Neue Freiheit

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Nele

Es ist tatsächlich soweit. Seit gestern, also exakt dem ersten September wohnen Vivek und ich in unserer ersten gemeinsamen Wohnung. Tatsächlich steht bisher nur das Bett, ein kleiner Schrank, den wir in einer Zeitungsanzeige entdeckt haben und das Kinderzimmer. Im Wohnzimmer haben wir momentan noch einen alten Gartentisch und drei passende Stühle, die Jörgs Eltern uns überlassen haben, da sie sich neue Gartenmöbel zugelegt haben. Außerdem die kleine Couch, die gerade für Vivek und mich reicht, die von Jörgs großer Schwester kommt. Ein wenig leer sind die Zimmer auf jeden Fall noch, aber für den Moment haben wir alles was wir brauchen.

Ein wenig ungewohnt ist diese neue Wohnsituation momentan auf jeden Fall noch. Ich vermisse meine große Schwester und Jörg, die vielen Abende die wir gemeinsam im Wohnzimmer verbracht haben. Die Momente, die ich mit Noah erlebt habe. Aber all das kann ich ja trotzdem noch haben, wenn ich möchte. Ich weiß, dass ich immer bei Jörg und meiner großen Schwester willkommen bin. Und wenn ich ehrlich bin, gefällt es mir sehr gut, mit Vivek zusammenzuwohnen. Ich entdecke gerade die neue Freiheit, die wir jetzt haben. Wir können in jedem Raum intim miteinander sein, ohne die ständige Angst zu haben, dabei von Marleen oder Jörg erwischt zu werden.

Vivek liegt auf dem Bett im Schlafzimmer und tippt irgendetwas an seinem Laptop. Wahrscheinlich beruflicher Art. Als er mich bemerkt, hört er damit auf und winkt mich zu sich.

„Leg dich zu mir, Süße", meint er und deutet auf die freie Seite des Bettes neben ihm.

Ich bin tatsächlich etwas müde. Heute war wieder ein wirklich sonniger Tag und wir haben zwar Rollläden an unseren Fenster, trotzdem ist es ziemlich warm und stickig in der Wohnung. Und genau dieser Zustand macht mich immer etwas schläfrig, dass hatte ich sogar schon vor der Schwangerschaft. Schließlich liege ich nur in Unterhose und einem Schlaftop neben Vivek im Bett. Er geht auf Netflix und lässt mich einen Film raussuchen. Ich entscheide mich für „13 Going On 30".

Ich muss tatsächlich kurz weggenickt sein, denn als ich wieder aufwache, ist der Film schon vorbei und Vivek wieder mit seiner Arbeit beschäftigt.

„Musst du noch viel für die Arbeit erledigen?", murmele ich und gähne herzhaft. Ein kurzer Blick auf mein Handy zeigt mir, dass es schon kurz vor 21 Uhr ist.

„Nein...", Vivek schaut mich kurz an, ehe sein Blick wieder auf den geöffneten Laptop gleitet. „ Dayita hat sich per E-Mail bei mir gemeldet. Sie ist... verzweifelt, weil sie schon in einem Monat heiraten soll. Und sie hat mich um Rat gebeten, weil sie bemerkt hat, dass sie nicht mehr ohne Ram leben kann. Das Problem ist nur, dass sie Angst hat, dass ihr Vater Ram nicht akzeptieren wird, weil er... naja im Gegensatz zu ihr ziemlich mittelos ist."

Ich kann nicht verhindern, dass etwas Eifersucht in mir aufsteigt. Es ist mehr als offensichtlich, dass Dayita und Vivek sich nicht lieben und das auch nie getan haben, aber trotzdem schleicht sich dieses Gefühl in mein Herz. Wahrscheinlich liegt das auch an der ganzen Situation, die wir durchgemacht haben. Wenn ich nicht schwanger geworden wäre, würde Vivek jetzt mit Dayita verheiratet sein. Ich schlucke den dicken Kloß, der sich in meinem Hals gebildet hat, hinunter und versuche krampfhaft eine Antwort zu formen. Aber da will nichts über meine Lippen.

„Ich schreibe nur mit Dayita...", tröstet Vivek mich. „ Sie ist mir wichtig... und ich möchte, dass es ihr gut geht. Immerhin ist es meine Schuld, dass ihr Vater sie jetzt ein weiteres Mal verloben und dann verheiraten möchte. Ich weiß, wie es ist einen Menschen zu lieben, den der Vater nicht für einen ausgesucht hat. Ich wünsche mir einfach, dass Dayita auch glücklich werden kann. Und wenn sie Ram liebt, dann sollte sie ihn heiraten dürfen. Ganz egal, wie viel Geld seine Familie hat."

„Du bleibst aber bei mir, oder?"; wispere ich.

„Natürlich..."; Vivek klappt den Laptop zu und dreht sich so, dass wir uns direkt in die Augen schauen können. „ Ich habe mich für dich entschieden und würde das immer wieder tun."

„Kannst du mich in den Arm nehmen?", Meine Stimme ist so leise, aber er kann mich trotzdem hören. Er rückt noch ein kleines Stückchen näher an mich heran, schlingt dann beide Arme um mich und sein Kinn liegt auf meinen Haaren, als er mich einfach nur hält. Mit dieser Umarmung zeigt, dass er es nie bereut hat, heute hier zu sein.

„Ich hätte mich auch für dich entschieden, wenn du nicht schwanger von mir geworden wärst...", haucht er mir die Worte ins Ohr. Ich bekomme eine Gänsehaut und wünsche mir, dass dieser Moment hier niemals endet. „ Du und ich... Für immer...Willst du mich heiraten, Nele?"

„Was?!" Ich drücke ihn von mir weg. Er rutscht etwas nach hinten, fasst sich aber ziemlich schnell wieder.

„Ich weiß, dass war nicht gerade romantisch..." murmelt er, steht auf und beginnt sich im Zimmer zu bewegen. Seine rechte Hand gleitet immer wieder in sein Haar und wie typisch, verwuschelt er dieses dabei immer ein bisschen. „ Und ehrlich gesagt wollte ich es richtig romantisch machen. Ich hatte sogar schon eine Idee, aber...Ich weiß nicht, irgendwie hat es sich gerade einfach richtig angefühlt und dann...ist es einfach rausgerutscht..." Vivek ist noch immer total durch den Wind. „ Ich verstehe natürlich, wenn du nicht willst und Nein sagst... Es ist okay Nele. Ist es wirklich. Ich hätte das ganze eher..."-

„Ja ich will", unterbreche ich ihn. Mittlerweile bin auch ich auf den Füßen. Nach dem kurzen Schockmoment war ich mir sofort sicher.

Vivek schaut mich ungläubig an, dann verändert sich sein Gesichtsausdruck. Da ist plötzlich so viel Erleichterung, Freude und Liebe in diesem.

„Sie will...", schreit er, als hätten wir ein Publikum hinter uns. Vivek tanzt ein kleines Freudestänzchen und Kavita hatte wirklich Recht. Vivek ist einer der schlechtesten Tänzer, den ich je gesehen habe, trotzdem liebe ich es, wie er herumzappelt, dann heftig nach Luft schnappt und auf mich zukommt. Er hebt mich kurz hoch, ehe ich wieder auf meinen Füßen lande.

„Darf ich bitten, Nele Vaghel..." Er hält mir die Hand hin und wie es aussieht, hat er tatsächlich vor mit mir zu tanzen. Einen Versuch gebe ich ihm!

Ich lasse mich einfach von ihm führen und erstaunlicherweise gelingt uns dieser Tanz unglaublich gut. Es ist eigentlich auch egal. Ich genieße es, wie Vivek mich hält, lausche seinem Herzklopfen, das mir verrät, wie glücklich er gerade ist.

Und...Genau in diesem Moment bleibt die Zeit stehen! 

My Heart belongs to YouWhere stories live. Discover now