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Die Tage verstrichen und das Leben ging weiter. Doch inmitten des Alltags spürte ich die Leere, die die Beichte meines Vaters hinterlassen hatte. Er ließ mir die Wahl, trotz seiner Autorität, und ich wusste nicht, was ich machen sollte.

Es gab Nächte, in denen die Dunkelheit meiner Zweifel und meine innere Zerrissenheit zum Vorschein kamen. Und es gab wiederum Nächte, in denen ich an Henry dachte. Die Spuren seiner Abwesenheit verfolgten mich in meinen Träumen und ich wachte mit dem Gefühl auf, etwas Wertvolles verloren zu haben.

Eines Abends, als der Himmel in ein dunkles Blau getaucht war und die Sterne leuchtend erstrahlten, begab ich mich in den Garten. Die Luft war kühl und klar und der sanfte Wind strich durch meine Haare. Ich fand Trost in der Stille der Nacht und versuchte, die Ruhe zu nutzen, um eine Entscheidung zu fällen.

Plötzlich hörte ich leise Schritte hinter mir. William trat aus dem Schatten hervor und schaute mich mit besorgten Augen an. "Ich habe dich schon gesucht, Schwester. Wie geht es dir?"

Ich lächelte gezwungen und versuchte, meine inneren Turbulenzen vor ihm zu verbergen. "Es geht mir gut, William. Ich versuche nur, alles zu verarbeiten."

Er trat näher und setzte sich neben mich in das weiche Gras. Mit seinen Händen nach hinten auf den Boden gestützt, schaute er in den sternenklaren Himmel. "Die Entscheidung, die du treffen musst, ist sicher nicht einfach."

"Wie sollte sie auch einfach sein?", fragte ich voller Unsicherheit. "Entweder wähle ich die Familie oder die Liebe. Beides geht wohl nicht."

Mir war bewusst, dass er längst über die finanzielle Lage Bescheid wusste.

"Hör auf dein Herz, Elizabeth. Du bist eine kluge Frau."

Die Worte klangen vernünftig, doch sie halfen mir nicht im Geringsten weiter. "Es war leichter, als Vater für mich entschieden hat. Warum ist es so schwierig, selbst Entscheidungen zu treffen? Ich war mir so sicher, was ich will und was ich vom Leben erwarte. Doch nun fühlt es sich an, als würde sich mein Kopf drehen. Ich bin gefangen in einem Karussell und kann nicht aussteigen."

Als sich Tränen wie ein Wasserfall aus meinen Augen lösten, streichelte mein Bruder feinfühlig über meinen Rücken. "Das Leben stellt uns oft vor schwierige Entscheidungen. Die Verbindung zu den Collingwoods wird unserer Familie helfen und wer weiß, vielleicht findest du mit der Zeit auch Glück in diesem Arrangement. Aber wenn nicht, dann kommen wir auch zurecht, Elizabeth. Mach es nicht von uns abhängig. Vater lässt dir die Wahl. Es ist das, was du wolltest."

Ich nickte, obwohl die Worte meinen inneren Kampf nicht besänftigten. Die Unsicherheit nagte weiter an mir und ich fragte mich, ob ich jemals Frieden mit meiner Entscheidung finden würde. Dazu kam, dass die Sehnsucht nach einer Liebe, die mir verwehrt schien, tief in meinem Herzen verankert blieb.

♕♕♕

Die Zeit verrann und ich befand mich in einem Schwebezustand zwischen den adligen Pflichten und den Sehnsüchten meines Herzens. Der Gedanke daran schnürte mir die Kehle zu und ich hatte das Gefühl, nicht atmen zu können. Besonders weil ich mich endlich entschieden hatte.

Das Abendessen war ein Moment der Harmonie und ermutigte mich in meinem Vorhaben, meine Entscheidung zu verkünden. Inmitten des Mahls, als die Stimmung am besten schien, erhob ich mein Glas und bat um Aufmerksamkeit. Ich brauchte einen tiefen Atemzug, bevor ich weitersprechen konnte.


"Es gibt etwas, das ich euch mitteilen möchte", begann ich mit einem ruhigen Tonfall, um die Bedeutung meiner Worte zu unterstreichen. Ein Moment der Stille legte sich über die gedeckte Tafel.

"Wenn Albert Collingwood um meine Hand anhalten sollte, habe ich mich entschieden, seinen Antrag anzunehmen."

Ein kollektives Aufatmen durchzog den Raum, gefolgt von einem Lächeln auf den Gesichtern meiner Familie. Mein Vater nickte zufrieden und William setzte sein Besteck ab, um mich aufmerksam anzuhören. Meine Mutter hingegen betrachtete mich mit einem nachdenklichen Ausdruck.

"Elizabeth, das ist eine bedeutende Entscheidung", bemerkte mein Vater, während er mich mit Stolz anblickte. "Die Verbindung zu den Collingwoods wird unserer Familie nur Ehre bringen."

Ich erwiderte das Lächeln meines Vaters, bevor ich mich weiteren Blicken zuwandte. "Ja, Vater. Ich glaube, dass diese Entscheidung im besten Interesse unserer Familie liegt."

"Das klingt vernünftig, Schwester. Eine starke Verbindung beruht schließlich auf Vertrauen und Respekt." William hob sein Glas, um auf die bevorstehende Verbindung anzustoßen und die festliche Stimmung kehrte zurück. Doch meine Mutter beobachtete mich mit einem ausdruckslosen Blick.

"Ich plane, Albert weiterhin näher kennenzulernen. Wir werden uns öfter treffen und ich hoffe, so sein Vertrauen gewinnen und eine tiefe Verbundenheit zu ihm aufbauen zu können."

♕♕♕

Als ich am Abend in meinem Bett lag, klopfte es an meiner Tür. Meine Mutter kam herein und setzte sich an meine Seite. Ihr Blick ruhte auf mir, als ob sie in meine Gedanken eintauchen wollte.

"Elizabeth, Liebes, wie geht es dir wirklich? Dein Lächeln wirkt so oft erzwungen in letzter Zeit." Sie war stets auf mein Wohlbefinden bedacht.

"Mutter, ich verstehe Ihre Sorge", wandte ich mich direkt an sie. "Aber ich versichere Ihnen, dass ich diese Entscheidung nicht leichtfertig getroffen habe. Ich möchte einen Beitrag zum Wohl unserer Familie leisten."

Ihre Antwort war ein sanftes Nicken, bevor sie aufstand und sich an das Fenster stellte, die Arme um ihren Körper geschlungen. "Ich mache mir Sorgen um dich. Diese Entscheidung sollte nicht nur aus Pflichtgefühl getroffen werden. Dein Glück ist uns ebenso wichtig."

Ich spürte einen Kloß in meinem Hals, als ich versuchte, die richtigen Worte zu finden. "Mutter, ich habe lange darüber nachgedacht. Unsere Familie hat mich sicher und geliebt aufwachsen lassen. Ich fühle mich in der Pflicht, etwas zurückzugeben, besonders in unseren finanziell schwierigen Zeiten. Wenn Albert Collingwood um meine Hand anhält, werde ich zustimmen, Mutter."

Sie nickte verständnisvoll, doch ihre Augen waren von einer tiefen Besorgnis geprägt. "Elizabeth, ich weiß, dass du eine starke und pflichtbewusste Frau bist. Und ich danke dir für deinen Mut. Du bist so viel klüger, als ich es je für möglich gehalten hätte. Aber vergiss nicht, dass dein Glück einen hohen Stellenwert hat." Mit einem leisen Seufzer kam sie zu mir und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Schlaf gut."

Als sie mich alleine ließ, machte sich Unsicherheit in mir breit. Natürlich hatte ich Henry Jefferson nicht vergessen. Seine Erinnerung begleitete mich wie ein stiller Schatten. Aber manchmal musste man für das Wohl der Familie Opfer bringen.

Traurig stand ich auf und setzte mich auf den Sims des Fensters. Meine Gedanken flogen unweigerlich zu dem Mann, der wie ein Licht in meiner Vergangenheit geleuchtet hatte. Sein Bild formte sich vor meinen geschlossenen Augen, begleitet von den Erinnerungen an seine warmen Worte und den Blicken, die mehr sagten als jede Sprache es vermochte.

Henry, war wie eine verbotene Frucht, aber ebenso ein Teil meines Lebens, den ich nicht so einfach loslassen konnte. Der Klang seiner Stimme und die Wärme seiner Umarmung schienen noch immer in der Luft zu schweben und gingen mir durch Mark und Knochen.

Doch gleichzeitig machte sich eine Verzweiflung in meiner Brust breit, die sich mit der Aussicht auf meine bevorstehende Verbindung vermischte. Die Entscheidung, die ich getroffen hatte, fühlte sich an wie ein leiser Abschied von einer unerfüllten Liebe.

Royal Escape (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt