Kapitel 22

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LARS

Als ich mit den Bozener Kollegen an der Unfallstelle ankam, entdeckte ich Nero zuerst nirgends auf der Straße. Mein Blick glitt den Hang hinunter, wo ich Nero mit einem Pferd stehen sah, neben ihm lagen ein Motorrad und eine blutende Madeleine am Boden. Was hatte der Junge jetzt wieder angestellt? Beim letzten Mal hatte ich ihn mit Notwehr rausboxen können, ich wusste genau, dass er Magnus mit Vorsatz getötet hatte, aber dieses Mal würde das mit Sicherheit nicht funktionieren! Ich musste dringend mit diesem Jungen reden! Ich folgte meinen Kollegen den Hang hinab und musterte Nero genau, der mit schmutzigen und blutigen Klamotten neben Madeleine kniete und offensichtlich versuchte sie mit einer Herz-Rhythmus-Massage wiederzubeleben. Man musste allerdings kein Arzt sein, um zu sehen, dass das in Madeleines Zustand nicht mehr viel bringen würde.
"Nero!", rief ich und lief auf ihn zu, nun hoben er und das Pferd neben ihm den Kopf.
"Lars, ich hab versucht sie wiederzubeleben, aber...", begann er, doch ich zog ihn hoch.
"Sie ist tot, Nero, das hast du selbst gesagt. Es hat keinen Sinn mehr. So, wie Madeleine aussieht, kommt jede Hilfe zu spät", unterbrach ich ihn, während die Kollegen zu ihr eilten und versuchten festzustellen, ob noch eine Chance bestand, sie zu retten - auch, wenn keiner von uns ein Sanitäter war. Ich nutzte diese Zeit, um Nero auf die Seite zu ziehen. "Nero, sei ehrlich: Was ist hier passiert? Hatte Madeleine wirklich einen Unfall?" Nero sah mich ernst an.
"Natürlich", antwortete er knapp, aber mindestens genauso kalt. So wie damals bei Magnus.
"Nero, sei ehrlich zu mir. Noch mal wird die Ausrede mit dem Unfall nicht ziehen, bei zwei Mal wird es auffällig. Hast du etwas mit Madeleines Tod zu tun oder war das wirklich einfach nur ein schrecklicher Unfall?", raunte ich ihm ernst zu.
"Hätte ich versucht sie wiederzubeleben, wenn ich sie hätte töten wollen?", erwiderte er, aber ich konnte in seinen Augen sehen, dass er es getan hatte. Ich hatte keine Beweise und er hatte es nicht gestanden, aber ich wusste es.
"Nero..."
"Wie geht es Jan? Hat Madeleine ihn umgebracht?", unterbrach er mich.
"Er hatte einen Herzstillstand, mehr weiß ich bisher nicht", antwortete ich ihm. "Aber jetzt will ich erst mit dir reden. Was ist hier mit Madeleine passiert?"
"Sie hat wohl ihr Tempo in der Kurve unterschätzt, sie ist den Abhang runtergestürzt und wurde von ihrem Motorrad begraben. Ich habe dich direkt angerufen und versucht ihr zu helfen, was hätte ich noch tun sollen?", erwiderte er.
"Du hättest sie nicht umbringen dürfen!", fauchte ich ihm leise zu.
"Habe ich nicht. Es war ein tragischer Unfall - wie bei Magnus. Ich kann nichts dafür, dass die beiden so herrlich viel Pech im Leben haben", sagte er kalt und bevor ich noch etwas erwidern konnte, ging er zu seinem Pferd. "Sind wir fertig? Ich muss zu Fin und ihr im Krankenhaus beistehen. Meine Aussage mache ich später." Ich sah zu meinen Kollegen, die immer noch bei Madeleine knieten, doch dann die Köpfe schüttelten. Sie war also tatsächlich tot. Wie erwartet.
"Warte noch einen Moment, ich kläre das ab. Und unsere Unterhaltung ist noch nicht vorbei!", befahl ich, er nickte nur, also ging ich zu den Kollegen und berichtete ihnen, was Nero mir gesagt hatte. Sie sagten, dass er die Aussage später machen können würde, was mir nur recht war. Dann konnte ich noch einmal mit Nero reden, ohne von den Kollegen gestört zu werden.
"Nero, wir können gehen", sagte ich, worauf Nero auf das Pferd aufsaß.
"Danke. Wir sehen uns am Krankenhaus, ich werde mit Oasis schneller sein als du mit dem Auto. Ich kenne eine Abkürzung", erwiderte er knapp und bevor ich etwas sagen konnte, war er bereits davon galoppiert. Ich schüttelte den Kopf. Vielleicht hatte Francesca ja recht und dieser Junge bedeutete tatsächlich nur Ärger. Tja, das würde ich aber erst herausfinden können, wenn ich ehrlich mit ihm gesprochen hatte. Hoffentlich lag ich falsch, ich wollte nicht, dass Nero Schwierigkeiten bekam. Auch, wenn er sich diese selbst eingehandelt hatte.

Als ich schließlich wieder am Krankenhaus ankam, stand Oasis bereits angebunden vor der Tür. Ich zögerte nicht lange und stieg ebenfalls aus meinem Wagen aus, um zu den anderen zu gehen. Ich fand meine Familie und Francesca auf der Intensivstation vor Jans Zimmer vor, Nero stand bei Fin und hatte sie in den Arm genommen.
"Hey, wie sieht's aus? Wie geht es Jan?", fragte ich besorgt nach, als ich bei meiner Familie ankam und legte Fin eine Hand auf die Schulter.
"Sie haben es geschafft ihn wiederzubeleben, er atmet wieder. Aber wir dürfen noch nicht zu ihm, er braucht noch ein wenig Ruhe", antwortete Fin erleichtert, während Nero ihr über die Schulter strich. "Aber wo wart ihr? Was ist mit Madeleine?"
"Sie ist...", begann ich, doch Nero unterbrach mich.
"... Mit einem Motorrad einen Abhang hinab gestürzt, sie hat ihre Geschwindigkeit unterschätzt. Sie ist tot, wir konnten nichts mehr tun", antwortete er an meiner Stelle und sah mich ernst an. "Es war ein Unfall, oder, Lars?" Dieser freche Junge! Hier vor Fin konnte ich unmöglich sagen, dass ich Nero für schuldig hielt, sie hatte schon genug Probleme. Das hieß aber nicht, dass Nero einfach so davonkommen würde.
"Im Moment sieht es danach aus, ja", antwortete ich ihm also und warf ihm dabei einen ernsten Blick zu. "Aber wir brauchen später trotzdem deine Aussage, Nero."
"Die bekommst du, Lars", erwiderte er und erwiderte meinen ernsten Blick. "Aber wie gesagt, es war ein Unfall. Ich habe nichts tun können, um ihn zu verhindern."
"Sag das später den Kollegen", meinte ich nur streng, weil ich ihm kein Wort glaubte. Ich hatte es in seinen Augen gesehen, Nero hatte seine Mutter umgebracht - so wie damals seinen Vater. Nur konnte ich es nicht beweisen. Die Frage war allerdings nur, ob ich das denn überhaupt wollte.

Südtiroler Problem 7 - Eiskalte Rache Where stories live. Discover now