Hier und Jetzt

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Vivek

Puh! In den letzten Tagen, oder doch Wochen, ist sehr viel passiert. Am 12.09.2021, exakt um 10:39, wurde Neles und mein Sohn, Josha geboren. Ganze zwei Monate und vier Tage zu früh. Er hatte Glück und durfte schon drei Tage später nach Hause. Nele dagegen wachte erst am 18.09, aus dem künstlichen Koma auf. Heute darf sie das Krankenhaus endlich verlassen. Vierzehn Tage nach der Geburt unseres Kindes. Nachdem Nele auf die Normalstation verlegt wurde, habe ich jeden Tag ein paar Stunden an ihrer Seite verbracht. Natürlich immer mit Josha. Der Kleine hat mein Mädchen jeden Tag aufgebaut und wunderbar zu ihrer vollständigen Genesung beigetragen.

Wenn ich ihn mir so anschaue, dann verstehe ich auch, wie er das geschafft hat...

Ich schlage meine Augen auf und sehe, wie die Sonne sich durch die zugezogenen Vorhänge ins Schlafzimmer, drücken will. Der Spätsommer gibt heute noch einmal richtig Gas.

Ich wage einen vorsichtigen Blick in die Wiege meines Sohnes, die ich über Nacht immer ans Bett schiebe. Der Kleine schläft friedlich. Kein Wunder, schließlich hat er mich heute Nacht viermal aus dem Schlaf geschrien.

Müde tapse ich in die Küche. Wie jeden Morgen hat Mama das Frühstück schon hingerichtet. Ich werde sie ziemlich vermissen, wenn sie und Kavita übermorgen wieder nach Mumbai fliegen werden. Bei der ganzen Sorge um Nele, habe ich verdrängt, dass der Besuch von meiner Familie nicht auf Dauer sein wird. Kavita wird schon sehr bald ein Praktikum bei einem Designer beginnen. Sie will ihre Liebe fürs Nähen zu ihrem Beruf machen. Und Papa hat schon vor Monaten einen geeigneten Praktikumsplatz für sie besorgt.

Für den Moment versuche ich diese Tatsache aber noch nicht ganz zu nah an mich heranzulassen. Jetzt freue ich mich erstmal darauf, dass Nele in ein paar Stunden hier sein wird. Und darauf, dass ich heute Nacht wieder in ihren Armen einschlafen darf. Ich sehne mich so sehr nach ihrer Nähe!



Nele

Ich bin schon seit ich in Jörgs Auto gestiegen bin, furchtbar nervös und so voller Vorfreude. Endlich geht es nach Hause! Und ein neuer Alltag wird beginnen. Die letzten Tage hat mich Vivek oft mit Josha besucht.  Eigentlich...jeden Tag kamen die beide für ein paar Stunden. 

Und trotzdem mussten sie immer wieder gehen. Ich konnte meinen Sohn noch nicht in den Schlaf wiegen. Habe mich noch keine einzige Nacht aus dem Schlaf gequält, wenn er geschrien hat. Und vor allem durfte ich ihm noch nie einen Gute Nacht Kuss, geben.

Wie aufregend, dass es bald soweit sein wird! Und all die Momente endlich auf mich zu kommen werden!

Außerdem freue ich mich auch riesig darauf, endlich wieder in Viveks Armen zu liegen. Ich will neben ihm einschlafen und seine Nähe genießen. Und ich freue mich auch noch auf so viel mehr... Wobei ich es die erste Zeit langsam angehen sollte-

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Vivek, seine Mutter, Kavita und Marleen haben sich wirklich riesig Mühe gegeben. Ich betrachte gerade das Willkommen-Zuhause Plakat, das die vier gebastelt haben. Auf dem Boden liegen ein paar Dutzend Luftballons, die ich zur Seite kicke, als ich mir einen Weg ebne, um als erstes Vivek zu begrüßen. Fast schon stürmisch, lasse ich mich in seine Arme fallen. Wir stolpern ein paar Schritte nach hinten, bis wir zum Stillstand kommen und er mir zur Begrüßung einen unschuldigen Kuss auf die Lippen, gibt.

Es ist wunderschön zuhause zu sein... Und trotzdem ist es mir noch etwas fremd. Kein Wunder, schließlich sind Vivek und ich, erst vor einem Monat hier eingezogen. Und davon war ich vierzehn Tage im Krankenhaus.

Kavita macht mir meine Geste nach und stolpert zur Begrüßung in meine Arme. Es ist so schön, dass sie die letzten Tage hier war. Gemeinsam mit ihrer Mutter. Schüchtern murmele ich eine Begrüßung in ihre Richtung. Es fühlt sich irgendwie seltsam... unbehaglich an, ihr für einen kurzen Moment in die braunen Augen zu schauen, die denen von Vivek sehr stark zu ähneln scheinen. Zu stark sind die Erinnerungen, an unser letztes Aufeinandertreffen.

„Hast du einen Moment für mich, Nele?", höre ich Viveks Mama sagen.

„Ja, Frau Vaghel". Ich kann nicht umhin, dass meine Stimme zittert. Es ist... falsch, weil Viveks Mama nicht hier ist, um meinen Freund nach Hause zu holen...Er wird nicht zu Dayita zurückkehren. 

Nein! 

Viveks Mama war mit Kavita hier, hier an der Seite meines Freundes, als ich im Koma lag und hat ihm beigestanden. Bei allen Ängsten und Sorgen, die er durchgestanden hat. Ja, sie hat ihrem Sohn auch dabei geholfen, auf Josha aufzupassen. Die ersten Tage mit ihm, war Vivek nicht alleine... Seine Mama war hier. Und das kann nichts schlechtes bedeuten. 

Wieso kommt mir das dann überhaupt in den Sinn?

„Bitte nenn mich Mohana".

Und dann nimmt Mohana mich unerwartet in den Arm. Es ist irgendwie wunderbar tröstlich. Wie die Umarmung einer liebenden Mutter. Ich vergesse den Unmut, den ich noch bis eben, in mir gespürt habe und gebe mich ganz der Umarmung hin. Es ist beinahe schon wie ein... Segen. Und komischerweise furchtbar vertraut, als würde ich die Frau, die mich hält, schon ewig kennen und sehr...lieben.

Schüchtern stehe ich Mohana gegenüber, als sie mich nach einer langen Zeit, loslässt. Ich habe es mir so sehr gewünscht, dass Vivek Frieden mit seinen Eltern schließen kann... und einen Teil davon hat er erreicht. Mohana ist jetzt auf unserer Seite. Sie akzeptiert unsere Liebe, außerdem unser Kind! Ihren Enkelsohn, den sie mit genauso viel Liebe ansieht, wie ihre beiden Kinder.

Und dann will Mohana so viel über mich wissen, ja sie will mich kennenlernen. Ihre Fragen sind so viele, dass ich mit dem Antworten kaum hinterherkomme. Sie ist ja beinahe schlimmer als... Vivek. Es ist noch ziemlich ungewohnt, so viele Details aus meinen Leben preiszugeben. Doch nach einer Weile, spüre ich wie ich in Mohanas Gegenwart auftaue. Vor allem, als Vivek und Kavita sich in das Gespräch einbinden. Da ist plötzlich so viel Freude... Und wir lachen miteinander, ehe das Gespräch auf Viveks Papa fällt. Die Stimmung ist augenblicklich bedrückt. Wie ein rapider Wechsel von strahlendem Sonnenschein, zu bewölktem Himmel, mit nahenden Regenschauern-

„Ich will nicht, dass wir die letzten beiden Tage, die Mama und Kavita hier in Stuttgart verbringen, in mieser Laune enden lassen... Wir sollten glücklich sein und den Moment zu schätzen lernen. Zeit ist so unglaublich wertvoll und erst, wenn sie einem wegrennt, dann bemerkt man das ganze Ausmaß seiner Fehler... Ich will nicht unglücklich sein müssen. Das war ich und da spreche ich definitiv auch für Marleen und alle Anwesenden hier, die letzten zwei Wochen zur Genüge. Lass uns die Zeit miteinander genießen, solange wir es dürfen. Solange wir die Chance dazu haben!", ergreift Vivek das Wort.

Ein erneuter Abschied steht bevor!

 Doch das ist jetzt nicht wichtig

Wir sind im Hier und Jetzt zusammen und das ist es, was zählt.

Und da darf es sogar eine von Kavitas sehr ausführlichen Erzählungen über Shah Rukh sein. Heute lässt sie damit nicht nur Marleens Herz aufgehen, sondern auch meines!

My Heart belongs to YouWhere stories live. Discover now