Kapitel 18

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Die Schule ging wieder los. Zumindest in 8 Stunden. Mikey hatte ein Gangtreffen angeordnet, und so standen wir nun alle um 23 Uhr beim offiziellen Treffpunkt der Tokyo-Manji-Gang. Mikey, Draken und ich standen auf der Treppe, um einen guten Überblick zu behalten und um von allen gesehen zu werden. Ich hatte nicht mehr mit Mikey geredet. Draken war es, der mich auf das Treffen aufmerksam gemacht hatte und mir erklärt hatte, was denn das Anliegen war. Und ich war nicht sonderlich begeistert und verstand auch nicht so ganz, wieso dieses Treffen scheinbar so wichtig war, dass wir so spät am Abend noch zu diesem Schrein beordert wurden. Aber nun gut.

Draken ergriff das Wort. "Die Versammlung der Tokyo-Manji-Gang ist hiermit eröffnet!" brüllte er. Sofort verstummten alle Gespräche und alle Augen waren auf uns gerichtet. Mikey trat vor. "Vor zwei Tagen, wurden wir von Möbius in einen Hinterhalt gelockt. Und das, obwohl wir ihren Anführer Osanai bereits besiegt hatten. Das heißt, dass Möbius einen neuen Anführer hat. Ich hatte die Ehre selbst gegen ihn zu kämpfen. Sein Name lautet Shuji Hanma. Laut eigener Aussage, ist er nur stellvertretener Boss von Möbius. Ebenso meinte er, dass eine neue Gang aus Möbius auferstehen wird. Er nannte diese Gang 'Valhalla' mit dem Symbol eines kopflosen Engels. Ich hab keinen blassen Schimmer, was diese ganze Scheiße soll, aber ich will, dass ihr trotzdem aufpasst. Erzählt niemandem mehr von der Gang. Traut niemandem. Hanma ist ein perverses Stück Scheiße. Passt auf eure Familien und besonders auf eure Schwestern und Freundinnen auf." er legte eine Pause ein und ich erschauderte. Ich kannte Hanma. Wir waren in der gleichen Grundschule gewesen. Damals hatte er mich jeden Tag gemobbt. Und jetzt soll er ein Perverser sein? Das passte irgendwie sehr gut, wie ich fand. Die Leute begannen zu tuscheln. Sicher redeten sie gerade darüber, wer alles Schwestern und Freundinnen hatte. Nachdem ich bemerkte, wie mir manche Leute einen Seitenblick zuwarfen, konnte ich mir denken, dass sie auch über mich redeten. Aber das war mir egal. "Ruhe!" brüllte Draken und alle erstarrten. Mikey ergriff wieder das Wort. "So viel dazu. Es gibt noch etwas neues. Ab heute haben wir neue Mitglieder. Tritt vor." sagte er und ein blonder Typ mit hässlicher vergoldeten Brille trat zu uns auf die Treppe. "Vorstellen." befahl Mikey ruhig. "Tetta Kisaki. Ehemaliges Mitglied von Möbius." dieser Name jagte mir eine Gänsehaut über den Rücken. Egal wer dieser Typ war. Ich hatte kein gutes Gefühl bei der Sache. Allein dieser kalte Blick verriet mir, dass man diesem Kerl nicht trauen durfte. "Kisaki ist von heute Mitglied der dritten Division. Zu dem folgen in seine Division 30 neue Mitglieder, die ebenfalls von Möbius stammen. Peh wird vorübergehend Kommandant werden." erklärte Draken und alle begannen zu reden. Einige befürworteten diese Entscheidung, andere jedoch beäugten Kisaki mit skeptischen Blicken. Doch ein Gesicht fiel in der Menge auf: Takemichi, der ganz vorne stand, hatte die Hände zu Fäusten geballt und einen mörderischen Ausdruck im Gesicht. Ehe ich realisierte, was geschah, stürmte er nach vorne und schlug Kisaki genau in die Fresse. "Takemichi! Bist du völlig geisteskrank?!" brüllte Draken und schlug ihn. Takemichi taumelte zurück und Kisaki kam wieder aus dem Taumeln raus. Ich ging auf Takemichi zu, packte ihn am Arm und zog ihn etwas aus dem Sichtfeld der anderen. "Scheiße, Hanagaki. Was sollte das?"  fragte ich und ließ ihn los. Verzweifelt sah er mich an. "Kisaki darf auf keinen Fall in die Gang kommen." sagte er. Ich sah mich kurz um, um mich zu vergewissern, dass uns niemand zuhörte. "Was meinst du damit?" fragte ich ihn leise. Er atmete schwer, überlegte was er sagen sollte. "Ich- ich kann das nicht sagen. Du musst mir vertrauen. Bitte. Das wird kein gutes Ende nehmen." er flehte mich an. "Wenn du mir nicht erzählst, was los ist, kann ich nichts machen. Mir sind die Hände gebunden." versuchte ich ihm zu erklären. Er schwieg. Schien mit sich selbst zu kämpfen. Ich atmete schließlich ergeben aus. "Ich werd Mikey sagen, dass er Kisaki im Auge behalten soll. Dieser Typ macht auf mich einen seltsamen Eindruck. Mach dir keine Sorgen. Ich werde diesen Typen beobachten." sagte ich und blickte zu besagter Person. Takemichi nickte. "Ich danke dir. Danke das du Verständnis zeigst.". Er verneigte sich leicht. Ich winkte ab. "Ich mach das nicht wegen dir. Glaub mir ich vertrau dem Kerl nicht. Momentan können wir nur abwarten und beobachten. Wenn du mich irgendwann trotzdem in deinen Gedankengang einweihen willst, nur zu. Dann könnte ich dir vielleicht besser helfen. Aber egal. Verhalte dich einfach ruhig und fall nicht weiter unnötig auf. Wenn Kisaki wirklich so unberechenbar ist, solltest du nicht in seine Schussrate kommen. Okay?" er nickte. Wir stellten uns wieder an unsere Plätze. Mikey laberte grade davon, wie wir die Gang regeln werden, wenn die Schule wieder losgeht. Also unwichtig.
Nach einer weiteren qualvollen Stunde, beendete Mikey das Treffen endlich wieder. Nachdem schon einige gegangen waren, stand ich immer noch auf meinem Platz und ließ meinen Blick ins Leere gleiten. Plötzlich stellte sich jemand vor mich und verneigte sich. Kisaki. "Auf Gute Zusammenarbeit! Ich habe schon viel von dir gehört. Ich bewundere deinen Mut, bei solch einer Gang mitzuwirken, obwohl du es als Mädchen bestimmt nicht leicht haben wirst. Du hast meinen vollsten Respekt und ich hoffe, dass wir gut miteinander klar kommen werden." sagte er. Er klang so aufrichtig, dass mir schlecht wurde. Klar, ich kannte ihn nicht. Aber ich spürte es sofort, wenn jemand etwas vorspielte. Er stellte sich wieder normal hin und sah mich an. " Hoffen wir, dass es keine Probleme zwischen uns geben wird. Herzlich willkommen in der Tokyo-Manji-Gang." ich reichte ihm die Hand und er ergriff sie. Wir starrten uns an. Wir wussten beide, dass wir in dieser Situation dem anderen nur etwas vormachten. Doch keiner von uns beiden sagte etwas. Schließlich verabschiedete sich Kisaki und ging. Ich blieb noch immer stehen und sah ihm nach. "Willst du nicht auch nach Hause?" fragte Draken und holte mich so zurück ins Hier und jetzt. Ich sah zu ihm, wie er mit Mikey stehen blieb. "Hast ja recht. Euch einen guten Schulstart." sagte ich knapp und ging langsam die Stufen hinunter. Es war still. Nur meine Stiefel waren zu hören, sonst nichts. Ich hatte den Park schon fast verlassen, als ich Schritte hinter mir hörte. Ich drehte mich um und blickte in Mikeys schwarze Augen. "Ist was?" fragte ich möglichst sachlich. Er atmete durch, schien zu überlegen wie er anfangen sollte. "Ich wollte mich bei dir entschuldigen. Ich hatte dich total abgeblockt. Das wollte ich nicht. Ich wollte nur dieses Thema umgehen, da es mir extrem unangenehm ist. Es tut mir wirklich leid." er sagte das mit so einer Trauer in seinem Blick, dass mir ganz schwer ums Herz wurde. "Ist schon gut. Du hattest mich nur überrascht, weil du von jetzt auf gleich so abweisend warst. Ich kann dich schon gut verstehen. Mir ist  das ja auch irgendwie unangenehm. Ich war, wie gesagt nur etwas überrascht." ich versuchte mich an einem lächeln, doch es gelang mir nicht wirklich. Mikey sah mich lange an.  "Dann, ist alles wieder gut zwischen uns?" in seiner Stimme lag Hoffnung und ich konnte nur nicken. "Na klar doch. Sowas kann doch mal passieren. Es ist alles gut." beschwichtigte ich und er atmete erleichtert aus. "Danke. Das bedeutet mir echt viel. Und, wegen der Sache..." ich winkte schnell ab. "Wir müssen nicht darüber reden. Nehmen wir es einfach hin, wie es passiert ist. Lass es uns einfach nicht länger hinterfragen. Okay?" wieder atmete er erleichtert aus. "Okay. Danke." wir sahen uns einen Moment lang an, ehe sich hinter Mikey jemand räusperte. "Na los. Mikey ab nach Hause. Ich fahr Yuna heim." sagte Draken wie aus dem Nichts. Scheiße. Wie viel hatte er mitbekommen? Mikey drehte sich genauso überrascht zu seinem Freund um, wie  ich mich fühlte. "Wieso du?" fragte er nur anstatt zu hinterfragen, was Draken hier noch weiter verloren hatte. "Weil ich noch was mit ihr besprechen muss. Ohne dich. Also Abflug. Komm, wir gehen." wandte er sich plötzlich an mich und zog mich hinter sich her. Ich konnte mich nicht richtig von Mikey verabschieden, doch das schien nicht nötig zu sein. Er schenkte mir ein letztes lächeln, ehe ich von Draken um die nächste Ecke gezogen wurde. Schweigend reichte er mir einen Helm, ich setzte mich hinter ihn auf sein Motorrad und er fuhr mich nach Hause. Draken war ein sehr guter Fahrer. Bei ihm wirkte es so sicher, als würde er schon seit klein auf fahren. Als wir bei mir zu Hause angekommen sind, gab ich ihm den Helm zurück. "Über was wolltest du mit mir reden?" fragte ich. Er kratzte sich am Kopf. "Mikey hat mir erzählt, was bei euch abging. Ich will dir keine Vorschriften machen, aber bitte mach ihm keine falschen Hoffnungen. Er labert die ganze Zeit von dir und das nervt. Ich denke, dass er dich wirklich mag. Aber er hat nicht die Eier dazu, dir das zu sagen. Also mach ich das einfach mal. Du bist Mikey echt wichtig. Er würde für dich sterben. Er hats nicht leicht im Leben. Ich will einfach nicht, dass er verletzt wird. Verstehst du das?" verdammt nochmal. So sehr ich mich auch darüber freute, dass mir Draken so sehr vertraute, aber wie konnte er so ungezwungen reden? Ich brauchte einen Moment um mich zu fangen. "Ja, habs verstanden. Keine Sorgen. Ich habe nicht vor irgendjemanden zu verletzen. Ich möchte einfach nur helfen, so gut ich kann." Draken nickte. "Gut. Danke. Ich steh in deiner Schuld." sagte er und blickte zur Seite. Ich legte den Kopf schief. "Wieso das denn?" fragte ich verwirrt. Er schmunzelte. "Du hast mir das Leben gerettet. Wer weiß, wenn du nicht gewesen wärst, wäre ich vermutlich gestorben. Ich bin dir zutiefst dankbar. Wenn ich dir irgendwie irgendwann mal helfen kann, sag Bescheid. Ich bin bereit, alles zu machen." er war so aufrichtig, dass ich mich beinahe wie ein gehobenes Wesen fühlte. Ich winkte ab. "Ich hab nur getan, was getan werden musste. Ich kann doch einen Freund nicht so einfach sterben lassen." ich lächelte und er erwiderte er. "Du bist noch nicht lange in der Gang, aber ich habe so das Gefühl, dass du viel mehr weißt, als du zugeben willst. Das soll jetzt nichts schlechtes sein. Im Gegenteil. Du wirkst immer ruhig und hast jede Situation unter Kontrolle. Gerade eben das mit Takemichi war der beste Beweis dafür. Ich kenne dich noch nicht lange, aber ich vertraue dir blind. Deshalb sage ich dir das alles auch. Ich will, dass du weißt, dass du mir und Mikey genauso vertrauen kannst, wie wir dir vertrauen. Wir wären beide bereit, unser Leben in deine Hände zu legen." wir sahen uns einen Moment lang an. Ich atmete tief durch. "Was du gesagt hast, hat mich wirklich sehr berührt. Aber so leid es mir auch tut. Ich denke nicht, dass ich euch irgendwann mal so sehr vertrauen kann. Ich habe schon zu viel erlebt, als dass ich mich euch so öffnen könnte. Wegen deines Angebotes... Ich denke, ich werde irgendwann mal darauf zurückgreifen." "Du willst nicht über deine Vergangenheit reden, oder? Das kann ich gut verstehen. Aber lass dir gesagt sein, dass du immer mit mir reden kannst, wenn was ist." verdammt nochmal er brachte mich so in Verlegenheit. Ich konnte es nicht länger geheim halten. "Draken..." "Hm?" fragte er. "Ich... ich bin mit den Haitani-Brüdern verwandt." sagte ich leise. Seine Kinnlade klappte nach unten und er starrte mich ungläubig an. Die Sekunden vergingen. Ich wusste nicht mehr, wie lange er mich so angestarrt hatte, bis er endlich redete. "Okay, damit hab ich jetzt überhaupt nicht gerechnet. Ach du Scheiße. Wie weit seid ihr denn verwandt? Cousins?" fragte er. Ich spielte unsicher am Saum meines Shirts. "Wir sind Brüder und Schwester." sagte ich. Wieder starrte er mich ungläubig an. "Scheiße ey. Ich weiß nicht was ich sagen soll." gestand er und kratzte sich am Kopf. "Könntest du mir den Gefallen tun und Mikey erstmal nichts davon sagen? Ich hab Angst, dass das irgendwelche Konsequenzen mit sich ziehen wird." bat ich. Er nickte. "Richtig. Bei so was wird man normalerweise direkt aus der Gang geschmissen. Zum Glück hast du Mikey so vernebelt, sonst müsste ich petzen." er grinste mich verschwörerisch an. "Danke. Ich habe auch erst vor kurzem erfahren, dass ich mit ihnen verwandt bin. Zuerst hatte ich Ran getroffen und später Rindou. In ein paar Tagen müssten die Ergebnisse des Bluttests da sein. Dann ist es offiziell bestätigt." erklärte ich. "Du hast die beiden schon getroffen? Hat Mikey das mitgekriegt?" fragte er. Ich zögerte kurz. "Er hat gesehen, wie ich mit Rindou geredet habe und ist auf mich zugegangen, als Rindou weg war. Ich hatte ihm nichts erzählt." sagte ich schließlich. Draken seufzte. "Na schön. Dann sehen wir mal, wie lange wir das Ganze verheimlichen können." ich nickte. "Du hast recht. Danke, dass du Verständnis hast." ich verneigte mich leicht. "Ach, kein Ding. Und jetzt lass ich dich in Ruhe. In 7 Stunden geht die Schule los." er grinste, als er sah wie ich genervt ausatmete. "Stimmt. Da war ja was. Gut, dann komm gut heim." sagte ich und winkte ihm zu. Er nickte und schwang sich auf sein Bike. "Na dann. Wir sehen uns." sagte er und fuhr davon. Ich ging in meine Wohnung, duschte mich, aß noch einen Mitternachtssnack und legte mich dann ins Bett. Mir geisterten alle möglichen Gespräche mit und über Mikey durch den Kopf. Selbst an diesen Typen, der uns eine Falle stellen wollte, musste ich denken. Mikey soll mich mögen? Und noch mehr, er soll in mich verliebt sein? Wie ginge das? Wie kann man sich denn in eine Person wie mich verlieben? 

Ich fand auf meine Fragen keine Antworten mehr, und so fiel ich in einen unruhigen Schlaf.

Durch die Zeit, durch das LeidWhere stories live. Discover now