Heimat

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Nele

Was ist eigentlich typisch für die Menschen in Deutschland? Und kann man wirklich jeden Deutschen damit umschreiben? Wie kann man ein ganzes Land unter einen Kamm scheren? Hier in Baden-Württemberg isst man gerne Maultaschen, in Bayern Schweinshaxe. Und so unterschiedlich wie die Essensvorlieben der Bundesländer, sind auch alle Deutschen. Die meisten Deutschen sind Christen, es gibt aber auch Katholiken und vereinzelt lassen sich auch Buddhisten finden. Wie kann man die Menschheit im Allgemeinen unterscheiden? Wie viele fremde Menschen, auch Ausländer genannt suchen sich ein Zuhause in einem anderem Land? Wie viele Deutsche gibt es eigentlich noch in Deutschland? 

Im Grunde sind wir alle gleich. Wir alle brauchen Essen und Trinken, genauso wie wir alle nach Liebe streben. Meine Schwester und ich wurden von unseren Eltern so erzogen, dass wir jedem Mitmenschen den größtmöglichen Respekt entgegenbringen und niemals voreilig über eine Person urteilen sollen. Noch heute beherzige ich diesen Ratschlag. Schon viel zu oft wurde ich dafür belächelt und es gab viele Menschen, die mich schamlos ausgenutzt haben, trotzdem halte ich an dieser Einstellung fest. 

Jetzt sitze ich im Auto und strecke meinen Kopf leicht aus dem Fenster, um den Wind in meinem Gesicht zu spüren. Ich muss lächeln, weil ich gerade in diesem Moment einfach nur glücklich bin. Der Mann, mit dem ich gerade im Auto sitze, ist der erste Mann, der etwas mit meinem Herzen gemacht hat. Ich weiß nicht, wie er das angestellt hat, aber ich kann meinen eigenen Atem nicht hören, weil mein Herz so wild klopft. Ich drehe meinen Kopf zu Vivek. Seine Hände liegen lässig auf dem Lenkrad und er grinst vor sich hin, während er konzentriert auf die Straße vor sich schaut. Ich spüre Aufregung, als wir den Ort erreichen, der unser heutiges Ziel ist. Ich habe schon einzelne Tränen in den Augen, als das gelbe Ortschild an mir vorbeizieht und ab jetzt blicke ich wie gebannt aus dem Fenster, um schon jetzt so viel wie möglich zu sehen. Schließlich stoppt Vivek das Auto auf dem Parkplatz, dem ich ihm ins Navi eingetippt habe. Meine Beine zittern vor Aufregung, als ich aus dem Auto aussteige. Ich atme unsicher ein und aus und versuche dabei den Geschmack meiner Kindheit einzufangen. Vivek hält meine Hand und wir wagen uns ein paar Schritte weiter. Gerade spielen die Glocken der Kirche ihr Lied und ich könnte vor Freude aufschreien.

Wir sind hier in dem Ort, an dem ich aufgewachsen bin. Eine 5000- Seele Gemeinde, als ich kleiner war hatten wir tatsächlich nur knapp 3.500 Einwohner. Ich kenne jede dieser Straßen in-und auswendig, in jedem Winkel ist ein Teil meiner Kindheit verborgen, dort für immer verankert. Manche Orte haben für mich eine besondere Bedeutung, an manchen Orten habe ich gelacht, an anderen geweint. Ich will, dass Vivek dabei ist, wenn ich all diese Orte wieder besuche, das erste Mal seit meine Eltern, Marleen und ich diesen Ort hinter uns gelassen haben, um in Stuttgart ein neues Leben zu beginnen.

"Es sieht fast alles noch so aus wie damals"; Meine Stimme ist ein wenig brüchig. " Ich könnte schwören, dass wir gleich zwei kleine Mädchen sehen werden, die nur kurz mal in die Bücherei gehen wollen". Jetzt fließen die Tränen und ich halte mich an Vivek fest, der nichts sagt, mich nur hält und mir so zeigt, dass ich bei ihm sicher bin.


Vivek

Nele blüht auf. Ihr ganzes Gesicht strahlt, als sie mich durch den Ort führt. An fast jeder Stelle hält sie kurz an, erzählt mir eine kurze Geschichte. Entweder zu der Stelle selbst oder meistens eine Erinnerung, die sie mit diesem Ort teilt. In vielen Erzählungen kommt Marleen vor. Sehr oft ihre Eltern und manchmal ein paar alte Freunde. Schließlich stehen wir vor ihrem Elternhaus. Das Haus ist nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Es geht ein kleiner Weg zur Eingangstür, der mit ein paar Büschen umrandet ist und daher nur schwer sichtbar ist. Um das Haus herum kann ich einen kleinen Teil des Gartens erspähen, sehe ein Schaukelgerüst und daneben ein kleines Fahrrad, das achtlos neben das Schaukelgerüst platziert wurde. Nele schaut gebannt auf das Haus und ein paar Minuten ist sie ganz still, scheint sich jedes kleine Detail einzuprägen, aber wahrscheinlich sind in ihrem Kopf gerade so viele Erinnerungen, die auf sie einprasseln.

"Ich möchte jetzt gehen, Vivek"; murmelt sie schließlich. Ich sehe ein paar Tränen in ihren wunderschönen, blauen Augen, die mich jedes mal aufs Neue in ihren Bann ziehen. Ich frage nicht, nehme still Neles Hand in meine und laufe langsam los. Wir entfernen uns im Schneckentempo von dem Haus, immer wieder dreht Nele sich kurz um und schaut auf das Haus zurück, bis wir schließlich um eine Ecke biegen und das Haus nicht mehr sichtbar ist. Erst als wir wieder am Auto sind löst Nele ihre Hand aus meiner, um sich stattdessen an meinem Oberkörper schmiegen zu können und ihre Hände um mich zu schlingen. Ich streichele ihr sanft über den Rücken und durch das blonde Haar.

"Danke Vivek, dass du mich hierher begleitet hast", wispert mir Nele zu. Ich genieße die Nähe zu ihr, dass ich jetzt bei ihr sein kann.

Ich halte Nele noch immer in meinen Armen. Wir stehen einfach nur auf diesem Parkplatz und lassen die Ruhe auf uns wirken, die um uns herum herrscht. Manchmal ist es mir fast ein wenig zu ruhig, immerhin lebe ich ja schon seit meiner Geburt in einer der am stärksten besiedelten Stadt der Welt. Mal ganz davon zu schweigen, dass es in Mumbai alle verschiedene Arte von Bewohnern, gibt. Dort leben nämlich die Bollywoodstars, die Reichen, die Normalverdiener, wenn man das so ausdrücken kann, aber auch die Armen und die wo noch mal darunter sind, und das alles in einer Stadt. Da bin ich natürlich erst mal ein wenig perplex, wenn ich plötzlich in einer Gemeinde in Deutschland stehe, die gerade einmal die 5000 Einwohner Marke geknackt hat. Trotz allem fühle ich mich hier sehr wohl.


My Heart belongs to YouWhere stories live. Discover now