Kapitel 1

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Olivia

An meine erste Begegnung mit Jacob Sjögren kann ich mich bis heute sehr gut erinnern.

Vor ziemlich genau einem Jahr saßen wir uns beim Mittagessen gegenüber und er fragte mich, ob ich Oliven mag. „Immerhin heißt du Olivia, da wäre es ja schon fast Hochverrat, wenn du sie nicht mögen würdest."

Jacob war nicht die erste Person, die mich auf die Ähnlichkeit meines Namens und der Bezeichnung für das wohl widerlichste Essen auf diesem Planeten ansprach. In der Schule hatte es Menschen gegeben, die sogar dazu übergegangen waren, mich nicht mehr Olivia sondern Olive zu nennen. Mit der Zeit lernte man, diese Art von Kommentaren zu überhören. Auch an jenem Mittwoch verdrehte ich nur die Augen und gab Jacob keine Antwort auf seine Frage, hinter der mit hoher Wahrscheinlichkeit ohnehin kein ernsthaftes Interesse steckte. Diese Vermutung bestätigte er wenig später, indem er sich von mir abwandte und ein Gespräch mit dem Jungen neben ihm begann.

Hätte mir an diesem Tag jemand gesagt, dass ich Jacob Sjögren schon bald zu meinen engsten Freunden zählen würde, hätte ich nur laut gelacht. Doch hier saß ich nun zwölf Monate später im strahlenden Sonnenschein auf einer Picknickdecke, bereit ins zweite College-Jahr zu starten, und neben mir lag Jacob. Seine Augen waren geschlossen, was jedoch nicht heißen musste, dass er schlief. Natürlich war es nicht ganz korrekt, wenn ich ihn an engen Freund bezeichnete. Es war viel mehr eine Zweckgemeinschaft, die uns verband. Als ich vor einem Jahr ans College kam, weit weg von meiner Heimat in Kanada, war meine Sorge, keinen Anschluss zu finden und vier Jahre lang einsam und allein über den Campus zu wandeln, nicht gerade klein gewesen. Doch wie durch ein Wunder, hatte ich bereits am Tag meiner Ankunft zwei wunderbare Menschen kennengelernt, die ich nun meine besten Freundinnen nennen durfte. Hailey und Ella waren ein Geschenk des Himmels. Innerhalb weniger Wochen waren wir unzertrennlich geworden und hatten während unseres ersten College-Jahres schon einiges miteinander erlebt. Das erste Semester hatte ganz im Zeichen der Liebe gestanden - zumindest für die beiden. Hailey hatte sich Hals über Kopf in Ellas großen Bruder Phil verliebt, der ein Jahr über uns war, und schwebte seitdem mit ihm auf Wolke sieben. Für Ella war das erste Semester etwas turbulenter verlaufen, doch inzwischen war sie mehr als glücklich mit ihrem Freund Noah, den wiederum eine sehr gute Freundschaft mit Phil verband. Natürlich freute ich mich für und mit meinen Freunden, aber aus den beiden Beziehungen resultierte auch, dass ich mich ab und an wie das fünfte Rad am Wagen fühlte. Nicht oft, denn sie gaben sich allergrößte Mühe, mich niemals auszuschließen, wofür ich ihnen ausgesprochen dankbar war. Mir kam ebenfalls zugute, dass es für Ella keine schlimmere Vorstellung gab, als mit ihrem großen Bruder - der einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt hatte - auf ein Doppeldate zu gehen und sie deshalb viel lieber etwas mit Noah und mir unternahm, als mit ihrem Bruder und Hailey. Im Prinzip waren wir mittlerweile wie eine Familie. Und zu genau dieser Familie gehörte auch Jacob, der sich die letzten beiden Jahren ein Wohnheimzimmer mit Phil und Noah geteilt hatte. Dementsprechend waren die drei schon vor der Ankunft von Hailey, Ella und mir im letzten Jahr sehr eng befreundet gewesen und waren es auch heute noch. Inzwischen wohnten sie zu dritt in einem Apartment am Rande des Campus'. Vor Beginn der Sommerferien hatten sowohl Hailey und Phil, als auch Ella und Noah, lange überlegt, ob sie sich jeweils ein gemeinsames Apartment mieten wollten. Letzten Endes hatten sich beide Paare dagegen entschieden, wofür ich insgeheim sehr dankbar war, da ich mir nun ein Wohnheimzimmer mit Ella und Hailey teilen konnte.

Ich hatte kein Problem mit Jacob. Wenn es darum ging, für gute Stimmung zu sorgen, war auf ihn immer Verlass. Aber es gab einfach nichts, was mich - abgesehen von unseren gemeinsamen Freunden - mit ihm verband. Soweit ich das beurteilen konnte, teilten wir keine Interessen, hatten sehr verschiedene Vorstellungen von der Zukunft und waren alles in allem einfach sehr unterschiedliche Menschen. Ja, vermutlich passte die Bezeichnung ‚Zweckgemeinschaft' besser zu unserem Verhältnis als ‚Freundschaft'.

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