Kapitel 8

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Jacob

An meine erste Begegnung mit Olivia Watson kann ich mich bis heute sehr gut erinnern. Es war die erste Woche meines zweiten College-Jahres und damit ihre erste Woche überhaupt am College. Phil war schockverliebt in Hailey und schleppte mich deshalb zum Mittagessen mit ihr und seiner Schwester Ella, die ich erst wenige Tage vorher auf einer Party kennen gelernt hatte. Natürlich war Ella als seine Schwester tabu für Noah und mich, das hatte Phil uns direkt klar gemacht. Stattdessen Hailey Avancen zu machen erschien mir in Hinblick auf Phils leuchtende Augen, wann immer ihr Name fiel, ebenfalls nicht wie eine gute Idee. Dementsprechend erfreute mich der Anblick einer weiteren Person an dem Tisch den Phil an jedem Tag ansteuerte sehr.

Einer der Vorteile, an einem der größten Colleges an der Westküste zu studieren, war die Tatsache, dass man Menschen aus dem Weg gehen konnte. Einmalige Geschichten mit Mädchen waren deshalb relativ komplikationsfrei umsetzbar, was Noah und ich uns in unserem ersten Jahr oft zu Nutzen gemacht hatten. Es war jedoch davon auszugehen, dass ich Phils Schwester in nächster Zeit öfter über den Weg laufen würde und ebenso möglicherweise Hailey, je nachdem ob sich aus Phils Schockverliebtheit etwas ernstes entwickelte oder nicht. In welcher Beziehung die beiden zu dem Mädchen an Ellas Seite standen, wusste ich nicht, aber ein kleiner Flirt würde niemanden verletzen. Aus diesem Grund ließ ich mich ohne schlechtes Gewissen auf den freien Platz ihr gegenüber fallen und betrachtete sie mit schief gelegtem Kopf, bis sie meinen Blick erwiderte. Das erste was mir auffiel, waren ihre ungewöhnlich hellen Augen. Es war schwer zu sagen, welche Farbe sie hatten und ich musste stark gegen das Bedürfnis ankämpfen, mich weiter über den Tisch zu beugen, um ihr tief in die Augen zu schauen. Nur am Rande bekam ich mit, wie Ella uns mit dem Mädchen mir gegenüber bekannt machte.

Olivia.

Olivgrün waren ihr Augen definitiv nicht. Eher blau. Mit einem gräulichen Schimmer. Hell, sehr hell. Das war mein erster Gedanke, als ich ihren Namen hörte. Der zweite Gedanke führte mich zu der albernen These, die seit einigen Jahren die Runde machte, nach der zwei Menschen zueinander passten, wenn einer von ihnen Oliven mochte und der andere nicht.

„Magst du Oliven?"

Ich hörte, wie die Frage meinen Mund verließ, ohne dass ich etwas dagegen tun konnte. Vielleicht sollte ich mich erst einmal vorstellen, bevor ich unsere Kompatibilität überprüfte, aber dazu war es jetzt zu spät. Olivia sah mich mit einem Blick an, den ich nur als höchst irritiert beschreiben konnte, doch da schimmerte noch etwas anderen in ihren Augen. Argwohn? War sie mit der Oliventheorie vertraut und ordnete meine Frage als plumpen Anmachspruch ein? Ein weiteres Mal sprach ich, ohne vorher lange genug darüber nachgedacht zu haben - eine Angewohnheit meinerseits, derer ich mir durchaus bewusst war, die mir bis zum heutigen Tage jedoch selten Probleme gemacht hatte.

„Immerhin heißt du Olivia, da wäre es ja schon fast Hochverrat, wenn du sie nicht mögen würdest."

Ich hatte gehofft die Situation mit diesem zugegebenermaßen sehr schlechten Witz auflockern zu können und meine Eingangsfrage als etwas anderes aussehen zu lassen, als einen wirklich plumpen Anmachspruch. Doch stattdessen schien ich alles nur noch zu verschlimmern. Olivia ging weder auf meine Frage, noch auf meinen Versuch eines Witzes ein. Sie verdrehte genervt die Augen und schenkte mir keinerlei weitere Beachtung, sodass auch ich mich zügig abwandte, bevor ich noch etwas sagen konnte, was ich später bereuen würde.

Diese Situation war neu für mich. Ich war kein Experte in Sachen Selbstreflexion, doch ich wusste, dass fehlendes Charisma noch nie mein Problem gewesen war. Schon im Kindergarten hatte ich die Erzieherinnen mit links um den Finger gewickelt und auch jetzt am College fühlten sich Menschen in meiner Gegenwart wohl, ohne dass es mich große Anstrengung kostete. Ich musste kaum einmal Frauen ansprachen, sie kamen oft genug auf mich zu und wenn ich sie doch einmal ansprach, konnte ich mir relativ sicher sein, keine Abfuhr zu bekommen. Doch nun saß mir dieses Mädchen mit den hellen Augen gegenüber und ließ mich aussehen, wie der letzte Depp. Dieses Gefühl gefiel mir nicht, weshalb ich in dem Moment beschloss, ihr von nun an aus dem Weg zu gehen. Aber natürlich machten mir ausgerechnet meine beiden besten Freunde einen Strich durch die Rechnung. Phil und Hailey waren quasi seit ihrer ersten Begegnung unzertrennlich und spätestens als ein paar Monate später herauskam, dass auch etwas zwischen Noah und Ella lief, war absehbar, dass Olivia als beste Freundin von Hailey und Ella einen mehr oder weniger festen Platz in meinem Leben einnehmen würde. Ich schaffte es, alle drei Mädchen mit der gleichen Mischung aus meinem natürlichen Charme und freundlichem Desinteresse zu behandeln. Ich pflegte kaum Freundschaften zum anderen Geschlecht. In der Vergangenheit hatten weibliche Freundinnen sich immer irgendwann mehr erhofft und mein fehlendes Interesse an diesem mehr hatte jedes Mal zum Ende der Freundschaft geführt, weshalb ich es nun nicht mehr versuchte. Aber mit Ella und Hailey verstand ich mich gut, vielleicht auch weil ich bei ihnen sicher sein konnte, dass sie nicht mehr von mir wollten, als Freundschaft. Bei Olivia konnte ich mir dessen auch sicher sein, das wusste ich seit unserer ersten Begegnung. Dennoch versuchte ich, Zweisamkeit mit ihr zu vermeiden, einfach nur um mein Ego zu schützen. Obwohl ich es niemals gegenüber irgendjemandem zugegeben hätte, schämte ich mich für dieses erste Gespräch mit Olivia und fürchtete, dass sie mich irgendwann darauf ansprechen würde. Um es mir und ihr leichter zu machen, die Sache zu vergessen, ging ich dazu über, sie nur noch bei ihrem Nachnamen zu nennen. Als Erklärung erfand ich irgendeine Geschichte über meine angebliche Begeisterung für die Sherlock Holmes Verfilmungen und von dem Tag an kam mir der Name Olivia nicht mehr über die Lippen, zumindest nicht in ihrer Anwesenheit.

Aus Olivia wurde Watson.

Je mehr Zeit ich gezwungenermaßen mit ihr verbrachte, desto deutlicher wurde mir bewusst, dass die Oliventheorie nicht von Nöten war, um unsere Kompatibilität zu testen. Olivia war eine hoffnungslose Romantikerin. Gleichzeitig war sie dermaßen verkopft, dass sie sich jede Chance auf Romantik in ihrem Leben selbst verbaute. Ich bekam mit, wie sie sich für die Beziehung zwischen Noah und Ella einsetzte und wie sie sich mit Ella und Hailey begeistert über irgendwelche Liebesfilme oder -serien unterhielt. Genauso bekam ich mit, wie jeder Typ, den sie datete, nach kurzer Zeit wieder passé war. Die Gründe konnte ich nur erahnen, aber es war immer Olivia, die die Sache beendete. Sie schien auf der Suche nach der einen großen Liebe zu sein und verbaute sich damit regelmäßig die Chance darauf, einfach mal Spaß zu haben.

Um in dieses Jahr am College besser zu starten als in das letzte, hatte ich entschieden, Olivia in Sachen Spaß und Spontanität etwas zu unterstützen. Natürlich hatte ich den Aufwand meiner Idee unterschätzt und mich gleichzeitig total lächerlich gemacht, indem ich ihr den Eindruck vermittelt hatte, ich bräuchte ihre Hilfe bei der Suche nach einer passenden Partnerin für mich. Gelogen war meine Behauptung, ich würde mir auch so etwas wünschen wie die Beziehung zwischen Noah und Ella, nicht. Auf Olivia musste dieses Geständnis absurd gewirkt haben, immerhin hatte sie mich im gesamtem Jahr, das wir uns inzwischen kannten, nie öfter als einmal mit derselben Frau gesehen. Auch wenn ich nicht gelogen hatte, diente mein Deal mit Olivia natürlich nicht dazu, eine feste Freundin für mich zu finden. Der Wunsch mochte in meinem verkorksten Herzen existieren, aber dennoch würde ich keine Beziehung eingehen. Bei diesem Deal ging es lediglich um Olivia. Und wenn ich nebenbei ebenfalls ein bisschen Spaß hatte, wäre das ein angenehmer Pluspunkt.

Obwohl mich definitiv keine enge Freundschaft mit Olivia verband, meinte ich sie gut genug zu kennen um zu wissen, dass sie meiner Idee, ihr ein Blinddate zu organisieren, niemals zugestimmt hätte, wenn die Idee nicht als Deal getarnt hätte, von dem auch ich profitierte. Und eben weil wir keine engen Freunde waren, konnte ich mir relativ sicher sein, dass ihre Hoffnungen auf dieses Date sich in Grenzen hielten. Natürlich war ich nicht in der Lage dazu, einen perfekten Partner für sie zu finden, das war komplett absurd. Außer ihrer Vorliebe für schnulzige Liebesfilme und der Tatsache, dass sie aus Kanada kam, wusste ich eigentlich nichts über Olivia. Wenn man bedachte, wie viel Zeit wir im letzten Jahr miteinander verbracht hatten, mochte das sonderbar wirken. Aber ich wusste auch, dass wir diese Zeit ohne unsere gemeinsamen Freunde niemals miteinander verbracht hätten und die Mauer, die ich nach unserer ersten Begegnung zwischen uns aufgezogen hatte, spielte mit Sicherheit auch eine gewisse Rolle.

Indem ich einen Typen aus einem meiner Kurse ansprach, mit dem ich bisher kaum ein Wort gewechselt hatte, und ihm ein Date mit Olivia schmackhaft machte, fädelte ich keine großartige Liebesgeschichte ein, das war mir mehr als bewusst. Aber immerhin bestand die Hoffnung, dass Olivia einen spaßigen Abend mit einem Typen hatte, dem sie ohne mich vermutlich niemals über den Weg gelaufen wäre.

Im Gegenzug bekam ich einen Abend mit Ruby. Ausgerechnet Ruby. Dass Olivia sie als passendes Match für mich auserkoren hatte, führte mir vor Augen, dass sie mich ebenso wenig kannte, wie ich sie. Es dauerte keine halbe Stunde, bis Ruby mir beichtete, dass sie letztes Jahr etwas mit Noah gehabt hatte. Ich glaubte nicht an Zufälle, weshalb ich mir ziemlich sicher war, dass nicht Olivia Ruby für mich auswählt, sondern Noah um Hilfe gebeten hatte. Ob Noah mir eins auswischen wollte oder die ganze Sache einfach nur lustig fand, würde ich noch herausfinden. Bei unserem Tennismatch vorhin hatte sich keine Möglichkeit ergeben, ihn darauf anzusprechen, und nun spielte er Kindermädchen bei der Bennets Tochter. Also konnte ich ihn erst morgen zur Rede stellen, denn selbst wenn er später noch auf dieser Party auftauchte, würde seine Aufmerksamkeit allein Ella gelten, daran bestand kein Zweifel. Ich leerte den roten Plastikbecher in meiner Hand in einem Zug und warf ihn in einen Mülleimer, bevor ich mir einen Weg durch den überfüllten Raum bahnte. Soeben war Ruby durch die gegenüberliegende Flügeltür getreten und sah sich nun suchend um. Mein Plan war, zumindest was mich selbst betraf, aufgegangen. Über einen Mangel an Spaß konnte ich mich nach der letzten Nacht definitiv nicht beschweren. Sie heute hierher einzuladen, war untypisch für mich und vermutlich keine sehr gute Idee, aber gleichzeitig wirkte Ruby selbstbewusst genug, um eine Abfuhr auch nach mehr als einer gemeinsamen Nacht zu verkraften. Gerade als ich meine Hand heben und ihre Suche damit beenden wollte, steuerte sie zielstrebig eine ganz andere Ecke des Raumes an. Ich blieb abrupt stehen, denn die beiden Personen, auf die Ruby zuging, waren nicht etwa Freunde von ihr, die ich nicht kannte. Es waren Ella und Olivia.

Verdammt.

won't fall in loveWhere stories live. Discover now