Die Schwiegertochter des Hauses

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Vivek

Papa ist furchtbar stolz, als er Dayita und mich zusammensieht. Wir haben uns heute wieder getroffen, um uns schon ein bisschen besser kennen zu lernen, ehe wir uns in ein paar Tagen verloben, werden. Gerade zeige ich Dayita die Auszeichnungen, die ich letztes Jahr im College erhalten habe. Sie zeigt sich total interessiert, lächelt immer wieder und wirft sich die langen braunen Haare in den Nacken. Dayita ist wirklich hübsch, das möchte ich nicht leugnen. Ihre Haare schimmern golden im Licht der Sonne, welche sich durch die großen Fenster, in unser Haus stiehlt. Dayitas Augen sind hellbraun und glitzern total schön im Licht der Sonne und wenn ich wollte, dann könnte ich in ihnen versinken. Da ist nur das Problem, dass ich immer wieder diese tiefblauen Augen vor meinem Gesicht sehe, in denen ich schon so oft ertrunken bin. Ich seufze tief, was Dayita dazu veranlasst zu fragen, ob alles okay ist. Gute Manieren hat sie auf jeden Fall, dass hat sie jetzt schon mehrfach unter Beweis gestellt. Ich unterdrücke mir einen weiteren Seufzer und führe Dayita weiter durch unser Haus. Nach der Verlobung wird sie bei mir einziehen und daher wollen Mama und Papa, dass ich ihr schon jetzt das ganze Haus zeige, damit sie sich hier auch zu hundert Prozent wohlfühlt.

Schließlich sitze ich mit meinen Eltern, meiner Schwester, Dayita und ihrer Familie auf dem geräumigen Sofa in unserem Wohnzimmer. Papa und mein zukünftiger Schwiegervater unterhalten sich angeregt. Obwohl ich sonst immer gern zuhöre und nichts verpassen will, schweifen meine Gedanken heute immer wieder ab und landen bei Nele. Ich habe keine Ahnung, wie ich sie vergessen soll. Alles in mir weiß, dass ich das muss, aber mein Herz kann das nicht verstehen. Ich vermisse dieses Mädchen so sehr.

Ich spüre Kavitas warme Hand, die mich leicht von der Seite anstupst.

"Was ist Kavita", flüstere ich ihr zu.

"Wenn du so weitermachst, dann checken Mama und Papa bald, dass du gerade mit den Gedanken wo ganz anders bist. Bitte reiß dich zusammen Vivek".

Seit wann ist meine kleine Schwester so erwachsen geworden, denke ich im Stillen. Ich bin noch immer sehr erstaunt, wie gut sie sich in den letzten Monaten gemacht hat. Meistens ist Kavita zwar noch immer ein Quatschkopf und liebt es Blödsinn zu machen, aber bei den ernsten Themen hat sie mir definitiv etwas voraus. Wobei ich nicht sagen kann, wie ich mich gegenüber Dayita und ihrer Familie verhalten würde, hätte ich Nele nie kennengelernt.

Aber meine kleine Schwester hat Recht. Wenn ich jetzt zu sehr in meinen Erinnerungen verschwinde, dann werden Mama und Papa irgendwann merken, dass etwas nicht mit mir stimmt. Und dann werde ich Papa das Herz brechen müssen und Mama werde ich komplett überfahren, weil sie sonst alles über mich weiß, nur dieses eine Mal habe ich sogar ihr alles verschwiegen.

Ich nicke Kavita leicht zu und bringe mich dann in das Gespräch ein. Dayita ergreift schüchtern meine Hand und obwohl sich in meinem Inneren alles sträubt und ich am liebsten aus dem Raum fliehen würde, weg von all dem hier, erwidere ich ihren Händedruck. Mamas zartes Lächeln alleine ist es wert, dass ich das über mich ergehen lasse.

Was mache ich hier eigentlich?

Es ist mittlerweile Mitternacht und ich liege erschöpft in meinem Bett. Bis jetzt habe ich mich noch nicht getraut meine Augen zuzumachen, weil ich nicht von Nele träumen will. Ich sehe ihr Gesicht fast in jedem meiner Träume und spüre die Nähe zu ihr. Es ist so wunderschön und traurig, gleichzeitig. Ich will nicht schlafen, mein Herz ist jetzt schon schwer wie ein Stein, es kann nicht mehr ertragen. Trotzdem fallen mir die Augenlider zu und ich gleite in den Schlaf.

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Ich sitze schon den ganzen Vormittag in meinem Arbeitszimmer und versuche den Stapel Arbeit, der auf mich wartet, zu ignorieren, aber es gelingt mir nicht. Ich muss alle meine Gefühle in die hinterste Ecke meines Herzens verbannen, damit ich wieder funktioniere. Ich darf Papa nicht enttäuschen und noch weniger möchte ich schuldig daran sein, wenn unsere Firma rote Zahlen schreibt, nur weil ich Liebeskummer habe. Ist das Liebeskummer? Ich weiß es selbst nicht, aber es fühlt sich auf jeden Fall so an. Ich denke, dass es noch so viel mehr als das ist, aber was habe ich den für eine Wahl? Soll ich die Verlobung mit Dayita absagen und Hals über Kopf fliehen, meine Eltern mit gebrochener Ehre und mit tiefen Schmerz und Enttäuschung zurücklassen, nur weil ich es für das Richtige halte. Weil mein Herz das so möchte? Ich kann das nicht mit mir vereinbaren.

Aber es tut so weh...

Es klopft und für einen kurzen Moment unterbreche ich meine Arbeit, der ich ja so oder so nicht wirklich nachgehe und sehe Dayita im Türrahmen stehen. In der Hand hält sie einen Teller, auf dem etwas dampfendes liegt, das wirklich sehr gut riecht. Bestimmt hat Dayita das nur für mich gekocht. Sie geht schon jetzt ihren Pflichten einer Ehefrau nach. Ich hatte gar nicht gemerkt, wie hungrig ich bin. Dayita lächelt, als ich mich über das Essen hermache. Sie sitzt mir still gegenüber, bis ich zu Ende gegessen habe, dann zieht sie sich rücksichtsvoll zurück.

Am Abend sitze ich mit Mama, Papa und Kavita im Wohnzimmer.

"Dayita ist ein liebes Mädchen..," beginnt Mama, während sie Kavita die Haare flechtet. Papa liest in der Zeitung und schaut nur einen kurzen Moment auf und nickt Mama bestätigend zu.

"Sie ist die Schwiegertochter dieses Hauses"; höre ich ihn sagen. Er hat noch immer nicht von der Zeitung gelassen, ich kann sein Gesicht nicht sehen, trotzdem weiß ich, dass es im Moment voller Stolz ist. Für einen kurzen Moment bekomme ich Bauchschmerzen, blicke zu Kavita, dann zu Boden, ehe ich Mama anlächele.

Ich werde Dayita heiraten. Papa und Aman haben diese Verbindung zwischen uns schon seit Jahren besiegelt und da gibt es keinen Weg mehr, um diese rückgängig zu machen. Ich werde Nele vergessen müssen und darf sie nie wieder sehen.

"Ich werde alles tun, um Euch und Dayita glücklich zu machen", antworte ich meinen Eltern, mit einem Lächeln, das zwar mein Gesicht erhellt, aber mein Herz in tiefschwarzer Nacht zurücklässt.

My Heart belongs to YouWo Geschichten leben. Entdecke jetzt