Kapitel 31

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Am nächsten Morgen erscheine ich bei der Arbeit, doch Wilhelm ist nicht da. Sein Haushälter macht mir auf und teilt mir dies mit ungerührter Miene mit. Bei meiner Frage nach dem Warum hält er sich bewusst vage und sagt lediglich, dass er etwas geschäftliches zu klären hätte.

Am Ende des Tages geht es mich natürlich nichts an, dennoch wundere ich mich, vor allem da das bisher noch nicht vorgekommen ist – schon gar nicht ohne, dass Wilhelm mir vorher Bescheid gegeben hätte.

Etwas grüblerisch mache ich mich also später auf den Weg nach Hause... und überrenne dabei fast meine kleine Schwester, die vor meiner Tür auf der Treppe hockt und auf mich wartet.

»Marina! Was um alles in der Welt?!«, entfährt es mir. Sie hebt unbeeindruckt den Blick von ihrem Handy und steckt es in den Rucksack zu ihren Füßen. Ein breites Grinsen ziert ihr dramatisch geschminktes Gesicht. Ich denke, ich werde mich nie an den neuen Look meiner Schwester gewöhnen können...

»Hallo, Flori. Ich dachte, ich besuche dich mal.«

»Ja, das sehe ich. Du hättest schreiben können, weißt du?«

Sie zuckt die Schultern. »Wäre doch halb so witzig.«

»Es ist gar nicht witzig. La famiglia denkt auch immer, sie können überall unangemeldet aufschlagen, nur weil's Familie ist. Verstehst du? Es nervt!«

Sie verdreht die Augen, ein nachsichtiges Lächeln auf den Lippen. »Nächstes Mal melde ich mich. Zufrieden?«

Ich nicke. »Ja. Aber jetzt komm rein.«

Wir betreten das Treppenhaus und gehen hoch zu meiner Wohnung (die ich mir bald nicht mehr werde leisten können). Nachdem ich die Tür hinter mir schließe, platzt Marina heraus: »Mamma ist unausstehlich. Kannst du bitte mit ihr reden?«

»Nein. Vorerst nicht.«

»Bitte?«

»Du kannst noch so oft Bitte sagen – nein.«

Niedergeschlagen lässt sie ihre Schultern fallen. »Okay. Aber... irgendwann?«

»Irgendwann, ja«, bestätige ich.

»Gut, aber nicht in zu ferner Zukunft, ja?«

»Jetzt werd mal nicht frech«, rüge ich sie gespielt. Sie schnaubt. »Alles klar.«

Ich setze etwas Wasser für einen Tee auf (im Ernst, ich liebe Tee, auch im Hochsommer) und Marina lässt sich rücklings auf meine Couch fallen. 

»Wie geht's eigentlich deinem...« Sie wedelt mit einer unbestimmten Geste in der Luft herum. Ich weiß ganz genau, dass ihr ›Freund‹ auf der Zunge liegt, aber sie erinnert sich nur zu gut daran, wie sehr mich die übertriebene Neugier und das Besserwissertum meiner Familie letztes Mal genervt hat, weshalb sie sich das wohl verkneift. 

»Ihm geht's... gut.« Einer spontanen Eingebung folgend frage ich meine Schwester: »Hey, kann ich mit dir reden? Über etwas? Ohne, dass du was davon weitererzählst?«

Ein wissendes Grinsen breitet sich auf dem mit Sommersprossen gesprenkelten Gesicht meiner Schwester aus. Manchmal ähneln wir uns wirklich auf erschreckende Weise. 

»Klar. Ich respektiere dein Vertrauen und deine Privatsphäre, wo la famiglia es nicht kann.«

Im Grunde genommen weiß ich, dass Marina nicht tratscht und durchaus in der Lage ist, Dinge für sich zu behalten. Trotzdem wollte ich mich vergewissern, dass es unter uns bleibt. Schätze, ich habe massive Vertrauensprobleme. Woher das wohl kommen mag?

»Okay, also... ich könnte dich jetzt darum bitten, nicht zu lachen, aber ich denke, das wäre zwecklos. Kannst du mir wenigstens versprechen, für wenigstens fünf Minuten ernsthaft zuzuhören?«

Marinas schwarze Brauen wandern in die Höhe. »Fünf Minuten sind ganz schön lang.«

Ich werfe ihr einen vernichtenden Blick zu. Sie seufzt. »Okay, ich halte die Klappe und höre zu. Worum geht's? Deinen CEO-Lover?«

»Marina!«

»Ach, komm schon! Das war...« Ungerührt starre ich sie an. »Okay, sorry. Bitte erzähl«, murmelt sie jetzt. 

Ich hole tief Luft, um die Kraft zu sammeln, für diese absurde Geschichte, die ich jetzt erzählen muss. Denn dass ich mich jemandem anvertrauen muss, ist wohl klar. Sonst explodiere ich noch.

»Also gut. Du kennst bestimmt meinen Chef Wilhelm, richtig?« Marina nickt. »Okay, das ist der Vater von Sten.« Wieder nickt sie. »Ich kannte Sten bisher ja nicht mal. Hab immer nur mal hier und da was von ihm gehört.« Ich winke ab. »Naja, auch egal. Jedenfalls stecke ich in massiven Geldnöten, seit meine Mitbewohnerin draußen ist und–« 

Marina öffnet bereits den Mund, um etwas zu sagen, wovon ich mir jetzt schon sicher bin, was es ist, doch ich unterbreche sie entschieden mit einer Handbewegung. »Ich habe unserer Familie nichts erzählt, weil ich es allein schaffen wollte, okay?« Widerstrebend nickt sie. 

Ich fahre fort. »Also, wo war ich? Ach ja, Geldnöte. Ich kann mir diese Wohnung nicht allein leisten und stehe gerade ziemlich blöd da. Naja, zumindest stand ich bis vor kurzem blöd da. Wilhelm – mein Chef und Stens Vater – hat mich gebeten, Zeit mit Sten zu verbringen, wofür er mich extra finanziell entschädigen würde...«

»Ooooh, ich sehe, wo das hingeht«, raunt Marina mit weit aufgerissenen Augen. 

»... während Sten mich wiederum dafür bezahlten wollte, dass wir zu zweit so tun, als wären wir Freunde, um Wilhelm zufriedenzustellen. Das Geld habe ich übrigens nicht genommen. Also, das von Sten. Das von Wilhelm schon. Ich konnte Sten am Anfang nicht leiden und er mich nicht, deshalb hatte ich nichts dagegen, Geld dafür zu bekommen, wenn ich Zeit mit ihm verbringe.«

Ich kann Marina deutlich ansehen, dass sie erneut drauf und dran ist, mich zu unterbrechen, doch ich schaffe es wieder mit einer entschiedenen Handbewegung, sie daran zu hindern und sie sackt erneut resigniert auf meiner Couch zusammen. 

»Moment, ich bin gleich fertig mit der Geschichte. Das absurde an der ganzen Situation ist, dass Sten und Wilhelm eigentlich nur das Beste für den jeweils anderen wollen. Wilhelm macht sich Sorgen um Sten und seine nicht vorhandenen sozialen Kontakte, Sten fühlt sich bedrängt von Wilhelms Wunsch, dass er doch mehr Leute kennenlernen soll und will seinen Vater auch nicht unglücklich sehen... naja. Das ist so ziemlich die Situation gerade.« 

Marine öffnet den Mund erneut und bevor sie nun endlich was sagen kann, platze ich heraus: »Sten und ich haben mittlerweile aber tatsächlich was füreinander übrig – im romantischen Sinne.«

Dieser Satz verschlägt meiner Schwester endgültig die Sprache. Resigniert lasse ich den Kopf hängen und murmle: »Ich weiß. Ich bin am Arsch.«

Not My FitWhere stories live. Discover now