Tag der Abreise

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Nele

Die Nacht finde ich wenig Schlaf. In erster Linie will ich meinem Sohn beim Schlafen zuhören. Ich kann nicht damit aufhören, seinem regelmäßigem Schnaufen zu lauschen. Ich glaube etwas süßeres, habe ich mein ganzes Leben, also die zwanzig Jahre, die ich jetzt schon auf dieser Welt bin, noch nicht gehört. Es ist einfach...zauberhaft.

Und dann ist da noch die Tatsache, dass Vivek und ich endlich wieder zusammen sind. In einem Bett liegen und nur die Nähe zueinander genießen. So schön wie der Tag heute auch war, insgeheim habe ich mich immer auf die Nacht gefreut und mich schon fast geschämt, weil ich die anderen am liebsten frühzeitig nach Hause geschickt hätte. Außer Kavita und Mohana natürlich, die ich ins Wohnzimmer verbannen wollte.

Vivek schmiegt sich an meinem Rücken und ja... ich kann seine Lust spüren. Sie bohrt sich in meinen Rücken, leicht oberhalb des Popos und es fühlt sich so... intensiv an. Sofort schießen mir sehr intime Gedanken in meinem Kopf und mein Mundwinkel zuckt leicht nach oben. Ich dachte niemals, dass ein Mann mich mal so sehr begehren würde.

Außerdem reden wir sehr viel. Es ist eher ein Flüstern, damit wir Josha nicht wecken. Wobei Vivek mir zusichert, dass der Kleine einen sehr tiefen Schlaf hat und nicht so leicht aufwacht. Nur dann, wenn er Hunger hat, natürlich.

Ich erzähle meinem Freund alles von der Schuld, die ich gefühlt habe, wegen Mama und Papas Tod.

Daraufhin hat er mir gestanden, dass er all das schon weiß, weil Marleen es ihm gesagt hat.

Und ich kann meiner Schwester nicht wirklich böse sein, dass sie mir zuvor gekommen ist. Ich bin etwas verärgert, ja, aber in ein paar Tagen werde ich das wieder vergessen haben. Vielleicht auch morgen schon. Ich muss immer  bedenken, dass Marleen  für Vivek da war, als ich im Koma lag. Und sie wollte ihn nur trösten. Ihm Mut schenken, damit er nicht die Hoffnung verliert.

Es tut gut, sich selbst zu verzeihen. Eine unsichtbare Last fällt von meinen Schultern und auch wenn ich heute Nacht nicht viel schlafen werde, irgendwann werde ich es wieder tun und dann wahrscheinlich auch keine Albträume mehr haben.

Ich erfahre, dass Vivek am liebsten Tandoori Chicken isst und im Gegenzug verrate ich ihm, dass ich am liebsten Kaiserschmarrn esse. So tauschen wir viele Kleinigkeiten miteinander aus und irgendwie fühlt sich das sehr intim an.

Auf der anderen Seite ist es auch wirklich unterhaltsam.

Ich fühle mich im Moment einfach so vollkommen...glücklich und frei.

Ach und nicht zu vergessen, brüllt auch Josha mich, diese erste Nacht zuhause, dreimal aus dem Schlaf.

Aber wie gesagt, wirklich viel schlafen wollte ich heute Nacht sowieso nicht.



Vivek

Letzte Nacht habe ich nicht viel geschlafen. Neles Anwesenheit, hat mich davon abgehalten. Nicht nur, dass ich ständig Lust hatte, es war auch sehr unterhaltsam. Wir haben uns wirklich lange unterhalten. Uns auch ein paar Geheimnisse erzählt, die wir als Kinder erlebt haben und nie irgendwem preisgegeben haben. Ich habe ihr davon erzählt, wie ich als zehnjähriger unserem Haushaltshelfer unwissentlich Seife ins Putzwasser gegeben habe. Natürlich hat der arme Mann ziemlich Anschiss bekommen, nachdem Kavita auf dem glatten Boden ausgerutscht war. Zum Glück hat sich meine Schwester damals nur die Knie angeschlagen. Es hätte so viel schlimmeres passieren können, aber damals fand ich es eben witzig. Nele hat als kleines Mädchen mal den Zuckerstreuer mit dem Salzstreuer vertauscht. War eine ziemlich unangenehme Überraschung für ihren Vater, als er einen salzigen Kaffee trinken musste. Naja zumindest einen großen Schluck davon.

Ich war erleichtert, als sie mir die Wahrheit erzählt hat, wie sie sich bezüglich des Todes ihrer beider Eltern, fühlte. Zwar kannte ich diese schon von Marleen, aber ich bin froh, dass Nele diesen Schritt getan hat und sich mir geöffnet hat. Hoffentlich kann sie jetzt ohne Ballast auf den Schultern, auf ihr neues Lebenskapitel, zu gehen.


Am meisten habe ich es aber genossen, ihr zuzusehen, wie sie sich rührend um unseren Sohn gekümmert hat.

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Der letzte Tag mit Mama und Kavita geht tatsächlich schneller rum, als wir es alle erwartet hatten. Okay für den letzten Tag mit den beiden, hätte uns bestimmt etwas besseres einfallen können, als nur zuhause zu sitzen und Brettspiele zu spielen. Aber genau das haben wir gemacht. In Mumbai haben wir unsere Tage sehr oft  damit verbracht und ich muss zugeben, dass ich es ziemlich vermisst habe. Auch Nele hat sich gleich super integriert und wir hatten einfach nur einen tollen Tag mit sehr viel Gelächter und einer super angenehmen Stimmung.

Ein wunderschöner Tag!

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Jetzt ist der Tag der Abreise gekommen und ich bin mit Kavita und Mama am Flughafen. In drei Stunden wird ihr Flug gehen und ich musste die beiden einfach begleiten. Der Abschied am Flughafen direkt ist immer schmerzhaft. Und trotzdem will ich hier sein!

Nele und Josha sind zuhause geblieben, weil meinem Mädchen der Abschied von meiner Familie schon daheim sehr schwer gefallen ist. Außerdem ist Josha heute sehr unruhig.

Ich schaue gerade auf die Anzeigentafel, auf der die einzelnen Flüge zu sehen sind und suche nach dem Flug nach England, als ich dem konstanten Blick meiner Schwester folge. Sie ist total abgelenkt und ich will unbedingt sehen, welcher Junge es geschafft hat, meiner Schwester den Kopf zu verdrehen.

Warte!

Verwirrt reibe ich mir durch die Augen-

Ich kann kaum glauben, dass das hier wahr sein soll. Meine Augen spielen mir sicherlich nur einen Streich. Vielleicht ist das die längst verjährte Rache für die Aktion mit der Seife, kommt es mir kurzerhand in den Sinn.

Blödsinn!

Der Mann, den meine Schwester und ich, ja schon fast... angaffen, kommt mit großen Schritten auf Kavita, Mama und mich zu. Ich schaue für einen kurzen Moment in das Gesicht meiner Schwester und sehe den gleichen, ungläubigen Blick darin, der sich wohl in meinem widerspiegelt.

„Ist das... Papa?", haucht Kavita. Bei all dem Lärm um uns herum, von den Schreien und Rufen anderer Menschen und den Durchsagen, die immer wieder zu hören sind, kann ich sie kaum verstehen.

Jetzt ist der Mann fast bei uns. Und es ist nicht mehr zu leugnen, dass das wirklich... Papa ist.  Die große Statur, trotzdem ein paar Zentimeter kleiner als ich, dichtes, schwarzes Haar, das meinem so sehr ähnelt und nicht zu vergessen, der aufrechte Gang dieser Person.

Papa trägt einen Anzug. Ein echt schickes Teil, bestimmt hat er dafür einiges an Kohle hingeblättert. Er ist also formell unterwegs. In seiner Freizeit ist Papa immer mit Jeans unterwegs, zumindest wenn er nicht gerade auf eine Feier eingeladen ist. Da erscheint er dann auch in Arbeitskleidung. Kurz ist etwas Hoffnung in mir aufgekeimt, dass Papa wegen mir hier ist... Aber diese verblassen ganz schnell wieder.

Er. Ist. Nicht. Wegen. Dir. Hier. Vivek.

Wahrscheinlich hat Papa es endlich geschafft und auch in Deutschland mit der Firma, Fuß gefasst, sich ein Standbein dort aufgebaut. Aber warum ausgerechnet in Stuttgart? Ich meine, es ist eine schöne Stadt und ich fühle mich schon ziemlich heimisch hier. Aber Papas Projekte sind eher in Großstädten zu finden. Da denke ich eher an Köln, Hamburg oder Berlin-

„Was macht Papa den hier?", fragt Kavita Mama, die jetzt auf Papa zugeht.

Er scheint ihr mit den Augen etwas zu sagen, weil sie sofort auf die Seite tritt.

Jetzt stehe ich Papa direkt gegenüber! Es sind nur wenige Schritte, die uns voneinander entfernen.

Es tut unsagbar weh ihn zu sehen, gleichzeitig würde ich am liebsten zu ihm rennen und mich in seine Arme fallen lassen.

Ob es ihm auch so geht?

Papa setzt einen Fuß vor den anderen und kommt mir mit jedem Schritt näher.

Ich dagegen verharre wie verwurzelt auf derselben Stelle!

My Heart belongs to YouWhere stories live. Discover now