentina. Bitte entschuldige, dass ich mich noch nicht gerührt habe. Hier war eine Menge los. Ich habe so viele Blumensträuße geschenkt bekommen, dass ich die Tür meines Büros kaum noch auf und zumachen kann.«

Ich lache. »Ach, kein Stress. Ich wollte einfach nur wissen, worauf ich mich jetzt vorbereiten soll. Du hast doch Zeit heute, oder?« Bei der Frage klingt meine Stimme streng. »Du musst unbedingt aus dem Büro rauskommen und dir – wenigstens eine kleine – Auszeit gönnen! Du hast es verdient, deinen Erfolg zu feiern.«

Stens leises, raues Lachen jagt mir einen heißen Schauer über die Haut. Ich wünschte wirklich, er hätte nicht so eine Wirkung auf mich...

»Du kannst dir deinen Atem sparen, Florentina. Natürlich habe ich Zeit. Ich habe es schließlich versprochen.«

»Gut so!«, rufe ich. Lautlos lasse ich ›Wehe, du überlegst es dir anders!‹ mitschwingen.

»Ich freue mich. Wirklich. Auch wenn Dinge zu feiern nicht gerade zu meinen Hobbys gehört.«

»Ach, was du nicht sagst«, murmle ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme. »Wie war das?«, hakt Sten nach. Ich schüttle den Kopf. »Nichts, egal. Was machen wir dann noch heute?«

»Das, verehrte Ms Martinelli, ist eine Überraschung.«

Frustriert stoße ich einen Schwall Luft aus. »Ach, komm schon! Ich muss doch wissen, was ich anziehen soll! Ich habe nicht übel Lust, vollkommen unpassend gekleidet auf irgendeiner verflixten Spendengala oder sowas aufzutauchen, das kannst du mir glauben! Ich habe mich in meinem Leben schon oft genug von reichen Leuten abschätzig beobachten lassen und bin nicht sonderlich scharf drauf, das zu wiederholen.«

Erneut lacht er, diesmal etwas ungehemmter. »Mach dir darüber mal keine Sorgen, das wird garantiert nicht passieren. Ich habe vor, eine legere Hose und ein Hemd anzuziehen. Hilft dir das irgendwie weiter?«

Ich schmunzele. »Witzig, aber ja. Das hilft mir tatsächlich weiter.«

»Perfekt. Ist es in Ordnung, wenn ich dich in zwei Stunden abholen komme?«

»Ich denke schon. Aber ist das dann nicht etwas spät? Dann wäre ich vermutlich wieder irgendwann um Elf wieder zu Hause«, überlege ich laut.

»Musst du morgen etwa arbeiten?«, fragt er.

»Ja, muss ich.«

»Gut, jetzt nicht mehr.«

Bevor ich auch nur im Entferntesten ein Wort des Protestes hervorbringen kann, verabschiedet Sten sich (für seine Begriffe) fröhlich und legt auf. Fassungslos starre ich auf mein Handy. »Mistkerl«, brummele ich, obwohl er mich natürlich nicht mehr hören kann. 

Ich beschließe, keine weitere Zeit mehr zu verlieren und mich auf den Weg zu meinem Kleiderschrank zu machen.  

Not My FitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt