Kapitel 34

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Ich kann nicht genau sagen, wie es dazu kommt.

Aber nur wenige Augenblicke später liegen Sten und ich uns in den Armen, weinend und verzweifelt aneinander festhaltend.

Ich fühle mich wie der letzte Dreck, ganz offen gesagt. Denn mir ist klar, dass Sten nur um seinen Vater weint, wohingegen ich auch aus anderen Gründen weine.

Ich weine natürlich wegen Wilhelm. Aber ich verliere meine Tränen auch wegen mir selbst und meiner eigenen Dummheit. Ich weine, weil ich mich in diese missliche Lage gebracht habe, aus der ich keinen Ausweg zu finden scheine, weil ich Sten aufs Schlimmste belüge, sein Vertrauen missbrauche, finanziell am Abgrund stehe...

Allein an all das zu denken, lässt die Tränen noch viel heftiger laufen. Ich habe nicht das Gefühl, das Recht zu besitzen, überhaupt weinen zu dürfen.

Stens Griff um mich wird fester und er vergräbt das Gesicht in meinen Locken. Ich schließe meine Arme ebenfalls fester um ihn und murmle erstickt: »Hey, ich bin da. Ich bin für dich da.« Das ist das Mindeste, was ich tun kann. So sehr es mich mittlerweile auch zerreißt, in seiner Nähe zu sein.

Wie ein Mantra wiederhole ich meine Worte leise, wieder und wieder und wieder.

Irgendwann wird Stens Atmung ruhiger, bis ich seinen Atem schließlich nur noch als schwachen, regelmäßigen Hauch an meinem Nacken spüre. Sein Griff um mich wird lockerer, bis er irgendwann anfängt, mit seinem Finger sanfte Kreise auf meinem Rücken zu malen. Ich erstarre.

Das dürfte mir nicht gefallen. Das ist nicht in Ordnung.

Dennoch ist das der Fall.

Die Anziehung, die Sten von Tag eins an auf mich ausgeübt hat, ist in all den Komplikationen und der Verworrenheit nicht verschwunden. In diesem Moment spüre ich sie stärker denn je.

Auch Sten scheint das erwartungsvolle Flirren in der Luft zwischen uns wahrzunehmen. Die liebkosenden Bewegungen auf meinem Rücken hören abrupt auf. Quälend langsam lässt er seine großen Hände über meine Taille wandern, streicht für den Bruchteil einer Sekunde durch den Stoff meines Shirts über die Unterseite meiner Brust, was mir ein kaum hörbares Wimmern entlockt und kommt schließlich an meinem Nacken an, welchen er sanft, aber bestimmt umfasst.

Ich weiß nicht, wann der Moment war, in welchem die Stimmung zwischen uns umgeschlagen ist. Doch ich bin mir seiner Nähe gerade so bewusst wie noch nie zuvor.

Ich bin so überwältigt von den Emotionen und Eindrücken, die mich überschwemmen, dass ich mich nicht rühren kann. Der Drang, ihn ebenfalls zu berühren, ist sehr stark, doch ich schaffe es einfach nicht. Ich fühle mich wie eine Pfütze Schokolade in der Sonne – Sten ist nicht nur derjenige, der mich zum Schmelzen bringt, sondern tunkt auch noch seinen Finger in die entstandene Pfütze und leckt ihn genüsslich ab.

Als hätte er meine anzüglichen Gedanken gelesen, entfährt ihm ein Knurren. »Florentina«, murmelt er an der Haut meines Halses, einen warnenden Unterton in der Stimme. Mittlerweile überzieht eine Gänsehaut meinen gesamten Körper, doch ich erschauere ein weiteres Mal.

»Kannst du mich bitte endlich küssen?«, entfährt es mir zischend. Scharf atmet er ein. »Wenn du willst«, füge ich leiser hinzu.

»So ungeduldig«, raunt er, leise Belustigung in der Stimme, was mich noch zittriger werden lässt. Kann dieser Mann eigentlich überhaupt echt sein?

Stens Finger schließen sich um mein Kinn und in einer fließenden Bewegung dreht er mein Gesicht zu sich heran. In seinen Augen brennt ein dunkelblaues Feuer, welches mich geradezu verschlingt, mehr und mehr, mit jeder Sekunde mehr.

Als seine Lippen endlich meine berühren, geben tatsächlich meine Knie nach. Im letzten Moment schaffe ich es noch, mich an seinen Armen festzuklammern. Sowas ist mir noch nie passiert. Zur Hölle, ich wusste nicht einmal, dass dieses Phänomen außerhalb irgendwelcher bodenlos klischeehaften Filme existiert. 

Unser Kuss wird dadurch kurz unterbrochen, was wiederum so gar nicht filmreif ist. »Hoppla«, murmle ich verlegen. Ich verspüre den Drang, meine Unsicherheit mit sinnlosem Geplapper zu überspielen, spüre die blubbernden Worte schon auf meiner Zunge... doch Sten hat andere Pläne. 

Ehe ich weiß, was geschieht, spüre ich seine Lippen abermals auf meinen, diesmal drängender und nicht mehr so vorsichtig tastend wie vorher. Diesmal liegen seine Arme stützend an meiner Taille, sodass meine Beine nicht nochmal einknicken können. 

Ich spüre, wie mich Wellen des Verlangens durchfluten, eine nach der anderen, jede stärker, als die zuvor. Seufzend erwidere ich den Kuss, begegne jeder Bewegung seiner Lippen mit meinen, bis unser Kuss so drängend wird, dass wir uns fast beißen. Ich spüre etwas an meinem Bauch, von dem ich mir ziemlich sicher bin, dass es seine Erregung ist. Mein Körper und mein Kopf reagieren darauf unterschiedlich. 

›Verdammt, ist das heiß, ich will mehr‹, kommt von meinem Körper, der auf den von Sten reagiert und sich bereits all die lustvollen Momente ausmalt, die wir miteinander haben könnten. 

Mein Kopf macht all das jedoch zunichte. 

›Um Himmels Willen, du kannst doch nicht mit diesem Mann schlafen! Er hat Ehrlichkeit verdient, nicht so eine heuchlerische Kuh wie dich!‹

Das ist letztendlich dann der Part von mir, der mich dazu bringt, zurückzustolpern. 

Sten hält verwirrt inne. »Ist alles okay? War das zu schnell? Falls ja, tut es m-«

»Nein! Nein, nein, das ist es nicht«, beeile ich mich, ihm zu versichern. Eine steile Falte bildet sich zwischen seinen dunkelblonden Augenbrauen. »Was ist dann los? Habe ich irgendwas anderes falsch gemacht?«

Eilig schüttle ich den Kopf. »Du hast rein gar nichts falsch gemacht. Ich bin diejenige, die alles falsch gemacht hat.«

Die Falte zwischen seinen Brauen wird tiefer. »Ich verstehe dich nicht.«

Nachdenklich sehe ich ihm in die Augen. Ich könnte jetzt zurückrudern und mir irgendwas einfallen lassen, einfach da weiter machen, wo wir aufgehört haben. Oder ich könnte endlich das Richtige tun und ihm die Wahrheit erzählen...

Allerdings habe ich mir dafür wirklich den denkbar ungünstigsten Zeitpunkt ausgesucht. 

Not My FitWhere stories live. Discover now