Teil 2

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Die Fahrt war elendig lang gewesen und schien nie enden zu wollen. Trotzdem verspürte ich statt Erleichterung nur Angst, als das Auto endlich anhielt und eine Autotür zufiel. Erst dann konnte ich endlich das Gesicht des Mannes erblickten, welcher mich entführt hatte. Erschrocken musste ich feststellen, dass es sich um ein bekanntes Gesicht handelte. Seit unserer letzten Begegnung hatte sich sein Aussehen kaum verändert. Die markanten Gesichtszüge, die dunklen, längeren Haare, die Sommersprossen und seine eisigen Augen.  An seiner Identität bestand kein Zweifel. Das war Mitch Parker. Ein eisiger Schauer lief meinen den Rücken hinab.
Warum bin ich hier? Was will er von mir? In meinem Kopf schwirrten unzählige Fragen umher, aber ich wagte es nicht, sie laut auszusprechen. Die Vergangenheit hatte mir gezeigt, wozu dieser Mann fähig war.  Angestrengt rief ich mir alles ins Gedächtnis, was ich über ihn wusste, wobei dies leider recht bescheiden ausfiel. Mitch Parker war ein gesuchter Verbrecher, sein Name in der Szene weit bekannt, obwohl er noch recht jung war. Anfang oder Mitte 20, älter kann er nicht sein, vielleicht 22? Sicher war ich mir nicht, aber das bin ich ohnehin nie.

Es war während der Fahrt sehr stickig gewesen und nachdem ich endlich wieder an die frische Luft gelassen wurde, atmete ich diese dankbar ein, als könnte er sie mir jeden Moment wieder wegnehmen. Nach der langen Zeit in der beengenden Dunkelheit brannte das letzte Tageslicht in meinen Augen und mir wurde schwindelig. Ich brauchte einen Moment, um mich zu sammeln, den er mir zu meiner Überraschung gewährte. Seine kalten Augen beobachteten aufmerksam jede meiner Bewegungen. Befürchtete er, ich könnte ihm davonlaufen? Keine schlechte Idee.

Er nutzte die Zeit, um eine schwarze Sporttasche vom Rücksitz zu ziehen, ohne sich zu weit von mir zu entfernen. Die Chance musste ich nutzen, um mich umzusehen, denn ich wusste nicht, wann ich wieder die Gelegenheit dazu bekommen würde.

Wir befanden uns auf einem großen Parkplatz. Er grenzte mit etwas Entfernung an ein Gebäude. Das Gelände war von einer Vielzahl an Büschen und hohen Bäumen umgeben, welche den Anschein erweckten, dass sie diesen Ort von allen äußeren Einflüssen abschotteten, obwohl der Blattabwurf in Zuge des Herbstes bereits weit vorangeschritten war und von ihnen hauptsächlich nur knorrige, kahle Äste blieben. Enttäuscht musste ich schnell feststellen, dass wir uns hier mitten im Nirgendwo befanden. Außer dem einzig sichtbaren Gebäude, waren weit und breit keine anderen Häuser auszumachen. Keine Anzeichen jeglicher Zivilisation. Eine einzige Straße führte wieder von dem Parkplatz weg. Somit wäre sie wohl die einzige Möglichkeit, um von hier weg zu kommen.

Bis auf das Säuseln des Abendwindes, welches durch die kahlen Äste fegte und das Zwitschern der Vögel war nichts zu hören. Keine Stimmen, keine Autos in der Ferne. Nichts.

Die Suche nach Anhaltspunkten zu meinem Aufenthaltsort schien vergebens, denn ich musste schnell feststellen, dass sich nirgends Ortsschilder befanden, welche die Entfernungen in das nächste Dorf oder die nächste Stadt verraten könnten, wobei mir die Frage nach unserem jetzigen Verbleib eher trivial erschien, denn hier war ich vollkommen alleine mit ihm.

Wieso bin ich hier? Und wieso zur Hölle mit ihm? Das ist ein Alptraum.

Um seine Aufmerksamkeit nicht ungewollt auf mich zu ziehen und so nach Möglichkeit die Konfrontation mit ihm zu vermeiden, senkte ich meinen Blick schnell wieder. Es wäre am besten, wenn ich unter keinen Umständen negativ auffalle. 

Ein Klicken ertönte hinter mir, als Parker das Auto verschloss.

„Komm!", forderte er kühl, während er mich unsanft am Arm fasste, im Begriff, mich mit sich zu ziehen. Der Geruch von Zigarettenrauch haftete an ihm. Gemeinsam liefen wir in Richtung des Gebäudes, welches sich aus der Nähe als Hostel entpuppte. Der Eingangsbereich lag verlassen dar. Das marode Gebäude wirkte alt, sehr alt. Ich blieb vorsichtshalber etwas hinter ihm. Wir hatten uns in der Vergangenheit schon einmal getroffen. Ich musste am eigenen Körper erfahren, wozu er bereit wäre und wie gering seine Hemmschwelle ist.

Über der Tür hing ein altes Schild mit einer Aufschrift, wohl der Name der Hotelkette. Abgeblättert und vergilbt blieb der Schriftzug unmöglich zu entziffern. Das in der Eingangstür eingearbeitete Glas war spröde und rissig. Was eine Absteige.

Bevor wir hineingingen, blieb er stehen. Sein Griff um meinen Arm löste sich endlich wieder, dafür umfasste er nun allerdings mein Gesicht mit einer Hand, um mein Kinn anzuheben. Gezwungenermaßen sah ich in seine Augen, wobei er mir mit Sicherheit mein Unbehagen anmerken konnte. Während er mir zu mir hinunterbeugte, musste ich das erste Mal mit den Tränen kämpfen. Die Situation war nüchtern ausgedrückt überfordernd, trotzdem schluckte ich es tapfer hinunter.

Nur zaghaft erwiderte ich den direkten Kontakt unserer Augen, falls es genau das wäre, was er von mir wollte. Ich darf mir keine Fehler erlauben. Nicht bei ihm.

Bei dem Blick in sein Gesicht stachen seine Augen besonders heraus. Sie hinterließen mich unschlüssig darüber, welche Farbe sie trugen. Je nachdem, wie das Licht auf sie fiel, schimmern sie mal grau, dann wieder blau. Ein Funkeln lag in ihnen, genauso geheimnisvoll wie gefährlich. Es hatte etwas an sich, was wohl jeden, der es sah, in seinen Bann ziehen könnte und für einen Moment verlor ich mich darin. ‚Die Augen sind der Spiegel zur Seele', wie es so oft heißt. Wirkten seine Augen blau, ließ sich in ihm fast Menschlichkeit erkennen, welche ihm meiner Ansicht nach aufgrund seiner abscheulichen Taten fehlte, denn wirkten sie grau, erkannte ich in ihm nur die Grausamkeit.

Die Kälte. Die Gewissenlosigkeit, vor der mein Chef mich einst warnte und den Hass, der ihn vorantrieb.
„Bei ihm musst du aufpassen, Cassy" schärfte mein Chef mir damals bei einer unserer Besprechungen ein. Unter ihm arbeitete ich schon seit Jahren im Staatsdienst. Im Zuge eines Aufklärungseinsatzes hatte ich Parker so zum ersten Mal getroffen.

„Er tut das alles nicht des Geldes wegen, er zieht daraus keinerlei persönlichen Vorteil. Es ist der Hass, der ihn vorantreibt." Belehrte er mich. Hass gegenüber uns, Agenten, wegen dem was wir sind und dem, was wir tun.

Erst nach einem kurzen Moment wurde mir schlagartig bewusst, wie fokussiert seine Augen auf mir lagen. Es war mehr als nur unangenehm, weshalb ich mich ergab und den Blick schnell wieder zu Boden richtete. 

„Wenn wir jetzt reingehen, benimmst du dich", wand sich mein Entführer emotionslos an mich, „Bleib neben mir, so, dass ich dich sehen kann. Wag es nicht, mit jemanden zu sprechen. Sonst bekommen wir zwei Ärger miteinander. Und keine Dummheiten, hast du mich verstanden?" Bei dem Klang seiner Stimme schien mein Blut zu gefrieren, doch es gab nichts, was ich in dieser Situation tun könnte, also nickte ich zur Bestätigung, während ich versuchte, das aufkommende Zittern zu verbergen. Der Druck seiner Hand um mein Kinn verstärkte sich.

„Hast du mich verstanden?" wiederholte seine Frage, dieses Mal mit mehr Nachdruck. Er will, dass ich spreche, dämmerte es mir, weshalb ich schließlich mit einem leisen „Ja" antwortete.

Daraufhin ließ er endlich mein Gesicht los und ich folgte ihm unwillentlich durch die Tür.

Battleside - depths of despair Where stories live. Discover now