Kapitel 1

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Der zitrusartige Geruch des Putzmittels kitzelt mich in der Nase, wieder und wieder und wieder... bis ich endlich niese. Ich hatte schon immer ein sehr lautes Niesen, das die Leute um mich herum am laufenden Band dem Herzinfarkt nahe brachte – und es immer noch tut. Ziemlich gefährliche Sache, wenn man bedenkt, dass mein Arbeitgeber auf die Neunzig zugeht.

Auch diesmal hallt es laut von den hohen Wänden des riesigen, gefliesten Bades meines Chefs wider. Ich danke Gott jeden Tag dafür, dass Wilhelm ein sehr hygienischer Mensch ist, sodass es nicht besonders viel Überwindung kostet, für ihn zu putzen.

»Florentina?«

Ich schniefe und wende mich der Tür zu. Leise Schritte und das rhythmische Klopfen seines kunstvoll geschnitzten Gehstocks erklingt. Schließlich taucht seine elegant in Tweed gekleidete, gedrungene Gestalt im Türrahmen auf.

»Hallo Wilhelm, was gibt's?«, frage ich grinsend. Wir verstehen uns sehr gut und kennen uns schon seit einigen Jahren. Ich verdanke ihm diesen Job, der normalerweise ein Albtraum wäre – Wilhelm sorgt dafür, dass er es nicht ist.

»Möchtest du Mittagspause machen?«

Ich will schon enthusiastisch zusagen, doch seine Stimmung macht mich etwas stutzig. Er wirkt... nervös. »Ist alles in Ordnung?«, frage ich gedehnt. Er senkt den Kopf und grummelt irgendwas unverständliches. Ich verzichte darauf, weiter nachzuhaken und sage, dass ich in fünf Minuten im Esszimmer sein werde. Noch immer in Gedanken versunken geht er. Sehr merkwürdig.

Nachdem ich das Waschbecken fertig poliert und meine Putzutensilien zur Seite gestellt habe, wasche ich meine Hände und mache mich auf den Weg zu Wilhelm.

Bereits auf dem Weg schlägt mir der Duft frisch zubereiteter Pasta mit dem hausgemachten Kräuterpesto meiner Nonna entgegen. Wilhelm war einmal bei meiner Familie zu Gast und so begeistert von dem Gericht meiner Großmutter, dass sie ihm das Rezept praktisch den Hals runtergeschoben hat.

Er selbst kocht eher selten, das erledigt für gewöhnlich sein Haushälter John. Obwohl Wilhelm so reich ist, dass mir allein bei dem Gedanken daran schwindelig wird, sind John und ich die einzigen Menschen, die er in seinem Haus angestellt hat. Sehr sympathisch, in meinen Augen. Mir sind schon Menschen untergekommen, die nicht einmal einen Bruchteil von Wilhelms Geld besessen und herumgeprotzt haben, als gäbe es kein Morgen mehr.

Mein Arbeitgeber sitzt bereits am Esstisch aus Vollholz und schaufelt sich die handgemachte Pasta auf den Teller. Nachdem ich mich zu ihm an den Tisch gesetzt und wir zu essen begonnen haben, stelle ich fest, dass John das mit der Pasta wirklich exzellent hingekriegt hat.

»Richtig gut geworden! Meine Nonna würde einen Rückwärtssalto machen, wenn sie wüsste, wie das schmeckt«, rufe ich zu John in die Küche. Der steckt den Kopf raus, ein spitzbübisches Grinsen im Gesicht. »Dass sie das tun würde, wage ich zu bezweifeln.«

»Oh, du kennst meine Großmutter nicht.«

Er lacht. »Gut, wenn das so ist, dann richte ich es ihr doch aus. Und mach bitte ein Video, wenn sie den Salto schlägt.«

»Aber natürlich.«

John hat um diese Uhrzeit für gewöhnlich Pause oder frei. Heute ist einer der Tage, an denen letzteres zutrifft. Er verabschiedet sich von uns und geht. Sobald zu hören ist, wie die wuchtige Eingangstür des Hauses in der Ferne ins Schloss fällt, lässt Wilhelm das Besteck leise klirrend sinken. Er tupft sich sorgfältig die Mundwinkel ab und wendet sich mir anschließend zu.

Ich seufze. »Worum geht's?«

Er brummt belustigt. »Direkt, wie immer. Das gefällt mir.«

»Danke, ich wüsste trotzdem gern die Antwort auf meine Frage.«

»Ja, du hast ja recht, ich versuche Zeit zu schinden. Es ist mir... nun, sagen wir es so: unangenehm. Das ist wohl das richtige Wort um zu beschreiben, wie sich dieses Unterfangen für mich anfühlt.«

»Du schindest immer noch Zeit. Willst du mich feuern?«, frage ich provokant, da ich weiß, dass er das nie tun würde. Schockiert weiten sich seine von Alter leicht trüben Augen. »Um Himmels Willen, natürlich nicht!«

»Wo ist dann das Problem?«

»Ich möchte dich um einen Gefallen bitten.«

Ich hebe die Brauen. »Echt jetzt? Das war alles? Ist doch kein Grund, so nervös zu sein.«

»Warte ab, bis du gehört hast, worum es überhaupt geht.«

»Und wie lang dürfte das noch dauern?«

Daraufhin schweigt er schuldbewusst. Ich seufze. »Bitte, spuck's einfach aus. Was auch immer es ist, es wird sicher nicht so wild sein, wie du es dir denkst. Das garantiere ich dir.«

»Ich habe einen Sohn, wie du vielleicht weißt.«

Ich nicke. Gesehen habe ich den guten Mann zwar noch nie, aber dass er existiert, wusste ich tatsächlich. Mit einer Handbewegung bitte ich Wilhelm dazu, weiter zu erzählen.

Er räuspert sich. »Sten heißt er. Seine Mutter kommt aus Norwegen und... nun ja. Es ist traurig, doch sie verließ uns vor zwanzig Jahren und reiste in ihre Heimat zurück. Seitdem habe ich nichts mehr von ihr gehört. Zu Sten hat sie vor einigen Jahren sogar noch Kontakt gehalten... für zwei Wochen jedenfalls. Dann meldete sie sich nicht mehr.« Er winkt ab und schüttelt den Kopf. »Ist auch egal, eigentlich wollte ich gar nicht so weit ausholen. Jedenfalls kannst du dir vorstellen, dass Sten stark darunter gelitten hat und es nach wie vor tut. Er hatte es noch nie leicht, Kontakte zu knüpfen oder gar Freundschaften zu pflegen. Ich denke, er hat insgeheim Angst, dass ihn alle Menschen, die ihm wichtig sind, verlassen werden. Deswegen lässt er es gar nicht erst zu, dass sie ihm wichtig werden.«

Ich blicke noch immer gebannt auf Wilhelms Profil, als er sich mir ruckartig zuwendet. Er deutet kurz mit dem Finger auf mich. »Und da kommst du ins Spiel.« Perplex richte ich mich auf. »Was, ich? Warum das denn?«

Wilhelm räuspert sich. »Was ich an dir schon immer bewundert habe, ist deine unerschütterliche Hartnäckigkeit und deine direkte, humorvolle Art. Du bist ein sehr lebhafter Mensch, fast wie ein Wirbelsturm. Ich denke, sowas täte Sten sehr gut.«

So langsam schwant mir, worauf mein Chef da hinauswill. Ich kneife die Augen zusammen und versuche betont grimmig zu gucken. »Ich denke nicht, dass das was wird, Boss.«

»Du hast dir doch noch nicht einmal angehört, worum ich dich eigentlich bitten möchte.«

»Du schmierst mir hier Honig ums Maul als gäbe es kein Morgen mehr! Das was ich gehört habe, reicht mir schon. Ich lasse mich ganz sicher nicht mit deinem Sohn verkuppeln!«

»Siehst du, Florentina? Das war nicht einmal das, was ich wollte.«

Herausfordernd verschränke ich die Arme. »Schön und gut. Kannst du mir dann bitte endlich sagen, was Sache ist?«

»Freunde dich mit ihm an. Bitte.«

Not My FitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt