Kapitel 30

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Das passiert gerade nicht wirklich, denke ich. »Okay, schieß los«, murmle ich und starte so einen letzten Versuch, ungerührt zu wirken. Ich beuge mich ein Stück in seine Richtung, damit er mir ins Ohr flüstern kann, was er für Sachen mit mir machen will. 

»Also«, setzt er leise an und seine Lippen kitzeln dabei meine Ohrmuschel. »Ich will mit dir ausgehen. Und wenn wir uns besser kennen, Sachen machen.«

Okay, Sachen machen klingt verdammt versaut. Ich schätze, es ist auch genau so gemeint. 

»Ähm«, bricht es abgehackt aus mir heraus. Mein Kopf ist wie leergefegt, ich weiß einfach nicht, was ich sagen soll, obwohl ich eigentlich echt viel zu sagen hätte. Verunsichern möchte ich Sten auch nicht, also rede ich – größtenteils Nonsens. 

»Ja, kann man... also können wir machen. Meine ich. Ja. Warum magst du mich?«

Bei meinem peinlichen Gestammel muss Sten grinsen. »Wie witzig. Ich hätte nie gedacht, Florentina Martinelli mal nicht total selbstbewusst und unverwüstlich zu erleben.«

Ich verdrehe die Augen. »Tja, was soll ich sagen? Ich bin auch nur ein Mensch.«

Ein Pfau stellt sich plötzlich wenige Meter vor uns hin und sieht uns neugierig an. Wenn ich nicht so mit Sten und dem Gedanken an Sachen machen beschäftigt wäre, würde ich vermutlich Rückwärtssaltos vor Aufregung machen. Stattdessen starre ich dieses schillernde Wesen nur abgelenkt an. Als der Riesenvogel dann auf einmal ein Rad schlägt, entwischt mir ein überraschtes »Huch«. 

»Um deine Frage zu beantworten«, lenkt er seine Aufmerksamkeit wieder auf sich und unser Gespräch. »Ich mochte dich von Anfang an. Aber irgendwie hatte ich Angst.«

»Angst? Vor mir?«, rufe ich aus. Er lacht leise. »Nicht so wie du denkst. Ich hatte keine Angst vor dir.«

»Ach, na das ist doch schon mal nicht schlecht«, murmle ich sarkastisch, doch Sten übergeht meinen Einwurf. 

»Ich hatte Angst davor, dich zu mögen. Aus verschiedenen Gründen. Ich hatte große Sorge, dass du mein Interesse nicht erwidern könntest, dass... naja. Bitte versteh das nicht falsch. Leider ist es so, dass ich in meiner Vergangenheit öfter nur wegen meines Geldes und meiner Position gemocht wurde. Irgendwann war das so deprimierend, dass ich hinter jeder Frau, die Interesse gezeigt hat, böse Absichten vermutet habe, obwohl das vielleicht gar nicht immer der Fall war. Ich bin einfach einmal zu oft verarscht worden. Das hat mich wirklich verbittert.«

Ich nicke nur und entscheide mich dazu, nichts zu sagen. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, dass Sten sich jetzt etwas von der Seele reden muss und ich will ihn nicht dabei unterbrechen. 

»Als ich dann dich kennengelernt habe, ist mir ziemlich schnell klargeworden, dass du nicht hinter meinem Geld her bist. Du hast keinerlei Anstalten gemacht, dich anzubiedern, im Gegenteil. Du hast bei Gott kein Geheimnis daraus gemacht, dass ich dir nicht auf Anhieb sympathisch war.« Er schnaubt gedankenverloren. »Und irgendwann, im Laufe der Zeit, ist mir dann auch aus anderen Gründen klar geworden, dass du es gut meinst.«

In mir toben verschiedene Gefühle, während ich Sten zuhöre. Hauptsächlich fühle ich sehr, sehr viele Schmetterlinge in meinem Bauch aufgescheucht umherflattern. Aber etwas weiter unter der Oberfläche fühle ich Schuld. Sehr viel Schuld. Sten weiß nicht, dass du Geld bekommst, um Zeit mit ihm zu verbringen. 

Und er wird es auch nie erfahren. Das habe ich entschieden, nachdem ich ihm dabei zugesehen habe, wie er mir das Herz ausschüttet. Wie könnte ich ihn denn jetzt noch so sehr verletzen? 

Ich muss mit Wilhelm reden. Unbedingt. 

Aber zuerst will ich meine Aufmerksamkeit Sten widmen. 

»Du willst also mit mir ausgehen?«

Feierlich nickt er. »Genau. Ich will mit dir ausgehen, Florentina. Darf ich?«

»J-ja. Äh, ich meine, ja bitte. Gern. Ich würde mich freuen«, stottere ich und spüre, wie meine Ohren vor Verlegenheit bei dem Wortsalat, den ich gerade vor Stens Füße gekotzt habe, heiß werden. Er grinst breit, die Augen ein wenig geweitet, als wäre er überrascht von meiner Zusage. 

»Wow, das ist toll! Ich freu mich sehr. Irgendwie war ich mir nicht sicher, ob... naja.  Du weißt schon.«

»Ja. Ich fand dieses Getue von wegen ›Wir können uns nicht leiden‹ sowieso irgendwann blöd, ehrlich gesagt.«

»Ich auch. Aber du verstehst jetzt, warum ich Schwierigkeiten hatte, meinen Schutzpanzer runterzufahren?«

Feierlich nicke ich. »Absolut. Ich kann das vollkommen verstehen.« Ich fühle mich so schuldig, dass es mir schier die Luft zum Atmen nimmt. 

Sten scheint davon jedoch nichts zu merken. Er nickt nur nachdenklich und ich beobachte den Pfau, der immer noch vor uns herumstolziert, sein schillerndes Rad zur Schau stellend. 

»Das sind so schöne Kreaturen«, murmelt Sten, der meinem Blick nun folgt. »Voll«, stimme ich ihm zu. Das Tier beäugt uns mit schief gelegtem Kopf. Dann stößt es einen so markerschütternden Schrei aus, dass ich gefühlt mehrere Meter in die Höhe springe. Mit rasendem Herzen halte ich mich am Geländer der Bank fest, während Sten ausgelassen über meine Reaktion lacht. 

»Sag mir nicht, dass dich dieser Kriegsschrei komplett kaltgelassen hat«, maule ich, doch er lacht nur weiter. Ich kann mir ein Lächeln auch nicht ganz verkneifen, bis ich schließlich in das Lachen einstimme. 

»Bitte entschuldige«, japst Sten und wischt sich eine Lachträne aus dem Augenwinkel. »Ich habe nicht aus Bosheit gelacht.«

»Weiß ich doch«, seufze ich, ebenfalls ein paar Lachtränen wegwischend. 

Eine Weile sitzen wir noch in einvernehmlicher Stille nebeneinander, dann machen wir uns langsam auf den Weg, als es beginnt zu dämmern. 

Wir lassen uns von Stens Fahrer abholen und während der Fahrt sehe ich verträumt aus dem Fenster, ein Wolkenkratzer nach dem anderen passierend. Ich weiß, es ist furchtbar klischeehaft, aber diese ganzen blinkenden Lichter, das Gehupe, der wuselige Stress... ich liebe New York City. Ich kann nicht genug bekommen von dieser Stadt, so gnadenlos sie auch manchmal sein kann. 

Irgendwann – der Moment kommt viel zu schnell – müssen Sten und ich uns verabschieden. Er setzt mich vor meiner Haustür ab und schenkt mir zum Abschied eine lange, innige Umarmung. 

»Bis bald, Florentina«, raunt er, ein fast schon aufgekratztes Funkeln in den dunkelblauen Augen. Ich grinse mit warmen Wangen und winke seinem Auto hinterher. 

Sobald es außer Sichtweite ist, spüre ich die Kälte, wo Stens Arme nicht mehr um mich liegen. Das Hochgefühl macht nun leider auch dieser beißenden Schuld in mir Platz. Ich seufze schwer und trete meinen Weg in die Wohnung an. 

Ich kann nicht länger Geld von Wilhelm annehmen, das nichts mit meinem Putzjob zu tun hat, das ist klar. Fragt sich nur, was ich dann machen soll, um meinen Kopf über Wasser halten zu können. 

Not My FitWhere stories live. Discover now