Während wir über die verschiedensten Themen plauderten, spürte ich, wie meine Gedanken unaufhörlich zu Henry drifteten. Die Unsicherheit nagte an mir und ich konnte nicht länger schweigen. Als eine kurze Stille zwischen unseren Worten entstand, ergriff ich den Mut, das anzusprechen, was mich seit Tagen beschäftigte. "Albert, ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich nach Ihrem Bediensteten Henry frage."

Albert wandte den Blick kurz von den Blumen ab und lächelte verständnisvoll. "Natürlich, Elizabeth. Henry ist ein bemerkenswerter Mann. Seine Arbeit ist bewundernswert. Er ist seit Jahren ein Teil unserer Familie, ein treuer Angestellter und ein aufrichtiger Mensch."

Albert zögerte einen Moment. "Woher kennen Sie ihn?"

Mein Herz schlug doppelt so schnell. Ich konnte ihm nicht von meiner Flucht und auch nicht von Henrys Nebenbeschäftigung erzählen. Stattdessen ließ ich mir eine Ausrede einfallen. "Ich habe ihn auf Eurem Ball gesehen."

"Es geht ihm gut. Heute hat er allerdings frei, falls Sie im Sinne hatten, ihn zu begrüßen."

Ein Gefühl der Erleichterung durchströmte mich, als ich hörte, dass Henry am Leben und offenbar unverletzt war. Doch Albert seufzte. "Er ist ein begnadeter Boxer und er hat einige Kämpfe für die Ehre und das Ansehen der Collingwoods bestritten. Es ist Teil seiner Anstellung hier, daher hat er nach den Kämpfen frei, um sich zu regenerieren."

Die Enthüllung überraschte mich. Henry als Boxer für die Collingwoods - das war eine Seite von ihm, die mir bisher verborgen geblieben war.

Nach meinem Besuch bei den Collingwoods kehrte ich nach Hause zurück, erleichtert, dass Henry offenbar wohlauf war. Doch die Erkenntnis, dass er in meinem Leben eine solch unerwartete Rolle spielte, ließ mich nachdenklich werden.

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Die Ankündigung eines Balls in unserem eigenen Hause schwebte wie ein festliches Versprechen in der Luft. Offiziell wurde meine Rückkehr von der Reise als Grund angegeben, doch in den gesellschaftlichen Kreisen, in denen ich mich bewegte, bedurfte es keines besonderen Anlasses für eine solche Feier. Es war eher eine Tradition, eine soziale Verpflichtung, die von uns erwartet wurde. Die Vorbereitungen begannen und das Anwesen wurde mit Blumen, Kerzen und ansehnlichen Dekorationen geschmückt.

Emily führte mich behutsam durch das Labyrinth von Kleidern, die in meinem Zimmer verstreut lagen. "Miss Lancaster, dieses Kleid wird Ihnen wahrhaftig eine königliche Ausstrahlung verleihen", sagte sie, während sie ein elegantes rosafarbenes Gewand mit zarten Stickereien herauszog. Ich beobachtete, wie sie geschickt das Kleid entfaltete und es vor mich hielt. "Farblich passt es perfekt zu Ihrer natürlichen Eleganz."

"Vielen Dank, Emily."

Nachdem ich das Kleid angezogen hatte, setzte sich Emily geschäftig an die Arbeit, meine Locken in kunstvollen Wellen zu arrangieren. "Madame, Sie werden die Königin der Nacht sein", versicherte sie mir mit einem Lächeln im Spiegel. Ihre Zuversicht verlieh mir eine gewisse Gelassenheit, während ich mich mit glänzenden Augen im Spiegel betrachtete.

Währenddessen führte Emily behutsam den Pinsel über mein Gesicht, betonte meine Augen und betupfte meine Lippen mit einem Hauch von Rosé. "Ihre Schönheit wird sogar die Sterne in den Schatten stellen, Miss Lancaster", flüsterte sie fast ehrfürchtig. Ich konnte ihre Hingabe förmlich spüren und war dankbar dafür, dass ich sie in meinem Leben hatte.

Schließlich, als das letzte Detail perfektioniert war, stand ich auf und betrachtete mich im Spiegel. Emily verneigte sich respektvoll. "Sie werden alle in Ihren Bann ziehen, Miss. Das wird ein Abend, der für die Ewigkeit bestimmt ist." Ich hoffte nur, dass es nicht der Abend war, an dem um meine Hand angehalten würde und verspürte ein unangenehmes Ziehen in meinem Magen.

Bislang war mir dieser Moment noch erspart geblieben, was mich ungemein erleichterte. Doch die Erwartung von mehreren Tänzen mit Lord Collingwood bereitete mir Kopfschmerzen. Ich akzeptierte widerwillig diese gesellschaftliche Pflicht. Es war ein Kompromiss, den ich einzugehen bereit war, in der Hoffnung, dass die Nähe zu Albert mir gleichzeitig ermöglichen würde, zukünftig mehr Zeit mit Henry zu verbringen.

Der Abend des Balls brach an und das Anwesen erstrahlte im festlichen Licht. Die Klänge der Musik und das fröhliche Stimmengewirr der Gäste erfüllten das Haus. Als Gastgeber war es unsere Pflicht, die Gäste zu empfangen und Höflichkeiten auszutauschen. Als die Kutsche der Collingwoods ankam, begrüßte Albert mich höflich und sein Blick verriet eine gewisse Aufregung.

"Sie sehen bezaubernd aus, Elizabeth." Ich konnte nicht leugnen, dass er sich stets charmant verhielt und ritterlich an meiner Seite blieb, während wir die weiteren Gäste empfingen. Als der erste Tanz begann, füllte sich der Saal mit elegant gekleideten Paaren. Albert war mein Tanzpartner und führte mich geschickt über das Parkett. "Elizabeth, tanzen Sie gern?"

Ein Lächeln legte sich auf meine Lippen. "Natürlich, Albert. Der Ball ist wunderbar, und ich schätze Ihre Begleitung sehr."

Seine Augen strahlten vor Zufriedenheit und er führte mich von Tanz zu Tanz. Die gesellschaftlichen Konventionen verlangten Höflichkeit und ein gewisses Maß an Aufmerksamkeit, doch mein Herz sehnte sich nach einem Blick oder einem Zeichen von Henry. Die festliche Fassade des Balls konnte nicht die inneren Turbulenzen verbergen, die wild in mir tobten.

In einer Tanzpause suchte ich nach einer Möglichkeit, mit Albert zu sprechen und führte ihn auf die Terrasse. Ich nickte den anderen Tanzpaaren höflich zu und stellte mich an die Brüstung. Der Sternenhimmel funkelte über uns, als ich zaghaft das Gespräch auf Henry lenkte. "Albert, ich frage mich, ob Sie mich zu einem dieser Kämpfe mitnehmen könnten."

Seine Augen blitzten vor Überraschung auf, als er den Blick hob. "Ein Boxkampf, Miss Lancaster? Das ist ungewöhnlich für Sie."

Ein schüchternes Lächeln umspielte meine Lippen. "Manchmal sehnt man sich nach etwas Aufregung, nach einer Abwechslung von den üblichen Veranstaltungen. Ich habe gehört, es soll eine einzigartige Erfahrung sein. Und es würde mir große Freude bereiten, wenn um die Ehre der Collingwoods gekämpft würde."

Albert überlegte kurz. "Sie meinen einen Kampf mit Henry? Warum nicht? Es wird sicherlich eine interessante Abwechslung sein. Ich würde mich freuen, Sie zu begleiten, Elizabeth."

Die Vorfreude auf das unkonventionelle Abenteuer ließ mein Herz schneller schlagen. "Vielen Dank, Albert. Ich bin sicher, es wird ein unvergessliches Ereignis werden."

Der Abend verging, die Gäste verabschiedeten sich, und die letzten Klänge der Musik verklangen. Die festliche Kulisse des Balls löste sich auf, doch die Gedanken an Henry blieben. Schon bald würde ich ihn bei einem seiner Boxkämpfe wiedersehen. Diese Tatsache ließ mein Herz eine Oktave höher schlagen.

Royal Escape (ONC 2024)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt