Kapitel 3

340 49 8
                                    

Ich habe mit Wilhelm einen Tag Bedenkzeit ausgemacht.

Mehr werde ich wohl nicht brauchen, um diese bekloppte Entscheidung zu treffen. Ich muss ehrlich sagen, dass ich mir dumm vorkomme, überhaupt darüber nachzudenken, sowas zu tun. Da sieht man mal, was jeden Tag Suppe aus der Dose mit einem anstellen kann.

Mit einem schweren Seufzer sperre ich die Tür zu der Wohnung auf, die ich nun ausschließlich meine nennen darf.

Obwohl ich eher mittelmäßig gut mit meiner ehemaligen Mitbewohnerin Katherine ausgekommen bin, vermisse ich ihre Präsenz nun doch. Vielleicht gefällt es mir aber auch einfach nicht, die ganze Zeit allein zu sein. Ich weiß es nicht.

Katherine war nicht unbedingt eine schlechte Mitbewohnerin, eine gute war sie aber sicherlich ebenfalls nicht. Sie hat nie etwas rumliegen lassen, war nie zu laut, hat nie meine Privatsphäre verletzt... dennoch habe ich auch nie das Gefühl gehabt, dass sie gern mit mir zusammenwohnt, geschweige denn mich als Menschen mag. Sie ist mir stets aus dem Weg gegangen und ich konnte ihr jedes Mal, wenn wir uns doch über den Weg liefen, ansehen, dass sie gerade ein Augenrollen unterdrückt – warum auch immer.

Für sie war die ganze Angelegenheit wohl mehr eine Zweck-WG, als eine potenzielle Freundschaft.

Es ist gerade mal drei Jahre her, dass wir uns bei einem Catering-Job kennengelernt haben. Wobei ›kennengelernt‹ vielleicht gar nicht das richtige Wort ist. Viel mehr habe ich eine Konversation mitbekommen, in der sie einem Kollegen davon erzählte, schnellstens aus ihrer Horror-WG ausziehen zu müssen, da sich alle dort gegen sie verschworen haben. Mittlerweile frage ich mich, ob nicht sie diejenige war, die miese Stimmung verbreitet hat, aber das ist wiederum eine ganz andere Geschichte.

Jedenfalls war es so, dass ich mitbekommen habe, wie sie nach einer neuen Wohnung sucht. Da es mir zu der Zeit genau so ging und ich unbedingt bei meinen Eltern ausziehen wollte, habe ich sie kurzerhand angesprochen. Dass Katherine daraufhin sehr kühl reagiert hat, hätte mich eigentlich schon misstrauisch werden lassen sollen. Doch ich habe mir ihre sehr verhaltene, fast schon genervte Reaktion dadurch erklärt, dass sie womöglich etwas irritiert davon war, dass ich erstens, ihr Gespräch belauscht habe (wenn auch nur durch Zufall) und zweitens, einfach so auf sie zugegangen bin. Vielleicht war sie etwas überrumpelt – dachte ich mir. Heute bin ich relativ davon überzeugt, dass sie einfach grundsätzlich kein sympathischer Mensch ist.

Jedenfalls habe ich ihr meine Nummer gegeben, sie kontaktierte mich einige Tage später und eins führte zum anderen. Ihren Freund, zu dem sie nun spontan (sehr spontan) gezogen ist, habe ich bisher vielleicht ein oder zwei Mal gesehen.

Ist ja eigentlich auch egal. Ich sitze jedenfalls auf dem Trockenen und kann mein Kinn gerade noch so über Wasser halten. Aus finanzieller Sicht gesehen.

Geld. Das ist es, was mir fehlt. Meine Familie ist auch alles andere als reich. Außerdem bin ich ein viel zu stolzer Mensch, um sie nach Unterstützung zu fragen. Nicht grundsätzlich, natürlich. Aber wenn es um Geld geht, dann schon. ›Könnt ihr mir helfen, mein Regal aufzubauen?‹ – kein Problem. ›Kann mich jemand ans andere Ende der Stadt fahren?‹ – ebenfalls kein Ding. ›Könnte mir jemand etwas Geld auslegen?‹ – Scheiße, nein, da hört der Spaß auf.

Ich kann auch nicht genau den Finger drauf legen, warum ich in dieser Angelegenheit so strikt bin, aber so ist es nun mal. Was wiederum bedeutet: Irgendwo muss ich mehr Geld herbekommen.

Eine Bank oder irgendeinen armen Deppen in einem kleinen Supermarkt zu überfallen, kommt definitiv nicht infrage für mich. Das wäre mir viel zu stressig und sowas wie moralische Werte besitze ich schließlich auch noch.

Was Letztere angeht, stellt sich mir dann doch die Frage, wie moralisch genau es denn ist, jemandem für Geld vorzuspielen, mit ihm befreundet zu sein... Ich schätze, sonderlich moralisch ist das auch nicht. Aber immer noch viel vertretbarer als ein Raubüberfall.

Ich lasse mich auf meine meerblaue Samt-Couch fallen und vergrabe das Gesicht in einem bestickten Kissen. Anschließend widerstehe ich dem Drang, meinen Kopf auf den wuchtigen, alten Couchtisch aus Mahagoni-Holz zu schlagen. Meiner Nonna väterlicherseits – Gott habe sie selig – würde es garantiert nicht gefallen, das von ihrer Wolke im Himmel aus zu beobachten. Sie hat ihn mir nämlich vermacht. Witzigerweise hat so ziemlich jeder aus der Familie bei der Verlesung des Testaments nach diesem Tisch gelechzt. Ich habe nicht wirklich damit gerechnet, ihn zu bekommen... Aber ich schweife ab.

Viel wichtiger ist doch, wie ich mich denn nun entscheiden soll. Ich seufze tief.

Wenn ich ehrlich zu mir selbst bin, habe ich mich eigentlich schon entschieden.

...

»Ich mach's«, verkünde ich Wilhelm am nächsten Tag, sobald ich ihm gegenüberstehe. Er freut sich sichtlich. »Dir auch einen guten Morgen«, erwidert er lachend, dann klopft er mir sachte auf die Schulter und fügt noch leise hinzu: »Ich bin froh das zu hören, Florentina.«

Während der nächsten Stunden bin ich damit beschäftigt, alle Fenster des Hauses auf Hochglanz zu polieren. Da es so viele sind, werde ich erst morgen damit fertig sein.

Als es schließlich Zeit für die Mittagspause ist, rechnet ein Teil von mir fast schon damit, dass Sten mit uns am Tisch sitzt. Doch da ist nur Wilhelm, der bereits mit dem Essen angefangen hat. »Du bist spät dran«, merkt er an und ich entschuldige mich knapp. Es gibt Auberginen-Eintopf.

Wir essen schweigend. Ich warte jeden Moment darauf, dass Wilhelm das Thema Sten auf den Tisch bringen wird und spiele mit dem Gedanken, es selbst zu tun. Doch am Ende entscheide ich mich dafür, abzuwarten.

Schließlich räuspert er sich.

»Ich würde dich bitten, heute nach der Pause im Firmengebäude vorbeizuschauen und mit meinem Sohn die Akten zu transportieren. Ist das in Ordnung für dich?«

Ich bin so überrumpelt, dass ich beinahe meine Gabel fallen lasse.

»Ähm... klar ist das in Ordnung. Ich habe nur nicht damit gerechnet, dass ich ihn so schnell kennenlerne.«

Wilhelm grinst spitzbübisch. »Worauf sollten wir denn warten?«

»Und Sten war okay damit, heute spontan einen Trip mit einer fremden Person zu unternehmen?«

Wilhelm wiegelt den Kopf. »Naja, sagen wir es so: Er hat sich nicht beschwert.«

Ich hebe skeptisch die Brauen. »Hm, okay.«

»Er ist eben ein sehr introvertierter Junge. So leicht kommt er nicht aus seiner Haut raus.«

»Das ist mir klar.«

Unerwarteterweise bin ich plötzlich unfassbar nervös. Normalerweise habe ich absolut keine Scheu wenn es darum geht, neue Menschen kennenzulernen. Aber diese Situation ist eindeutig ein anderes Kaliber, als auf irgendeiner Gartenparty neue Kontakte zu knüpfen. Wenn ich schon so nervös bin, will ich gar nicht wissen, wie es Sten geht... wobei der ja noch nichts von seinem Glück weiß.

Er geht ja nur davon aus, mit irgendeiner Person Akten von einem Gebäude ins andere tragen zu müssen. Mit einer Irren wie mir rechnet er ganz sicher nicht, darauf würde ich meinen besten BH verwetten.

Not My FitWo Geschichten leben. Entdecke jetzt